Ausgediente Flächen im Stadtgebiet: Berlin möchte alle Bahnbrachen für den Wohnungsbau kaufen
Die Deutsche Bahn AG und der Finanzsenat bestätigen Gespräche mit Land und Bezirken. Zur Größe der in Rede stehenden Flächen wurden keine Angaben gemacht.
Das Land Berlin steht nach Informationen des Tagesspiegels in Verhandlungen mit der Deutschen Bahn AG über den Ankauf ausgedienter und ausgemusterter Flächen im Stadtgebiet. Es geht um die Liegenschaften, die nicht mehr betriebsnotwendig sind und zugleich für den Wohnungsbau genutzt werden könnten.
Aus Kreisen der Deutschen Bahn AG wurde bestätigt, dass sich das Unternehmen sowohl mit den Bezirken der Hauptstadt zu Einzelthemen als auch mit dem Land im Gespräch zu Flächen des Konzerns im Bundesland befinde. „Von unserer Seite kann ich lediglich mitteilen, dass die Gespräche auf Arbeitsebene laufen und die einzelnen Grundstücke erst noch genau geprüft werden müssen“, ergänzte auf Anfrage Eva Henkel, Sprecherin der Senatsverwaltung für Finanzen Berlin. Ein mögliches Volumen lasse sich noch nicht beziffern.
Die Senatskanzlei nahm zu dem Vorstoß des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) auf Anfrage keine Stellung. Müller hatte sich bereits auf dem sogenannten Wohn- und Mietgipfel im Kanzleramt am 21. September vergangenen Jahres so vernehmen lassen: „Ich kaufe alles. Ich möchte gar nicht mehr darüber diskutieren, ob großes oder kleines Grundstück, lasst uns über einen Paketpreis reden.“ Damals war nur von Liegenschaften des Bundes die Rede, die in der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) zusammengefasst sind. Ähnlich wie im Kanzleramt hatte sich Müller bereits im August 2018 nach einer Senatssitzung geäußert: „Ich bin bereit, alles zu kaufen, was der Bund uns gibt. In jeder Größenordnung, in jeder Lage“, hatte der Regierende Bürgermeister im Roten Rathaus gesagt.
Die Deutsche Bahn ist indes als Aktiengesellschaft bisher gehalten, Höchstpreise zu erzielen. Der Haushaltsausschuss des Bundestags hatte der Bahn nach einem Milliarden-Zuschuss 2016 ein Schuldenlimit von 20,4 Milliarden Euro gesetzt. Dies ist derzeit bereits annähernd erreicht.
Mitarbeiter der Bahn sollen mit günstigen Wohnungen angelockt werden
Auch die BImA war lange Jahre angehalten, Liegenschaften zu Höchstpreisen zu verkaufen. Hier hatte es allerdings mit Amtsantritt von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) einen Kurswechsel gegeben. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben soll nun bundeseigene Grundstücke unter dem Verkehrswert an die kommunalen und landeseigenen Baugesellschaften abgeben. Seit 1999 galt das Höchstpreisverfahren, Grundstücke wurden also in Bieterverfahren an den meistbietenden Investor verkauft. Jetzt sollen die Länder das Erstzugriffsrecht haben. „Die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen dafür werden gerade geschaffen“, hatte Bundesfinanzminister Olaf Scholz nach dem Wohngipfel gesagt. Über Abschlüsse mit Berlin „in zweistelliger Zahl“ wurde bisher nicht bekannt; übertragen wurden bisher allein einzelne Liegenschaften.
Ob auch in der Liegenschaftspolitik des Konzerns Deutsche Bahn ein neuer Kurs ansteht, ist noch nicht ausgemacht. Bekannt wurde in dieser Woche allerdings, dass auch die Deutsche Bahn AG – wie die BImA – über den Bau von Wohnungen auf ihren Grundstücken nachdenkt. Angesichts knapper Wohnungen in vielen Städten sollen neue Mitarbeiter verstärkt mit günstigen Unterkünften angelockt werden. „Bezahlbare Mieten sind für unsere Mitarbeiter ein großes Thema geworden“, hatte Personalvorstand Martin Seiler der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt. Der größte deutsche Staatskonzern wolle deshalb eine „Wohnraumoffensive“ starten, wie ein Sprecher am Mittwoch sagte. So will das Unternehmen mehr Wohnungen für Beschäftigte anmieten oder durch Belegungsrechte sichern, zudem soll auf Bahnflächen gebaut werden.
Die Bahn AG konnte am Donnerstag keine Angaben zur Größe der in Rede stehenden Flächen machen. Etliche „Filetgrundstücke“ hatte der Konzern in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten verkauft, darunter das Gelände des ehemaligen Rangierbahnhofs Pankow zwischen den S-Bahnhöfen Pankow und Pankow-Heinersdorf sowie ein Güterbahnhofsgelände an der Greifswalder Straße. Einem Bericht der Deutschen Presseagentur vom Juni zufolge kämen unbebaute Flächen aus dem Bundeseisenbahnvermögen von rund 7850 Quadratmeter als Bauflächen in Berlin in Frage. Vor zwei Jahren kursierten noch Zahlen, nach denen mehr als 50 Hektar Bauflächen überwiegend der Bahn in Berlin gehör(t)en.
Kleingärten, Sportplätze und Gewerbeflächen gehören zu den Flächen
Das Bundesverkehrsministerium setzt sich nach eigenen Angaben für den verbilligten Verkauf von Grundstücken an Kommunen als Bauland für preisgünstige Wohnungen ein. Hierzu liefen aktuell noch Gespräche mit dem Finanzministerium. „An der Schaffung von neuem Wohnraum muss der Bund auch über die bundeseigenen Unternehmen mitwirken“, forderte Kai Wegner, der auch baupolitischer Sprecher der Unionsfraktion und Vorsitzender der Berliner CDU ist. „Bei Veräußerungen aus diesem bundeseigenen Grundstücksbestand sollten Preisnachlässe gewährt werden. Bedingung muss sein, dass auf den Flächen Wohnungen im bezahlbaren Preissegment entstehen.“ Bisher kommt bei der Bahn AG aber noch der Meistbietende zum Zug.
Eine Fläche ungefähr in der Größe von 22 Fußballfeldern im Bundeseisenbahnvermögen wäre für den Wohnungsbau in neun Bundesländern insgesamt geeignet. Knapp 155.000 Quadratmeter an unbebauten Grundstücken käme infrage, wie aus einer Auskunft des Bundesverkehrsministeriums an Kai Wegner hervorgeht.
Zu den Bahnflächen in Berlin gehören auch Kleingartenanlagen, Sportplätze und Gewerbeflächen.
Die Ernsthaftigkeit der Verhandlungen hinter den Kulissen ist daran abzulesen, dass unter der einschlägigen Portalseite der Deutschen Bahn AG (www.bahnliegenschaften.de) derzeit nur ein Objekt in Berlin angeboten wird: das Dienstgebäude Ahrensfelde, gelegen auf einem 1395 Quadratmeter großen Grundstück.