Deutscher Mittelstand: Gute Stimmung, aber Angst vor dem Brexit
Deutsche Mittelständler schauen derzeit erstaunlich zuversichtlich auf das laufende Geschäftsjahr 2016. Das geht aus einer Umfrage unter 1500Firmen hervor, die dem Tagesspiegel exklusiv vorliegt.
Laut der aktuellen Mittelstandsstudie der WGZ Bank, der DZ Bank und des Bundesverbandes der deutschen Volks- und Raffeisenbanken (BVR) hat sich die Stimmung im deutschen Mittelstand im Vergleich zum vergangenen Herbst deutlich erholt und liegt auf „sehr hohem Niveau“. Die Geschäftserwartungen seien gestiegen, die Investitionsplanungen hätten ein Allzeithoch erreicht, die Unternehmen planten weitere Neueinstellungen, auch in Ostdeutschland, auch wenn sie dort nicht so hoch ausfallen sollen wie im Westen.
Aktuell größte Sorge der Mittelständler ist ein möglicher Brexit und damit der Austritt Großbritanniens aus der EU. Die Mehrzahl rechnet mit negativen Folgen für ihr Geschäft. Allerdings sehen sich auch fast 30 Prozent der Firmen von einem Brexit nicht betroffen. Sorgen bereitet den Firmen der zunehmende Mangel an Fachkräften. Insgesamt aber scheine für den Mittelstand einem erfolgreichen Jahr 2016 nichts im Wege zu stehen, sagt Stefan Zeidler, Firmenkundenvorstand der DZ Bank.
Die Mittelständler, die für mehr als 90 Prozent der Arbeitsplätze in der deutschen Wirtschaft stehen, präsentieren sich, so Zeidler, aktuell in „guter Stimmung“. Sie bewerteten ihre Lage auf einem ohnehin schon sehr hohen Niveau nochmals leicht besser als vor sechs Monaten. „Außerdem blicken sie deutlich zuversichtlicher auf die nächsten sechs Monate“. 84,4 Prozent der Firmen sprechen von einer guten bis sehr guten Lage, der Rest beurteilt die Situation als schlecht oder eher schlecht. Unzufrieden sind vor allem kleinere Unternehmen. Grund: Darunter gibt es sehr viele Landwirte. Generell sind die Geschäftserwartungen gestiegen, die Optimisten sind der Umfrage zufolge klar in der Mehrheit. Positiv schätzen vor allem Baufirmen die Entwicklung ein. Deren Geschäft wie auch das von Handel und Dienstleistern konzentriert sich auf das Inland. Dabei kommt den Firmen vor allem die gestiegene private Nachfrage zugute.
Im Gegenzug sinkt das Auslandsgeschäft des Mittelstandes. Aktuell sind nur noch knapp 54 Prozent der Firmen jenseits der Grenze aktiv Das ist der niedrigste Wert seit fast drei Jahren, vor einem Jahr waren es noch mehr als 57 Prozent. Grund ist nach Überzeugung von Zeidler vor allem die Schwäche der Schwellenländer - „das wenig dynamische Wachstum in China und insbesondere die anhaltende Rezession in Brasilien und Russland“. Erstaunlicherweise haben aber ostdeutsche Firmen ihre Aktivität im Ausland verstärkt. Der Anteil stieg auf 45 Prozent gegenüber 41,5 Prozent im Herbst.
Mehr als 81 Prozent der Firmen wollen in den nächsten sechs Monaten investieren. Das ist der höchste Wert seit der ersten Umfrage 1995. Hier gibt es die älteren Studien der Reihe. Erstmals sind es mehr als 80 Prozent. Im langjährigen Schnitt liegt die Investitionsquote bei gut 71 Prozent. Knapp ein Drittel wollen ihre ohnehin geplanten Investitionen noch steigern. „Angesichts der noch relativ schwachen Investitionstätigkeit in Deutschland ist das ein überaus erfreuliches Signal“, betont Zeidler. „Die Investitionsplanungen des Mittelstandes sind auf ein neues Allzeithoch gestiegen“.
Bürokratie, Facharbeitermangel und steigenden Lohnkosten
Damit verbunden ist auch ein geplanter Anstieg der Beschäftigung. Knapp ein Drittel der Firmen hat seit Herbst eingestellt, 25 Prozent wollen weiter aufbauen. Nur neun Prozent der Mittelständler denken an Stellenabbau. Das sind vor allem kleinere Unternehmen mit weniger als 20 Beschäftigten. Generell hat sich nur in der Agrarwirtschaft die Beschäftigungslage weiter verschlechtert. Diese Tendenzen gelten für West- wie für Ostdeutschland. „Die Personaloffensive im deutschen Mittelstand hält jetzt bereits seit 2010 an“, sagt Zeidler. Der Mittelstand bleibe Motor für die gute Entwicklung des deutschen Arbeitsmarktes. Davon werde auch der private Konsum profitieren.
Skeptisch schauen die Firmen auf den 23. Juni, wenn die Briten über den Austritt aus der EU, den Brexit, abstimmen. Großbritannien war 2015 drittgrößter Exportmarkt für deutsche Unternehmen. 82 Prozent der Mittelständler befürchten negative Auswirkungen bei einem Brexit - allein 32 Prozent durch mehr Bürokratie und 22 Prozent durch Zölle. Die größten Sorgen gibt es in der Chemie- und Kunststoffindustrie. Aktuell sieht der deutsche Mittelstand daneben Probleme vor allem durch zunehmende Bürokratie, den Facharbeitermangel - 64 Prozent klagen darüber – sowie steigende Lohn- und Gehaltskosten. Positiv werden dagegen die gesunkenen Rohstoff- und Energiekosten bewertet.
Mit den Banken hat der Mittelstand der Umfrage zufolge derzeit keine Schwierigkeiten. Rund 52 Prozent sind mit ihrer Hausbank zufrieden oder sehr zufrieden. Allerdings sinkt auch der Finanzierungsbedarf dank steigender Eigenkapitalquoten und höherer Liquidität. Weniger als 20 Prozent brauchen finanzielle Unterstützung der Banken. Investitionen werden meist aus eigener Kraft gestemmt.
Für diese repräsentative Umfrage hat das Institut nhi2 in Bonn zwischen dem 29. Februar und 13. April die Geschäftsführer von rund 1500 mittelständischen Unternehmen aus dem gesamten Bundesgebiet befragt.