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Obdachlosigkeit in Berlin: Von der Straße zurück ins Leben

Guido Brück war sechs Jahre obdachlos. Heute arbeitet er in der Kleiderkammer, wo er selbst lange Kunde war.

Zwischen der Siegessäule und dem Tiergarten liegt die Grenze zum Ausstieg aus dem sozialen Leben – so hat es Guido Brück bis vor 15 Jahren tagtäglich empfunden. Genau hier, auf vertrockneten Blättern, mitten in einem kleinen Waldstück im Tiergarten, war sechs Jahre lang eines seiner Freiluft-Wohnzimmer. An diesem Mittwoch ist er zurückgekehrt, zu einem Pressetermin mit der Berliner Stadtmission.

Bis 2002 hat der heute 60-Jährige hier zwischen Ratten, Wildschweinen und wahllosen Übergriffen von Passanten seine Nächte verbracht. „Das schlimmste Erlebnis war ein Angriff von drei Typen, die wahrscheinlich einfach nur Lust auf eine Schlägerei hatten. Sie haben mich aus meiner Behausung gezogen und mir mehrfach ins Gesicht geschlagen, ohne ersichtlichen Grund“, erzählt Guido Brück, der seine Wunden anschließend mit Papiertaschentüchern und Wasser aus einem nahe gelegenen Tümpel versorgt hat. Mal ein paar Tage mit blauen Augen rumzulaufen sei unter Obdachlosen genauso normal, wie das erbettelte Kleingeld vorrangig in Alkohol zu investieren, sagt er. „Zu meinen Spitzenzeiten habe ich zwei Kästen Bier und eine Flasche Schnaps am Tag getrunken. Die 50 Pfennig für eine Dusche sind da eben nur zwei Mal im Monat abgefallen.“ Heute, nach zwei Schlaganfällen, könne er mit Alkohol umgehen, sagt Brück. Höchstens nach Feierabend treffe er sich mal mit Kollegen auf ein Bier. Als Angestellter der Berliner Stadtmission ist er seit fünf Jahren in der Kleiderkammer tätig. Früher war er hier selbst Kunde.

Nicht alle möchten vom Kältebus gerettet werden

Die Hilfsangebote der Stadtmission werden auf der Straße nicht immer sofort angenommen. „80 Prozent der Menschen, zu denen wir, meist von Passanten, mit unserem Kältebus gerufen werden, lehnen einen warmen Schlafplatz ab, weil sie dafür auf Alkohol verzichten müssten. Hier draußen können sie ihren Konsum selbst bestimmen. Andere sind schon so stark sozial isoliert, dass sie sich nicht mehr vorstellen können mit anderen Menschen in einem Raum zu schlafen“, sagt Yannick Büchle. Der 21-Jährige war im vergangenen Winter Teamleiter der Kältebusse. Unterstützt von bis zu 40 Ehrenamtlichen ist er damit zwischen November und März zu rund 30 Einsätzen pro Nacht ausgerückt.

Vor Ort ist Einfühlungsvermögen gefragt. Die meisten Wohnungslosen haben jegliches Vertrauen in Mitmenschen verloren. „Wenn man als Kind schon das Gefühl vermittelt bekommt, ungewollt zu sein und Opfer von Missbrauch wird, dann dauert es sehr lange, bevor wieder Vertrauen zu anderen möglich ist. Mit Tee, Schokolade und der Erfüllung kleiner Wünsche geben wir den Menschen wieder das Gefühl, dass sich jemand für sie interessiert“, erzählt Ortrud Wohlwend, Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit der Stadtmission.

Guido Brück bezeichnet sich heute selbst als eine Art „Maskottchen der Stadtmission“. Zwischen seinem Leben auf der Straße und heute liegt viel eigener Wille und das Wiedererlangen sozialer Kompetenzen im Übergangshaus der Stadtmission in der Lehrter Straße.

Julia Sergon

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