Wenn der Tourismus zur Hölle wird: Amsterdam verzweifelt an seiner Beliebtheit
Viele Amsterdamer sind wütend, weil immer mehr Touristen in die Grachtenstadt kommen. Die Stadt will mit teilweise radikalen Maßnahmen gegensteuern.
Wo geht’s denn hier zu den Grachten? Wer am Amsterdamer Hauptbahnhof ankommt, weiß gleich, wo es langgeht. Immer den Touristen nach. Aber Vorsicht! Denn Fußgänger leben hier gefährlich. Die Lenker der Hollandräder haben einen „Affenzahn“ drauf. Wer hier mit seinem Rollkoffer – husch, husch – eine der Fahrradstraßen überqueren will, kann ins Schleudern kommen. Zumal da auch noch Straßenbahnschienen in die Quere kommen können. Ohne Frage: Es ist eng im Zentrum der niederländischen Hauptstadt. Zumal im Frühling.
Daran schuld sind nicht die Tulpen, sondern das aus „Sex & Drugs & Rock ’n’ Roll“ zusammengesetzte Image dieser Stadt. Sie steuert jetzt gegen, möchte gar nicht mehr so viele Touristen begrüßen. Setzt auf eine andere Klientel. Weniger könnte mehr sein.
Ob die Niederländer hier einfach schon ein Stück weiter sind als Berlin, wenn es im Guten wie im Schlechten um die Stichworte Overtourism und Touristifizierung geht? Mit Blick auf Amsterdam kann einem angst und bange werden angesichts des aktuellen Werbeclaims der Vermarkter von visitBerlin: „Stadt der Freiheit“.
Katharina Wenck steht am Leidseplein („Leidener Platz“). Ein Verkehrsknotenpunkt am südlichen Ende des zentralen Grachtengürtels, und der wohl coolste Platz der Stadt. Katharina Wenck schaut nach Touristen und hat ein iPad in der Hand. Die 19-jährige Hamburgerin studiert an der Breda-Universität Tourismus. Ihr aktuelles Projekt: eine Straßenumfrage.
„Wir studieren nachhaltigen Tourismus“, sagt Wenck und deutet auf das Display. Es geht um cirka zehn Seiten zum Thema Tourismus in Amsterdam. Ob er einen als Tourist eigentlich selbst stört. Ob es zu eng, zu laut, zu trubelig ist. Solche Fragen eben. „Von der wirtschaftlichen Seite aus betrachtet läuft der Tourismus hier mega“, sagt die junge Frau. „Aber viele verkaufen hier inzwischen ihre Häuser. Sie haben ja teilweise kleine Kinder und die Besucher ziehen nachts oft bis um vier um die Häuser.“
Amsterdam wehrt sich mit Verboten
So hat Amsterdam Marketing zunächst einmal eine Verhaltenskampagne aufgelegt. Die Schilder sind auf Englisch. Das wirkt am besten, hat man festgestellt. In Aussicht gestellt werden heftige Strafen für Alkoholgenuss auf der Straße und das Versiffen der Stadt durch gedankenlos abgeworfenen Abfall. Polizisten patrouillieren auf Pferden auf den Straßen zwischen den Kanälen. „Der Tourismusbehörde geht es gar nicht mehr darum, noch mehr Leute herzuholen“, berichtet Wenck aus einem Meeting ihrer Uni mit offiziellen Werbern der Stadt. „Jetzt haben sie sogar unseren Strand umbenannt in Amsterdam Strand“, erzählt sie. Das ist nicht die einzige Maßnahme.
Die Stadt führt künftig neben der Touristenabgabe eine zusätzliche Bettensteuer ein. Zusätzlich zu der Abgabe von sieben Prozent der Hotelrechnung werden künftig drei Euro pro Nacht und Gast fällig, kündigte die Stadtverwaltung im Mai an. Das Geld soll auch in den Erhalt des historischen Stadtbildes fließen.
Das ist Walther Schoonenberg sehr recht. Er ist der Sekretär der „Vereniging Vrieden van de Amsterdamse Binnenstad“, einer Bürgervereinigung mit rund 3000 Mitgliedern. Sie sorgen sich um das kuturelle Erbe Amsterdams und setzen sich dafür ein, dass ihre Heimatstadt sowohl baulich als auch ideell gut beeinanderbleibt. „Wir sind in den sechziger Jahren angetreten, die historisch wichtigsten Teile der Stadt zu schützen“, sagt er im Gespräch mit dem Tagesspiegel
Wir treffen ihn in seiner Privatwohnung in der Sloterkade, einer Straße, die noch zum Zentrum, nicht aber zum Grachtengürtel gehört. „Die innere Stadt ist zu klein für Touristen“, sagt der gebürtige Amsterdamer. „Andererseits: Wenn ich ein Tourist wäre, würde ich mich auch für den Grachtengürtel interessierte, für die alte Stadt, die immer noch die größte Innenstadt Hollands ist. Aber das ist ja das Problem: Alles kommt aus der Balance.“
Sex & Drugs & Rock ’n’ Roll
Es gibt Gaffer im Hurenviertel, Lärmerei und Saufgelage. Die Altstadt droht zu kippen. „Wir wollten in den sechziger und siebziger Jahren ja erreichen, dass Menschen in der Altstadt leben“, sagt der Historiker: „Das ist auch wichtig für die Denkmäler. Wenn niemand mehr in der Altstadt lebt, ist das nur noch eine Fassade.“
Auch andere Metropolen leiden unter Besuchermassen. Für Schlagzeilen sorgte zuletzt Venedig. Die berühmte Lagunenstadt will Tagesgäste ab September mit einer Gebühr von drei Euro zur Kasse bitten. Dass diese „Eintrittsforderung“ Gäste von Besuchen abhalten könnte, ist zu bezweifeln.
Amsterdam verzeichnet nach offiziellen Angaben rund zehn Millionen Übernachtungen pro Jahr, die Innenstadt hat rund 85 000 Einwohner und 90 000 Beschäftigte, die meisten davon in der Gastronomie und Hotellerie. Andere Quellen schreiben von rund zwanzig Millionen Gästen, die 2017 die Hauptstadt der Niederlande besucht haben. Es sind auf jeden Fall unverhältnismäßig viele.
Die Concierge im „Prinsengracht Hotel“ ist ratlos: „Ich weiß auch nicht. Er gibt offenbar immer mehr zu sehen. Und ja, es stimmt: Den Overtourism gibt es. Wir sind meistens ausgebucht.“ Die Befürchtung sei, dass Menschen nun wegziehen aus dem Grachtengürtel und Hotels Platz machen, befürchtet Schoonenberg. „Venedig hat 65 000 Einwohner, wir haben 20 000 mehr“, sagt er. „Die nächste Dekade wird zeigen, ob es bei uns auch so wird wie in Venedig.“
Er sieht Amsterdam am Höhepunkt angekommen, am Peak.
Hotelstopp für Amsterdam
Viele Amsterdamer sehen das Gesamtbild differenziert: Es gibt nicht die älteren Touristen, die mit guten Touristen gleichzusetzen sind und den jüngeren gegenüberstehen, die auf Alkohol und Drogen aus sind. Backpacker, die Kultur lieben, dürften allen Amsterdamern willkommen sein. Aber wie lässt sich das steuern?
„Es ist traurig, dass unsere Toleranzschwellen unter Druck geraten“, sagt ein nachdenklicher Walther Schoonenberg. „Wie ändern wir ein Image, das international mit absoluter Toleranz und Freiheit verbunden ist?“
Zunächst plädiert er für einen realen Hotelstopp, der immer noch nicht umgesetzt sei. In der gesamten Region dürften keine neuen Hotels mehr gebaut werden. Sonst führen die Gäste eben mit der Tram in den Grachtengürtel, und das Treiben ginge weiter wie bisher. Airbnb müsse als illegal betrachtet werden, fordert der Amsterdamer: „Wir müssen unsere Häuser gegen Touristen verteidigen, damit die soziale Struktur nicht unwiderruflich verloren geht.“ Ein Haus sei ein Haus für seine Bewohner und eben kein Hotel.
Noch ist in Amsterdam kein spürbarer Effekt des eingeleiteten Kurswechsels festzustellen. Aber die Touristifizierung steht ganz oben auf der politischen Agenda. Warum? Es gibt nicht ausreichend bezahlbaren Wohnraum in der Stadt. Das ist Berlinern sehr vertraut.