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Tacheles: Alternative zur Alternativszene

An der Oranienburger Straße soll ein neues Quartier mit Innenhöfen und einem Flat-Iron-Haus nach New Yorker Vorbild entstehen. Wege von der Friedrichstraße und der Johannisstraße durchqueren das Gebiet.

Auf das Tachelesgrundstück zwischen Oranienburger, Friedrich- und Johannisstraße soll mit einer Bebauung aus Wohnen, Gewerbe und Kultur wieder Leben einziehen. Als besonderen Clou für die jetzt noch brach liegende Fläche hat sich das Schweizer Architektenbüro Herzog & de Meuron einen neuen Stadtplatz an der Oranienburger Straße ausgedacht.

Die Pläne wurden kürzlich im Ausschuss für Stadtentwicklung der Bezirksverordnetenversammlung Mitte vorgestellt. Dem Tagesspiegel liegt die 81-seitige Unterlage exklusiv vor.

Das Wohnen in der City soll bei der Bebauung im Vordergrund stehen. Der laut Bebauungsplan vorgesehene Anteil von mindestens 24 500 Quadratmetern Wohnfläche wurde in dem jetzt vorliegenden Entwurf deutlich auf 42 500 Quadratmeter erhöht. Die Zahl der Wohnungen wird mit 400 bis 450 beziffert. Für den Einzelhandel sind dagegen nur 17 500 Quadratmeter vorgesehen. Die oberirdische Neubaufläche wird insgesamt mit zirka 84 000 Quadratmetern angegeben.

Anhänger von bezahlbaren Mietwohnungen haben sich bereits zu Wort gemeldet

In den nächsten Wochen sollen die weiteren Details der Planung abgestimmt werden. Offen ist noch, ob auch Mietwohnungen im Portfolio sein werden. Dazu konnte der Vertreter des Bauherren, Sebastian Klatt von der pwr development aus der Perella-Weinberg-Gruppe, im Ausschuss noch nichts sagen. Allerdings dürfte dieses Thema bei den Diskussionen im Bezirk noch eine Rolle spielen.

Die Anhänger von „bezahlbaren Mietwohnungen“ in der Bezirksverordnetenversammlung haben sich bereits zu Wort gemeldet. Es bleibt also abzuwarten, ob an dieser Stelle ein Kompromiss mit dem Bauherrn möglich ist.

Auf jeden Fall hat die pwr development mit dem Konzept von Herzog & de Meuron vergangenen Juli im Bezirksamt eine Bauvoranfrage gestellt. Dies ist allerdings noch kein Bauantrag, der für die Erteilung einer Baugenehmigung gestellt werden muss. Die Bearbeitung eines solchen Antrags kann drei Monate oder im Einzelfall auch länger dauern. Wenn alle Unterlagen bis Mitte kommenden Jahres eingereicht werden, wäre ein Baubeginn bis Ende 2016 möglich, teilte das Stadtentwicklungsamt auf Anfrage mit.

Rechts von der einstigen Friedrichstraßenpassage verläuft die Oranienburger Straße. Der Gebäudeteil zur Friedrichstraße hin (links) wurde nach 1980 abgerissen. In den Überresten lebten und arbeiteten bis 2012 Künstler im Tacheles.
Rechts von der einstigen Friedrichstraßenpassage verläuft die Oranienburger Straße. Der Gebäudeteil zur Friedrichstraße hin (links) wurde nach 1980 abgerissen. In den Überresten lebten und arbeiteten bis 2012 Künstler im Tacheles.
© Kai-Uwe Heinrich

Der runde Hof wird keine Kuppel bekommen

Den Architekten ging es bei ihrem Entwurf darum, auf der lange brachliegenden Fläche den alten Stadtgrundriss als historische Reminiszenz wieder aufzunehmen, Blockkanten zu schließen und gleichzeitig ein öffentliches Wegesystem durch das Quartier zu schaffen. Ascan Mergenthaler vom Büro Herzog & de Meuron: „Wir wollen Berlin ein Stück Stadt zurückgeben.“

Dies bezieht sich auch auf die ursprüngliche Nutzung des Komplexes als Friedrichstraßenpassage aus dem Jahr 1909. Der einstige Durchgang von der Oranienburger hin zur Friedrichstraße bekommt in seiner neuen Version im mittleren Bereich wieder einen runden Hof, den im Gegensatz zu früher aber keine Kuppel krönen soll. Erst 1982 war die dekorative Dachkonstruktion gesprengt worden. Nostalgische Befürworter hätten gern wieder eine sogenannte Laterne gehabt. Im jetzt vorgestellten Entwurf wurde aber darauf verzichtet.

Der Charme der Alternativszene kehrt wohl nicht zurück

Die verschiedenen Nutzungen für Erdgeschoss, Dachgeschoss und die dazwischen liegenden Regelgeschosse. In der Mitte oben das bügeleisenförmige Gebäude.
Die verschiedenen Nutzungen für Erdgeschoss, Dachgeschoss und die dazwischen liegenden Regelgeschosse. In der Mitte oben das bügeleisenförmige Gebäude.
© Tagesspiegel/Nils Klöpfel

Die Passage könnte kleinere Geschäfte aufnehmen, wobei eine Mischung wie am nahe gelegenen Hackeschen Markt denkbar ist: schicke Boutiquen, Kunsthandel und moderne Designshops. Wie das Angebot letztlich gestaltet wird, muss sich später zeigen.

Auch was die denkmalgeschützte Tachelesruine betrifft, kann über die künftige Nutzung bisher nur spekuliert werden. So gut wie sicher ist, dass der marode Charme der Alternativszene aus den neunziger Jahren nicht zurückkehren wird. Noch bis vor wenigen Jahren war die Tachelesruine eine Touristenattraktion. In jedem Reiseführer wurde das Besetzerprojekt erwähnt.

Ein besonderes Flair soll das weltbekannte Areal auch künftig haben. Für Architekt Mergenthaler steht fest: „Das Tacheles wird wieder ein kultureller Brennpunkt.“

Der Blick zurück stimmt den Aktivisten wehmütig

Hier sind aber noch Diskussionen zu erwarten. Denn die Erinnerungen an das wilde Leben in dem weit über Berlin hinaus bekannten Kunsthaus sind noch recht frisch. Erst vor drei Jahren hatten die letzten Aktivisten nach langem Widerstand ihr Domizil verlassen. Einer von ihnen war Ludwig Eben, der Betreiber des Café Zapata im Tacheles. Der Blick zurück stimmt ihn wehmütig. Viele hätten nicht verstanden, dass es sich bei diesem Ort um ein Gesamtkunstwerk, eine „soziale Skulptur“ gehandelt habe.

Einst voller Leben, jetzt zugesperrt: Das Tacheles an der Oranienburger Straße
Einst voller Leben, jetzt zugesperrt: Das Tacheles an der Oranienburger Straße
© Kai-Uwe Heinrich

Die turbulente Vorgeschichte ist den neuen Machern bewusst. Sie stellen sich mit ihrem Entwurf in die historische Tradition der einstigen Spandauer Vorstadt, benannt nach der Straße, die einst aus Berlin heraus nach Spandau führte – heute die Oranienburger Straße. Bis auf kleine Änderungen folgt ihre Planung im Wesentlichen dem seit 2003 vorliegenden Bebauungsplan.

Wohnhöfe an der Seite zur Kalkscheune

Dies bestätigt Kristina Laduch, Leiterin des Fachbereiches Stadtplanung im Bezirk Mitte: „Die Verteilung der Baukörper hat sich etwas verschoben. Die Grundzüge der Planung sind aber nicht berührt.“

Am Eingang zum Stadtplatz an der Oranienburger Straße haben die Architekten nach New Yorker Vorbild ein Flat-Iron-Gebäude in der Form eines Bügeleisens konzipiert. Auf der anderen Seite des Platzes ist ein Hotel geplant. Richtung Kalkscheune an der Johannisstraße sind dagegen ruhige Wohnhöfe angedacht. Auch von dort wird man quer durch das Areal sowohl zur Friedrichstraße als auch zur Oranienburger Straße laufen können.

Grandios wölbte sich die Kuppel über der Passage

Die fünfstöckige Passage mit einem der beiden großen Torbögen und der Freitreppe zum Vestibül.
Die fünfstöckige Passage mit einem der beiden großen Torbögen und der Freitreppe zum Vestibül.
© Ullstein Bild

Ähnlich war es früher, als die Friedrichstraßenpassage noch in voller Schönheit prangte. Man betrat sie durch zwei gleichartige hohe Korbtorbögen entweder von der Friedrichstraße oder von der Oranienburger Straße aus. 14 weitere Zugänge aus sieben kleinen Innenhöfen gab es, die bis auf zwei mit dem Auto befahrbar waren.

Die Kuppel in der Mitte der Passage war die erste Stahlbetonkonstruktion jener Zeit in Europa. So etwas gab es damals nur in den Vereinigten Staaten von Amerika: 27 Meter breit und 34 Meter hoch wölbte sie sich über der Passage. Wenn man heute von Konsumtempeln spricht, so wurde damals dafür der Grundstein gelegt.

In nur 15 Monaten entstand das Gebäude zwischen 1907 bis 1908 unter der Leitung des kaiserlichen Baurates Franz Ahrens. 1909 wurde das Kaufhaus eröffnet. Es beherbergte nach der Kaiserpassage Unter den Linden die zweitgrößte Einkaufspassage der Stadt.

Der Saal zum Verkauf von Teppichen war einer Moschee nachempfunden

Über den Torbögen lagen zweigeschossige Säle für Sonderausstellungen. Der Saal über dem Eingang Oranienburger Straße diente dem Verkauf von Teppichen und war einer Moschee nachempfunden. Dieser Torbogen ist heute noch erhalten. Der Saal über dem Eingang Friedrichstraße wurde für Konzerte genutzt. Dieser Teil des Gebäudekomplexes wurde 1982 zusammen mit der Kuppel gesprengt.

Insgesamt hatte die Passage fünf Stockwerke. 49 Schaufenster verteilten sich über eine Gesamtlänge von 153 Metern. Im zweiten Stock war die Passage von drei Brücken überspannt, von denen eine der Rialto-Brücke in Venedig nachempfunden war. Im Erdgeschoss konnte man über eine Treppe direkt in den U-Bahnhof Oranienburger Tor gelangen. Und über eine Freitreppe im Kuppelraum gelangte man in ein mit Travertin ausgestaltetes Vestibül, hinter dem drei weitere Säle lagen.

Neu war damals das Shop-in-Shop-Prinzip: Die Passage war eine Gemeinschaft kleiner Läden mit einer Sammelkasse im Erdgeschoss. Die Geschichte des Standorts ist eine Geschichte der Pleiten: Schon das erste Kaufhausprojekt musste bald nach der Eröffnung wieder schließen. Nachfolger Wertheim konnte sich nur bis 1914 halten. Schließlich nutzte die AEG das Gebäude als Haus der Technik.

Die Jagdfeld-Gruppe kam nicht zum Zuge

Auch in jüngerer Vergangenheit hatten Investoren wenig Glück mit dem Gelände. Bevor die jetzigen Eigentümer um die internationale Fondsgesellschaft Perella Weinberg vor gut einem Jahr das Grundstück inklusive der Tacheles- Ruine und zweier Häuser an der Friedrichstraße erwarben, hatte sich die Jagdfeld-Gruppe vergeblich um eine Bebauung der citynahen Brache bemüht.

Ein bereits seit 2000 vorliegender Masterplan im Stile des „New Urbanism“ verstaubte in der Schublade. Auch einem alternativen Kulturkonzept war am Ende kein Erfolg beschieden.

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