Chef der Beratungsfirma Roland Berger: "Handeln Chinas Firmen wie Vampire?"
Chinesen kaufen Firmen auf, die enorm große Wirtschaftskraft macht vielen Angst. Wir müssen lernen China besser zu verstehen, schreibt unser Gastautor, der Chef der Unternehmensberatung Roland Berger.
Von der deutschen Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet findet noch bis Montag in Peking das „China Development Forum“ statt. Dort tauschen sich alljährlich chinesische Regierungsvertreter mit ausgewählten Wirtschaftsführern und Wissenschaftlern aus. Etwa 80 internationale CEOs nehmen teil, darunter eine Handvoll Chefs deutscher Unternehmen. Unter dem Motto „China in der neuen Ära“ diskutieren wir, wie die Volksrepublik bis zu ihrem 100. Geburtstag im Jahr 2049 zur führenden „Industrie-Supermacht“ aufsteigen will.
Was heißt dieser Machtanspruch für uns Europäer? Sollten wir jetzt erst recht Angst vor China bekommen wie manche immer wieder behaupten? Handeln chinesische Firmen tatsächlich wie „Vampire“, die nur unsere Technologien ergattern wollen und die guten westlichen Unternehmen langsam „aussaugen“?
"Dass das Amerika nicht gefällt, ist klar"
Es ist normal, wenn China als größtes Land der Erde mit rund 1,4 Milliarden Einwohnern und über 150 Millionenstädten zunehmend eine globale Führungsrolle übernimmt. Dass das Amerika nicht gefällt, ist klar. Was Donald Trump allerdings mit seinen Einfuhrzöllen auf Stahl und Aluminium anrichtet, sollte uns ebenso beunruhigen wie die sozialistische Marktwirtschaft Chinas. Deshalb wehre ich mich gegen das Klischee der chinesischen Heuschrecken. Die Realität ist vielschichtiger. Wir müssen ein für alle Mal verstehen, dass Chinesen anders ticken. Sie folgen nicht unseren westlichen Mustern, ihre Motive sind ganz verschieden.
Seit zwölf Jahren verbringe ich gut die Hälfte meiner Zeit in China. Was mich vor allem fasziniert, ist die langfristige Orientierung der Menschen. Für mich sind die chinesischen Wirtschaftserfolge eng mit der besonderen Art der Unternehmensführung verknüpft. Es gibt einen sozialen Zusammenhalt, der auf jahrtausendealten Traditionen basiert. Übrigens kamen viele chinesische Firmen durch die Finanzkrise, indem allen zu gleichen Teilen das Gehalt gekürzt wurde. Inklusive der Chefetage. Das wäre in westlichen Konzernen undenkbar.
Wir sollten endlich lernen China, besser zu verstehen!
Während Manager westlicher Prägung gerne ausschließlich über ihren Betrieb oder ihre Branche sprechen, lieben es Chinesen, sich über Philosophie und Moral, ja sogar über spirituelle Fragen auszutauschen. Oder geben sie sich etwa nur den Anschein und wollen uns doch genüsslich zum Frühstück verspeisen?
Nein, wir sollten endlich lernen, China besser zu verstehen! Es gibt dort nämlich sehr viel Neues zu entdecken. Die Rückbesinnung der chinesischen Manager auf ihre kulturellen Wurzeln ist für mich eine sehr interessante Entwicklung. Die Phase der Amerikanisierung in China scheint vorbei – auch deshalb, weil reine US-Managementmethoden in der Umsetzung nicht funktionieren. Der Computerghersteller Lenovo amerikanisierte sich nach dem Kauf von IBM völlig, wechselte dann aber wieder zu seinem chinesischen Modell zurück. Aus derartigen Erfahrungen entsteht allmählich ein dezidiert chinesischer Stil der Unternehmensführung. Diesen führe ich auf den Dreiklang „Spirit, Land und Energie“ zurück.
1. Spirit: Werte und Kontinuität
I Ging, das 3000 Jahre alte „Buch der Wandlungen“ als klassische Moralphilosophie und die Lehre des Konfuzius haben den chinesischen Spirit geprägt. Die Vorstellung, dass die Macht der Mächtigen auch Wohlverhalten bedingt, ist seit mehr als 1000 Jahren tradiert. Ob Familie, Organisation, Unternehmen oder Volk – die Gruppe bleibt wichtiger als das Individuum. So begegnet man Ego-Trips in China eher ungnädig. Das gilt auch für CEOs. Viele chinesische Unternehmer beherzigen dieses Ethos und investieren gern in „Mitarbeiter-Incentives“, wie wir im Westen sagen würden.
2. Land: Stabilität der Gesellschaft
Die Regierung stellt den starken, sicheren und stabilen Rahmen für alle Wirtschaftsaktivitäten. Dieses riesige Land braucht eine starke Zentralregierung, die aktuell beispielsweise den Umweltschutz durchsetzt und die Korruption bekämpft.
Der Erfolg ist sichtbar und bringt Wohlstand. Seit der 1978 unter Deng Xiaoping begonnenen Reform- und Öffnungspolitik schafften etwa 800 Millionen Menschen den sozialen Aufstieg – für über 50 Prozent der Bevölkerung eröffnete sich eine Perspektive jenseits der bitteren Armut. Heute zählen rund 300 Millionen Chinesen zu den „Konsumbürgern“. In den nächsten zehn Jahren wird die Mittelklasse 500 Millionen Menschen umfassen und das chinesische Bruttoinlandsprodukt das der USA übertreffen.
3. Energie: Unternehmergeist
Die Chinesen sind geborene Entrepreneure. Ich spüre das überall: Agilität, Dynamik und Offenheit für Neues. Für die Menschen gibt es viele Premieren. Das erste Elektro-Auto besitzen, neue Online-Services nutzen, bargeldlos mit dem Smartphone bezahlen (was in China überall möglich ist) oder eben zum ersten Mal als Entrepreneur handeln beziehungsweise Managerfunktionen übernehmen. Chinesische Unternehmen sind jung – meist jünger als 30 Jahre. Oft werden sie noch von ihren Gründern geführt.
China ist innovativ. Während der CEO bei uns noch als heldenhafte Führungskraft gilt, hat der global agierende Telekommunikationsausrüster Huawei das Prinzip des rotierenden CEO eingeführt. Drei stellvertretende Vorstandschefs wechseln sich alle sechs Monate ab. Selbst wenn Gründer Ren Zhengfei das Vetorecht des Ersten unter Gleichen besitzt, fungiert er als Coach und Mentor des rotierenden CEO.
Jack Ma, der Gründer von Alibaba, Chinas führendem Internetkonzern, stellt den Wandel als einzige unveränderliche Rahmenbedingung des Wirtschaftens heraus. Er spricht oft von der harmonischen Entwicklung des Unternehmens – ganz in der Balance von Yin und Yang. Gleichzeitig bewundert er westliche Entrepreneure wie Sam Walton, der bei Walmart, seiner von ihm gegründeten US-Einzelhandelskette, im letzten Jahrhundert die neuartige Idee des Kundenservice einführte.
Die Marktöffnung verläuft nach Plänen
In Management und Wirtschaft mischen sich äußere Einflüsse mit explizit chinesischen Ansichten. So tritt in China ein neues Managementmodell zutage. Dabei ist heute die chinesische Position deutlicher zu erkennen als früher. Birgt das nun vor allem Risiken? Ich finde nicht. Seit den 1990er Jahren haben sich uns etliche Chancen in der Volksrepublik eröffnet. Und wir handeln genauso nach unseren westlich-europäischen oder gar nationalen Beweggründen. Jeder verfolgt seine Agenda.
Wichtig ist und bleibt das Verständnis füreinander. Hier knüpft das „China Development Forum“ an. Nehmen wir den Dialog auf und lernen mehr über die weitere Marktöffnung. Sie verläuft anhand strategischer Pläne. Ob „Made in China 2025“ oder die „Neue Seidenstraße“: China positioniert sich global und strebt die Wertschöpfungskette empor. Es geht jetzt weniger um billige Massenware als um die Innovationsführerschaft in den Spitzentechnologien.
Sicher müssen wir von China Reziprozität in Handelsfragen einfordern. Vergessen wir nicht: Peking besitzt ein großes Interesse an stabilen Beziehungen. Für Deutschland hat sich China zum größten Handelspartner entwickelt und zu einem starken Wettbewerber – ganz ähnlich wie die USA.
Der Autor Charles-Edouard Bouée ist seit seit 2014 Vorstandsvorsitzender der Unternehmensberatung Roland Berger mit Zentrale in München. Der 49-Jährige verantwortet sei 2006 das China-Geschäft. Zudem verantwortet er die Regionen Asien und Südwesteuropa. Am „China Development Forum“ nimmt er bereits zum dritten Mal teil. 2018 geht es um das Thema "Der neue Lebensstil in der Ära künstlicher Intelligenz". Bouée hat mehrere Bücher über Management, China sowie künstliche Intelligenz veröffentlicht und und hält unter anderem einen MBA der Harvard Business School.
Charles-Edouard Bouée