Sozialer Wohnungsbau: „Berlin hat es komplett versemmelt“
Die Hauptstadt verzeichnet bundesweit den stärksten Rückgang an Sozialwohnungen. Nur knapp 13.000 wurden in den vergangenen zwölf Jahren gebaut.
In Deutschland verschärfen sich die Probleme auf den Wohnungsmärkten durch die viel zu geringe Neubautätigkeit. Besonders prekär ist die Lage im staatlich regulierten Segment der Sozialwohnungen, die nach einer bestimmten Zeit aus der „Bindung“ fallen und normal am Markt vermietet werden können. Weil nicht im gleichen Umfang neue Sozialwohnungen gebaut werden, wie Sozialwohnungen auf den normalen Wohnungsmarkt kommen, sinkt ihre Zahl – teilweise dramatisch.
So gab es zum Jahresende 2017 knapp 49.000 weniger Sozialwohnungen als noch ein Jahr zuvor. Das geht aus jüngsten Zahlen hervor, die das Bundesinnenministerium an den Bundestag meldete. Um den Bedarf zu decken, müssten jährlich rund 80.000 Einheiten zusätzlich auf den Markt kommen. Doch die Länder, in deren Zuständigkeit diese Aufgabe fällt, tun sich schwer.
Einmal mehr steht die Bundeshauptstadt mehr im Soll als im Haben, wie bei der Jahrespressekonferenz des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) am Montag deutlich wurde. Zu den 3000 Mitgliedern der GdW-Landesverbände zählen auch private Branchenriesen wie Vonovia und Deutsche Wohnen, vor allem aber Genossenschaften und städtische Wohnungsunternehmen.
In den vergangenen zwölf Jahren habe Berlin nur 12.880 Sozialwohnungen geschaffen, das nur halb so große Hamburg dagegen 28.500, sagte GdW-Präsident Axel Gedaschko. „Sie haben es komplett versemmelt. Berlin müsste eigentlich doppelt so viel tun wie Hamburg“, sagte der Hanseat: „Die Berliner Politik hat versagt.“
Berlin verzeichnete bundesweit den stärksten Rückgang. Die Zahl der Sozialwohnungen verringerte sich hier von 137.000 auf 116.000. Zum Vergleich: In Deutschland gab es Ende 2017 rund 1,22 Millionen Wohnungen mit Miet- und Belegungsbindung. Ein Jahr zuvor gab es noch 1,27 Millionen Sozialwohnungen. Somit sind mehr alte Sozialwohnungen aus der Mietbindung gefallen als neue gebaut wurden.
Allein Baden-Württemberg, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern bauten mehr Sozialwohnungen, als aus der Mietbindung gefallen sind. Schlusslichter sind Sachsen-Anhalt mit kaum und das Saarland mit gar keinen neuen Sozialwohnungen.
Dramatische Lage beim sozialen Wohnungsbau
„Die Lage beim sozialen Wohnungsbau ist dramatisch“, sagte der wohnungspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Chris Kühn. „Ich kann nicht verstehen, dass die Bundesregierung angesichts des immer stärkeren Rückgangs an Sozialwohnungen die Mittel im nächsten Jahr um ein Drittel kürzen will.“ Kühn forderte einen Kurswechsel: „Nach dem Motto: einmal gefördert, für immer gebunden. Die soziale Zwischennutzung auf Kosten der Mieter und zum Wohl von Investoren muss ein Ende haben.“
Bundesinnen- und -bauminister Horst Seehofer (CSU) wies Kritik wegen angeblicher Versäumnisse beim sozialen Wohnungsbau zurück. „Der Bund stellt den Ländern für die soziale Wohnraumförderung milliardenschwere Finanzhilfen zur Verfügung: In 2018 und 2019 jeweils rund 1,5 Milliarden Euro“, sagte Seehofer in Berlin. „Mit der Grundgesetzänderung in diesem Jahr haben wir außerdem die Weichen dafür gestellt, dass der Bund die Länder auch in der Zukunft unterstützen kann.“
Insgesamt will der Bund in der laufenden Legislaturperiode fünf Milliarden Euro für die soziale Wohnraumförderung zur Verfügung stellen. Dies hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor einer Woche noch einmal bekräftigt. „Gemeinsam mit den Mitteln von Ländern und Kommunen können damit über 100.000 Sozialwohnungen gebaut werden“, erklärte nun Seehofer. Die Verantwortung dafür liege aber bei den Ländern. Seehofer äußerte die Erwartung, dass diese die Förderung durch den Bund noch „aus den eigenen Haushaltskassen deutlich aufstocken“.
Nach Gedaschkos Angaben liegt die Bedarfsdeckung bei Sozialwohnungen derzeit bei 34 Prozent. „Wir ersetzen nicht einmal das, was aus der Sozialbindung fällt“, sagte der GdW-Präsident: "Es gibt Bundesländer, die geben Gas und es gibt die Bundesländer, die jammern“, sagte er mit Blick auf Berlin. Die Sozialwohnungsbauprogramme würden in den Ländern gemacht. „Wenn die Länder versagen, versagt der soziale Wohnungsbau.“
Gedaschko forderte vom Bund mit seinem Verband, „es bei jährlich 1,5 Milliarden Euro zu belassen“. Von der Ländern forderte er, „mit 2,5 Milliarden Euro gegen zu finanzieren“.
Immobilienverbände: Baupolitik ist eingeschlafen
Der GdW legte ein Vorschlagsbündel für bezahlbares Wohnen vor. Es sieht neben Lockerungen im Baurecht vor, dass der Staat Ausgaben erhöht und auf Einnahmen verzichtet. Sie reichen von einer Genehmigungspflicht für Zweitwohnungen über zusätzliche Milliarden für Sozialwohnungen bis hin zu verbilligten Grundstücken aus Bundeshand.
Der Präsident des Spitzenverbandes der Immobilienwirtschaft ZIA, Andreas Mattner, forderte niedrigere Steuern auf den Grunderwerb, eine höhere steuerliche Abschreibung von Bauprojekten sowie mehr Digitalisierung in den Bauämtern. „Die Baupolitik in Deutschland ist größtenteils eingeschlafen“, erklärte Mattner: „Offenbar schreckt Regulierung ab.“
Ein Indiz für diese Einschätzung: In den ersten vier Monaten dieses Jahres wurden weniger Baugenehmigungen erteilt als im Vorjahreszeitraum. Die Behörden gaben wie berichtet grünes Licht für den Neubau von gut 105.800 Wohnungen, wie das Statistische Bundesamt mitteilte.
Das waren nach Angaben der Wiesbadener Behörde fast 1500 Einheiten oder 1,3 Prozent weniger als vor Jahresfrist. Eine Steigerung gab es den Angaben zufolge nur bei Einfamilienhäusern mit plus 2,2 Prozent auf 29.013 Bauvorhaben. Bei allen übrigen Gebäudearten registrierten die Statistiker Rückgänge. Besonders deutlich war dies bei Zweifamilienhäusern (minus 5,2 Prozent auf 6546 Bauvorhaben). Bei Mehrfamilienhäusern blieben die Genehmigungen mit 53.388 um 0,5 Prozent unter dem Wert des Vorjahreszeitraums.
Bundesweit müssten jährlich um die 350.000 Wohnungen entstehen
Um die große Nachfrage nach Immobilien zu decken, müssen nach Einschätzung von Politik und Bauwirtschaft in Deutschland jährlich 350.000 bis 400.000 Wohnungen entstehen. Im vergangenen Jahr wurde der Neubau von knapp 302.800 Wohnungen in reinen Wohngebäuden genehmigt. Inklusive Nichtwohngebäuden gab es im Jahr 2018 gut 347.000 Genehmigungen.
Gebremst wird Neubau dadurch, dass Flächen in Ballungsräumen knapp sind, die Preise deutlich angezogen haben und Handwerker wegen voller Auftragsbücher kaum hinterherkommen.
In Berlin gab es zum Jahresende 2018 nach Angaben des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg 1.949.252 Wohnungen – das sind 16.956 mehr als Ende 2017. Das Plus entspricht weniger als einem Prozent. Seit 2010 hat sich der Wohnungsbestand in Berlin um 81.579 erhöht – viel zu wenig Wohnungen, wenn mal sich vor Augen führt, dass die Hauptstadt Jahre mit rund 50.000 Neuberlinern registrierte (2018 waren es 31000 Menschen).
„Wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens darüber, dass wir es auf dem herkömmlichen Wege nicht schaffen“, sagte Gedaschko und verwies neben dem Sozialwohnungsbau auf Aufgabenfelder wie den klimagerechten Umbau der Bestandsbauten, auf die Digitalisierung der Wohnungen und auf den altersgerechten Umbau von Wohnungen. „Wir müssen ein Modell übertragen auf den Wohnungssektor, das man das Bausparkassenmodell nennen könnte.“
Die zusätzlichen Investitionen müssten stufenweise finanziert werden. Stattdessen wolle Berlin nun einen sogenannten Mietendeckel zur Begrenzung des Mietpreisanstiegs einführen. „Es geht wesentlich klüger“, sagte Gedaschko und verwies auf Portugal. Dort erhalten nach seinen Angaben Vermieter von Juli an Steuervorteile, wenn sie örtliche Mietobergrenzen akzeptieren. Profitieren sollen demnach Mieter mit niedrigen Einkommen. „Damit könnte ich mich deutlich eher anfreunden als mit dem Berliner Mietendeckel. Das klingt für Mieter natürlich fantastisch – so wie umsonst in Urlaub fahren.“ (mit dpa und AFP)
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