Entwicklungsminister Gerd Müller: Hunger ist auch ein wirtschaftliches Problem
Wer mangelernährt ist, wird schneller krank und kann sich nicht entfalten, schreibt Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU). In einem Tagesspiegel-Gastbeitrag wirbt er für mehr Einsatz im Kampf gegen den Hunger und eine andere Einstellung zum Essen.
Mehr als 800 Millionen Menschen gehen hungrig zu Bett. Jeden Abend. Zwei Milliarden Menschen sind chronisch mangelernährt. Es sterben mehr Menschen an den Folgen von Hunger und Mangelernährung als an HIV-AIDS, Tuberkulose und Malaria zusammen. Ein Kind, das nicht gut ernährt ist, wird schneller krank. Ein Kind, das nicht gut ernährt ist, lernt schlecht. Ein vom Hunger ausgezehrter Mensch hat nicht die Kraft, sich selbst aus Armut zu befreien. Hunger ist nicht nur ein Skandal – er ist das größte Hindernis für Entwicklung.
Die Erde produziert schon jetzt genügend Nahrung für alle. Auch in Zukunft, für eine weiter wachsende Weltbevölkerung. Damit alle Menschen ausreichend und gut zu essen haben, muss in vielen Ländern die Landwirtschaft modernisiert werden. Landwirtschaft muss Arbeit und Einkommen schaffen – auf dem Land, dort, wo die meisten Armen und Hungernden leben. Viel zu viele Nahrungsmittel gehen nach der Ernte verloren, schaffen nicht den Weg vom Acker zum Teller. Weil sie verrotten, von Schimmel befallen oder von Insekten gefressen werden; weil sie nicht richtig gelagert werden und weil die Straßen fehlen, auf denen sie zum Markt transportiert werden können. Und bei uns: Im Durchschnitt wirft jeder von uns im Jahr 65 Kilogramm Lebensmittel in den Müll. Auch unsere Einstellung zum Essen muss sich ändern.
Bessere Anbaumethoden gibt es
Gleichzeitig droht die Welt den Boden unter den Füßen zu verlieren. Mehr als 50 Prozent der weltweiten Ackerfläche gilt als degradiert, hat ihre Ertragskraft eingebüßt. Wassersparende und bodenschonende Anbaumethoden sind bekannt, sie müssen sich nur überall auf der Welt durchsetzen. Eine Welt ohne Hunger ist möglich. Und das nicht nur heute, sondern dauerhaft. Die G7 kann dies tatkräftig unterstützen. Hierfür möchte ich meine Partner in der G7 gewinnen.
Wir brauchen ländliche Entwicklung, überall auf der Welt. Hunger gehörte auch, noch bis in die jüngere Vergangenheit, zum Schicksal des ländlichen Raumes in Deutschland. Es gibt viele Gründe dafür, dass dieser Hunger bei uns überwunden wurde. Einer war die Entwicklung einer organisierten dörflichen Selbsthilfe. „Einer für alle, alle für einen“ – dies war und ist heute noch die Leitidee des ländlichen Miteinanders. Friedrich Wilhelm Raiffeisen und viele andere schufen eine zentrale Basis unseres Gemeinwesens, die aus unserem Leben nicht wegzudenken ist.
Landwirte brauchen Sicherheit
Deutsche Erfolgsgeschichten können nicht eins zu eins auf andere Teile der Welt übertragen werden. Trotzdem hat das Prinzip der Selbstorganisation und Selbstverantwortung universelle Gültigkeit. Es kann in allen Teilen der Welt gefördert werden, und genau dies gehört zu meinen Zielen als Entwicklungsminister. Wir wissen auch, wie wichtig Landeigentum und die Sicherheit von Landrechten ist. Ohne dies ist eine leistungsfähige Landwirtschaft nicht möglich. Aber genau an solchen Landrechten mangelt es vielerorts. Daher arbeiten wir intensiv an der Verbesserung der Landrechtssituation, vor allem in Afrika und Asien.
Innovation ist der Schlüssel zur Produktivitätssteigerung in der Landwirtschaft. Innovation ist der Ausgangspunkt für einen sozial ausgewogenen Strukturwandel im ländlichen Raum vieler Entwicklungsländer. Forschung, Bildung und Beratung, die Stärkung der Rechte von Frauen, der Einsatz angepasster Technologie und institutionelle Reformen. So wird die Basis für eine umfassende Entwicklung der gesamten Agrar- und Ernährungswirtschaft geschaffen – und damit die Grundlage für eine nachhaltige Belebung des ländlichen Raumes.
Der Autor ist der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Am Dienstag eröffnet Gerd Müller in Berlin die Konferenz „Eine Welt ohne Hunger – Unsere Verantwortung“.
B, esentwicklungsminister Gerd Müller