Ergebnis der ersten Strategiekonferenz: Jeder Obdachlose in Berlin soll feste Unterkunft bekommen
Am Mittwoch fand die erste gemeinsame Expertenrunde von Berliner Bezirken, Senat und Hilfsorganisationen zur Wohnungslosigkeit statt. Auf das Ergebnis ist die Hauptstadt der Herzen stolz.
Ulrike Kostka war so stolz, dass sie erst mal betonte, wie stolz sie war. Und stolz war die Vorstandsvorsitzende des Caritasverbands Berlin, „dass wir eine Hauptstadt des Herzens sind“. Zu dieser liebenswerten Metropole wird Berlin dank der Kernbotschaft der „1. Strategiekonferenz zur Wohnungslosigkeit und -politik“. Diese Botschaft lautet: Jeder Obdachlose in der Stadt, egal aus welchem Land er kommt, egal, welchen Status er hat, soll eine feste Unterkunft bekommen, nach Möglichkeit natürlich eine klassische Wohnung.
„Und jeder, der obdachlos ist, braucht eine medizinische Vorsorgung“, sagt Kostka. Auf diese umfassenden Pläne haben sich die Teilnehmer quasi geeinigt, die Verantwortlichen und Experten, die am Mittwoch in Arbeitsgruppen tagten, unter Gesamt-Leitung von Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke).
Das ist eine gute, richtige und längst überfällige Entscheidung. Aber wichtiger wäre es die Ursache, warum Menschen überhaupt in Obdachlosigkeit gelangen, zu bekämpfen.
schreibt NutzerIn kurz
Zahl der Obdachlosen hat sich gegenüber 2016 fast verdoppelt
Zum ersten Mal haben Bezirke, Senatsverwaltungen und Hilfsorganisationen, rund 200 Personen, gemeinsam überlegt, wie man die dramatische Situation der Wohnungs- und Obdachlosigkeit in der Hauptstadt zumindest einigermaßen in den Griff bekommt. Diese Situation hat sich in kurzer Zeit verschärft. Die Zahl der Menschen, die in Not- und Gemeinschaftsunterkünften leben, hat sich 2016 gegenüber dem Vorjahr fast verdoppelt, auf rund 30.000. Wie viele Menschen unter freiem Himmel schlafen, ist unbekannt. Inzwischen hat das Problem auch zunehmend die Mittelschicht erreicht.
Dreh- und Angelpunkt, da sind sich alle Experten einig, ist die Wohnungssituation. Barbara Eschen sprach für die Liga freier Wohlfahrtsverbände. Da es bei der Wohnungsknappheit völlig illusorisch ist, alle Wohnungs- und Obdachlose in regulären Wohnungen unterzubringen, denkt sie daran, das Angebot an Modularen Unterkünften für Flüchtlinge (MUF) und Tempohomes auszuweiten. Dort sollen die Betroffenen für eine Übergangszeit untergebracht werden. Die Senatssozialverwaltung geht in einer aktuellen Prognose davon aus, dass 30 MUFs mit einer Größe von 250 bis 400 Plätzen benötigt werden, um den Bedarf zu decken.
Die Herzen der Vermieter werden benötigt
Das allein wird nicht reichen. Zunächst muss auch die Zahl der Sozialwohnungen erheblich gesteigert werden, da sieht Ephraim Gothe, Sozialstadtrat von Mitte, der für die Bezirke sprach, auch die städtischen Wohnungsbaugesellschaften in der Verantwortung. Zusätzlich will er aber auch „mit der freien Wohnungswirtschaft sprechen“. Die soll „freie Wohnungen anbieten, die wir Flüchtlingen offerieren können“.
Damit die „Hauptstadt der Herzen“ aber auch in der Praxis funktioniert, erklärte Barbara Eschen, dass „wir die Herzen der Vermieter benötigen, die sagen, ich bin einverstanden, dass in dieser Baulücke Sozialwohnungen entstehen“. Ihr ist aber auch klar, dass die Forderung, alle Wohnungs- und Obdachlosen in festen Quartieren unterzubringen, „besonders heikel ist“. Auf die Frage, was passiere, wenn diese umfassende Hilfe einen Sog von Menschen in Not nach Berlin auslösen sollte, hatte sie keine klare Antwort.
30 Prozent der Obdachlosen sind Frauen
Am liebsten ist es ihr natürlich, wenn Menschen erst gar nicht zwangsweise ausziehen müssen. Das soll unter anderem durch eine bessere Ausstattung der Fachstellen der Bezirke erreicht werden. Dann wäre die Beratung und Hilfe umfassender. Auch Zwangsräumungen von Familien sollten unterbunden und Mietschulden beglichen werden. Birgit Münchow von der Arbeiterwohlfahrt, die sich in ihrer Arbeitsgruppe um Frauen und Familien in Wohnungsnot kümmert, verlangte dringend „bezahlbaren Wohnraum, der kiezangebunden ist“.
Zudem sollen jene Frauen mit ihren Kindern geschützt werden, deren gewälttätige Männer aus der jeweiligen Wohnung verwiesen wurden. Wenn diese Frauen nach kurzer Zeit die Miete nicht mehr allein aufbringen können, droht ihnen die Zwangsräumung. Solche Betroffenen müssten aber in ihrer Wohnung bleiben dürfen, bis sie eine adäquate Alternative gefunden hätten. Rund 30 Prozent der Wohnungslosen, sagte Birgit Münchow, seien Frauen, oft hätten sie auch Kinder. Sie alle leben nun in Not- oder Gemeinschaftsunterkünften.
Überschuss sollte in medizinische Versorgung fließen
Caritas-Vorstandsvorsitzende Kostka, in ihrer AG zuständig für „Medizinische Versorgung, Suchthilfe und Psychiatrie“, kündigte an, dass in Frühjahr erstmals ein Gesundheitsbericht veröffentlicht werde. In dem sind dann alle verfügbaren, medizinischen Daten von Obdachlosen zusammengefasst. Krankheiten, Krankheitsverlauf, wer steuerte welche medizinische Hilfseinrichtung an? Daten, die wichtig sind für die Frage: „Was braucht Berlin für die medizinische Versorgung der Obdachlosen?“
Unter anderem Geld, aber das ist auch für die zusätzlichen MUFs und Tempohomes nötig. Aber Berlin hat doch gerade Rekordeinnahmen. „Das Geld, das jetzt zusätzlich da ist, sollte in diese Bereiche fließen“, sagte Barbara Eschen.
Polen könnte auch Geld geben
Geld könnte ja auch aus Polen kommen. Viele der Obdachlosen kommen aus diesem EU-Land. Deshalb war der Erste polnische Botschaftsrat bei der Konferenz, eingeladen von der Sozialverwaltung. Rumänien und Bulgarien dagegen schickten keine Vertreter. Noch gibt es von Polen kein Geld, sagte Elke Breitenbach. Sie wird aber weitere Gespräche führen. Und wenn sich Polen an der Hilfe für Obdachlose beteiligen sollte, „dann freuen wir uns“. Wenn nicht, gilt trotzdem die Vorgabe: „Wir müssen alle Obdachlosen unterbringen. Das ist die gesetzliche Regelung. Das ist aber auch ein sehr humanistisches Menschenbild.“
Es gibt allerdings auch Menschen, die wollen gar nicht untergebracht werden, die wollen im Freien übernachten. Das, sagte Elke Breitenbach, müsse man dann einfach akzeptieren. „Sie nehmen ihr Recht auf Freizügigkeit wahr.“ Und weil das in Berlin nicht wenige sind, sagte die Sozialsenatorin auch: „Selbst wenn wir für alle Betroffenen Plätze hätten, würde es immer noch Obdachlosigkeit geben.“