zum Hauptinhalt
Viele wünschen sie flexiblere Arbeitszeiten.
© dpa

Arbeitswelt: Die Zeiten ändern sich

Eine geregelte Freizeit wird immer wichtiger. Auch Unternehmen sollten begreifen, dass Menschen besser arbeiten, die ein Leben neben der Arbeit haben. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Kevin P. Hoffmann

Immerhin: Nachtarbeit und Arbeit am Wochenende sind weiterhin die Ausnahme in Deutschland: Vier von fünf abhängig Beschäftigten arbeiten werktags in dem Zwölf-Stunden-Fenster zwischen 7 und 19 Uhr. Das ist nicht das überraschendste, aber vielleicht wichtigste Ergebnis einer aktuellen repräsentativen Umfrage einer Bundesbehörde unter 20 000 Arbeitnehmern. Denn es bedeutet: Der überwiegende Teil der Arbeitnehmer hat weiter abends und am Wochenende Freizeit, um diese mit Familie, mit Freunden im Sportverein oder in einer Partei zu verbringen. Soziales Leben kann weiter stattfinden in diesem Land.

Das ist eine gute Nachricht. Selbstverständlich ist sie nicht. Denn auch das geht aus der Befragung hervor: Fast alle, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, wünschen sich Flexibilität. Und sie bekommen sie, mitunter sogar mehr davon, als ihnen guttut. Flexibilisierung – heute kann sich jeder die Bedeutung des Wortes zurechtbiegen: Ein Arbeitgeber versteht darunter in der Regel die Bereitschaft des Arbeitnehmers, möglichst immer und überall erreichbar zu sein und Aufträge spontan zu erledigen. Der Arbeitnehmer erhofft von einem „flexiblen“ Arbeitgeber Bereitschaft, auf persönliche Lebensumstände Rücksicht zu nehmen, Teilzeit für Kinderbetreuung oder Pflege Angehöriger zu ermöglichen und Voraussetzung fürs Home-Office zu schaffen.

Im besten Falle passen die Ansprüche beider Seiten zusammen. So gibt es sicher mehr abhängig Beschäftigte als noch vor 30 Jahren, die sich sehr wohl fühlen in der Rolle als dynamisch flexible Mitarbeiter, die froh sind um alle modernen Kommunikationsmittel, die ihnen das Arbeiten von jedem Ort der Welt ermöglichen. Diese Mitarbeiter leiden eher unter dem Gefühl, dass ihr Arbeitgeber sie ausbremst. Diese Gruppe lebt, um zu arbeiten, und sie hat kein Verständnis für Hausgewerkschaften und Betriebsräte, die auf der Stechuhr für alle Mitarbeiter bestehen und Tarifverhandlungen führen, als lebten wir noch in der klar strukturierten Arbeitswelt eines Karl Marx oder Charles Dickens.

Beispiel Automobilindustrie

35-Stunden-Woche? „Samstags gehört Vati mir“? Solche Forderungen wirken anachronistisch. Die Sehnsucht nach geregelter Freizeit aber ist es nicht. Deren Wert steigt sogar mit wachsender Komplexität unserer Gesellschaft. So signalisiert die Lokführergewerkschaft GDL zum Auftakt ihrer Tarifverhandlungsrunde mit der Deutschen Bahn, dass sie bei ihrer Lohnforderung Abstriche machen könne, sofern die Bahn bereit sei, die Arbeitszeit zu reduzieren. Dahin geht der Trend. Und bei allen Fantasien um die digitale Revolution wird leicht übersehen, dass sich viele Tätigkeiten auf absehbare Zeit nur im Schichtbetrieb und nur von Menschen aus Fleisch und Blut erledigen lassen – vom Krankenhaus bis zur Kindertagesstätte. Vor allem da, wo Menschen an und mit Menschen arbeiten, hat Flexibilisierung ihre Grenzen.

Besonders modern sind Arbeitgeber, zum Beispiel aus der Automobilindustrie, die erkannt haben, dass Mitarbeiter nicht grenzenlos flexibel sein können, nicht einmal die, die es gern wären. Bereits etabliert sind zum Beispiel Sperren gegen nächtliches Dienst-E-Mail-Schreiben. Das hat wenig mit Altruismus oder christlicher Nächstenliebe bei diesen börsennotierten Konzernen zu tun, sondern mit der Erkenntnis, dass Mitarbeiter die ein Leben neben der Arbeit haben, schlicht besser arbeiten.

Zur Startseite