Wohnungsnot in Berlin: SPD-Baustadtrat: „Wir brauchen private Investoren, um das Problem zu lösen“
"Wem gehört Mitte" hieß es bei einer Diskussion im Rahmen des Rechercheprojekts "Wem gehört Berlin?". Mit dabei: Betroffene, Politik und ein Investor.
Laut einer aktuellen Studie der Beratungsgesellschaft „Price Waterhouse Coopers“ bleibt Berlin bis auf weiteres erst einmal ein Lieblingskind der weltweiten Immobilienbranche. Laut Henrik Thomsen, Geschäftsführer der Groth-Immobiliengruppe, ist das eine gute Nachricht. „Solange durch Investitionen neue Wohnungen entstehen, kann Druck aus dem Immobilienmarkt genommen werden“, sagte er am Dienstagabend in den Büroräumen des Recherchenetzwerkes „Correctiv“ an der Singerstraße in Mitte.
Die Veranstaltung fand im Rahmen des Rechercheprojekts „Wem gehört Berlin?" von Tagesspiegel und Correctiv statt. Sie war nach "Wem gehört Neukölln?" die zweite Bezirksdebatte im Rahmen des Projekts.
Dass sich manche Großanleger allerdings trotz möglicher hoher Rendite von Berlin auch abwenden, liegt laut Thomsen daran, dass es selbst ihnen die Stadt zu teuer wird: Der Baugrund koste schlicht zu viel. Das ist aus mehreren ist aus mehreren Gründen problematisch; vor allem aber, weil die Stadt jährlich etwa 20.000 neue Wohnungen für Neuberliner braucht. Die sechs städtischen Wohnungsgesellschaften können aber pro Jahr maximal 6.000 neue Wohnungen bauen, sagte Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD). „Wir brauchen die privaten Baugesellschaften, um das Problem zu lösen“, so Gothe. Ein Drittel der privaten Großbauprojekte würde für sozialen Wohnungsbau verwendet.
Gothe kündigte an, es müsse auch eine grundsätzliche Debatte darüber geführt werden über die "unbeantwortete Frage: Wie kann man den Handel mit Boden gemeinwohlorientierten Prinzipien unterordnen?"
Soziale Verdrängung ist das Kernproblem
Marie Münch von der Mieterinitiative „Zusammen für Wohnraum“ sagte ganz offen: „Viele Wohnungssuchende sind einfach nur noch verzweifelt“. Soziale Verdrängung finde statt, wie man am Beispiel des Remisehofs in der Koloniestraße 10 in Wedding sehe, wo Kleingewerbeeinheiten einem Neubau mit hochpreisigen Studentenappartements weichen mussten.
Mehr Transparenz in der privaten Immobilienbranche - wie sie Tagesspiegel und Correctiv anstreben - würde den aktuellen Wohnraummangel aber nicht verbessern, glaubt Henrik Thomsen. Es gehe vielmehr darum, dass vorhandene Gesetze eingehalten werden müssten. Thomsen sieht ein anderes Problem, nämlich dass es "in Berlin schon mal zehn Jahre für eine Baugenehmigung braucht". Das sei gerade in der aktuellen Situation wenig hilfreich.
In der abschließenden Debatte bekam dann eine Architektin aus dem Publikum viel Applaus für ihren Appell, nicht in "Entweder-Oder-Kategorien" zu denken, sondern kreativ und flexibel zusammenzuarbeiten. So seien dann auch Neubauten, Umwelt- und Denkmalschutz sowie ein Erhalt der vielbeschworenen "Berliner-Mischung" möglich.
Justus von Daniels von Correctiv erläuterte noch einmal, dass es bei dem Projekt nicht darum geht, Eigentümer an den Pranger zu stellen, sondern "ein Bewusstsein zu schaffen" auch darüber, wie der Wohnungsmarkt funktioniert und zum Beispiel auch von Rentenfonds und anderen Anlageformen beeinflusst wird. Und darüber auch von Menschen, denen das möglicherweise so gar nicht bewusst ist.
Im Publikum waren auch viele Mieter, die gerade aus verschiedenen Gründen Angst um ihre Wohnung haben. Entsprechend engagiert und teilweise emotional wurde im Anschluss diskutiert. Für einige von ihnen ist das Thema existenziell.
Am heutigen Mittwoch erscheint der Bezirksnewsletter aus Mitte von Laura Hofmann. Sie moderierte die Veranstaltung und wird im Newsletter auch aus ihrer persönlichen Sicht über "Wem gehört Mitte?" berichten.
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Jan Wendt