Grexit-Debatte: Griechenlands möglicher Abschied vom Euro
Trennt sich Griechenland vom Euro, wäre das in jeder Hinsicht eine Herausforderung – nicht nur für Griechen. Was lange ausgeschlossen blieb, wird immer wahrscheinlicher: ein Bankrott Griechenlands ohne Austritt aus der Währungsunion.
Jede Woche ein neuer Aufreger: Am Mittwoch ging es in Brüssel um die Frage, ob Politik-Schreck Yanis Varoufakis heimlich eine vertrauliche Sitzung seiner europäischen Finanzministerkollegen mitgeschnitten hat. „Skandal“, riefen die einen, „alles Lügen, Lügen, Lügen“, rief der Grieche. Das wirkt wie Kinderkram gegen das, was Millionen Griechen – und nicht nur die – erwarten dürfte, wenn das Land tatsächlich aus dem Euro-Raum ausscheiden muss.
Es gibt erste Planspiele und Szenarien, wie der Ausstieg – „Exit“ – der Griechen, also der „Grexit“, technisch und im Alltag zu organisieren wäre. Brauchbare historische Erfahrungen gibt es keine.
Bisher hat Athen pünktlich gezahlt – wenn auch mit Tricks
Glaubt man den jüngsten Umfragen, dann wollen drei Viertel der Griechen den Euro behalten. Bisher hat Athen auch alle Raten für seinen enormen Schuldenberg pünktlich gezahlt. Für die jüngste Rate an den Internationalen Währungsfonds (IWF) griff die Regierung von Alexis Tsipras allerdings in die Trickkiste und zapfte das Konto des Landes beim IWF selbst an. Das Geld muss innerhalb eines Monats wieder zurückgezahlt sein. Doch wovon? Auch woher weitere 8,7 Milliarden Euro kommen sollen, die bis August fällig sind, weiß derzeit niemand. Hilfsgelder liegen zwar bereit, sind aber an die bereits vereinbarte Umsetzung eines Reformprogramms gekoppelt, was Athen ablehnt. Ein Staatsbankrott rückt also näher. Was müsste dann geschehen? Wäre ein Grexit, also der Austritt aus der Eurozone, unausweichlich? Und was geschähe im Fall eines Grexits im Griechenland selbst?
Friedrich Heinemann, Finanzwissenschaftler am Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim, glaubt nicht an einen Grexit. Es sei zwar durchaus möglich, dass das Land in die Zahlungsunfähigkeit schlittern werde, weil zur Rückzahlung
anstehende Kredite nicht getilgt, Schulden nicht bedient oder öffentliche Angestellte nicht mehr bezahlt werden könnten. Doch selbst dann sei ein Grexit unwahrscheinlich. Heinemann: „Eine Regierung, die ernsthaft aus einem Währungsraum aussteigen will, muss dies aktiv betreiben und sorgfältig vorbereiten.“ Sie müsse neue Geldscheine entwerfen und drucken lassen, Gesetze zur Umstellung der Konten planen und überlegen, wie sie die Griechen daran hindern könnte, ihr Geld aus Furcht vor Inflation und Abwertung komplett von den Banken abzuziehen. Von solchen Vorbereitungen aber sei in Athen nichts zu bemerken.
Bankrott, aber nicht zum Grexit bereit
Heinemann glaubt für den Fall eines Bankrotts eher an einen raschen Kollaps der Regierung, gefolgt zum Beispiel von einem Zusammenbruch des öffentlichen Gesundheitssystems und gravierenden humanitären Problemen, dann von Neuwahlen oder zumindest einer neuen Koalition. In diesem Fall würde „Europa natürlich sofort wieder helfen“, anstehende Rückzahlungen kurzfristig aufschieben und einer neuen Regierung eine neue Chance zur Einigung mit den Geldgebern geben. Damit wäre Zeit gewonnen. Auch der Chefvolkswirt der DZ-Bank, Stefan Bielmeier, hält es für möglich, dass ein Zahlungsausfall nicht in einem Grexit mündet.
Andere Wirtschafts-Experten wie der Zypriote und Wirtschafts-Nobelpreisträger Christopher Pissarides halten einen teilweisen und befristeten Grexit mit Hilfe einer Parallelwährung für das beste Mittel gegen die akute Geldnot. Athen könnte – in theoretisch unbegrenzter Höhe – eine Art von Schuldscheinen ausgeben, mit denen der Staat seine Beamten und Rentner bezahlen und Sozialleistungen überweisen könnte. Innerhalb Griechenlands könnten diese Schuldscheine, ob sie nun IOU (I-owe-you-Schuldscheine), Geuro (für Griechen-Euro) oder Neue Drachme genannt werden, neben dem Euro ein gesetzliches Zahlungsmittel sein, zu dessen Annahme alle Geschäfte und Unternehmen per Gesetz verpflichtet werden müssten. Die Auslandsschulden blieben in Euro bestehen und müssten auch in Euro bedient werden. Allerdings: Damit entstünde eine Art Zweiklassengesellschaft in Griechenland, aus jenen, die per Schuldschein bezahlt würden – und jenen, die ihr Geld zumindest teilweise weiter in Euro erhielten, etwa bei privaten Unternehmen. Denn natürlich würden die Schuldscheine sofort erheblich gegenüber der Hintergrund-Währung Euro abwerten. Der Vorteil: Sobald das Land wieder liquide wäre, erklärt Pissarides, könnte es die Parallelwährung langsam wieder einziehen.
Pro Woche fließen 700 Millionen Euro aus Griechenland
Zusätzlich müsste Athen Kapitalverkehrskontrollen einführen, also den Zugriff auf die Euro-Bestände beschränken. Zypern hat dies 2013 in der Bankenkrise des Landes ebenfalls getan: So durfte jeder Zypriote zunächst maximal 1000 Euro auf Auslandsreisen mitnehmen, zusätzlich durfte niemand mehr als 190 Euro pro Tag von seinem Konto abheben. Die Maßnahmen funktionierten, soeben hat das Land die Kapital-Kontrollen wieder komplett aufgehoben. Auch auf die Griechen könnten solche Maßnahmen zukommen. Denn das griechische Bankensystem hat ein enormes Liquiditätsproblem: Allein seit Mitte Februar haben Privatkunden 22 Milliarden Euro in bar abgehoben oder ins Ausland überwiesen. Jede Woche fließen weitere 700 Millionen Euro ab. Viele Griechen horten ganze Bündel von Scheinen zu Hause. Ausländische Banken arbeiten kaum mehr mit den griechischen Instituten zusammen, die dafür umso mehr auf die finanzielle Notfallversorgung durch die Europäische Zentralbank angewiesen sind.
Sollte der Grexit doch kommen, wäre dieser Geldfluss zur Bankenversorgung aus dem Frankfurter Eurotower jäh gestoppt. Damit es nicht zu einem Banken-Run und einer Panik der Griechen kommt, die im Chaos rund um den Austritt noch ihr gesamtes restliches Geld abheben, damit aber gleichzeitig Menschen und Unternehmen überhaupt an Geld kommen, wären monatelange und geheime Planungen im Vorfeld nötig. Geklärt sein müsste nicht nur, welche Geldscheine die Griechen dann in ihren Geldbörsen haben und zu welchem Kurs sie die neue Währung in Euro, Dollar oder andere Devisen tauschen können. Es müsste auch die gesamte Export-, Import- und Finanzwirtschaft vorbereitet und dann schlagartig umgestellt werden, von den Supermarktkassen über Online-Shops bis zu Geldautomaten. Die Banken müssten mit ausreichend (Bar-)Geld in der neuen Währung versorgt sein. Soweit bekannt ist, hat Athen hier nichts geplant oder in Arbeit. Im Fall einer Zahlungsunfähigkeit Athens, doch ohne den Wunsch zum Euro-Austritt, müsste die EZB entscheiden, ob sie den Banken dennoch weiter Notfallgelder zur Verfügung stellt.
Vorbilder in der Geschichte gibt es nicht: ein Grexit ist Neuland
Nötig sein könnten Schuldscheine auch bei einem kalten, übereilten Bankrott samt raschem Austritt aus der Eurozone, dem so genannten Graccident (aus Greece und Accident für Unfall), wie ihn auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) für möglich hält. Manche Fachleute stellen sich vor, dass Griechenland dann einfach den Schuldendienst einstellt, im Handstreich eine (vielleicht noch provisorische) Notwährung schafft und zu diesem Zweck vielleicht notdürftig die Euro-Scheine überstempelt, bis Schuldscheine oder eine neue Währung gedruckt sind. Wie im Fall eines kontrollierten Austritts, also eines Grexits müsste Athen dann zu drastischen Maßnahmen greifen: Um zu verhindern, dass die Griechen ihr Geld komplett von den Banken abziehen, müssten alle Banken und Online-Institute wohl für rund eine Woche schließen. Guthaben bei Banken, Versicherern oder Pensionswerken würden nach einem Umtauschkurs, der noch festzulegen wäre, per Knopfdruck in die neue Währung umgetauscht.
„Das wäre letztlich nichts anderes als eine Teil-Enteignung der Bürger", erklärt Europa-Spezialist Heinemann. Denn ihr Geld wäre plötzlich deutlich weniger wert als vorher. Auslandsreisen würden für Normalgriechen ebenso teuer wie Importprodukte, also etwa Rohstoffe, Autos oder Lebensmittel, von denen Griechenland einen großen Teil importieren muss. Die Inflationsraten könnten sich vervielfachen. Unternehmen würden abwandern, Investoren ausbleiben. Umgekehrt würden sich griechische Produkte auf den Euro-Märkten oder der Griechenland-Urlaub für Reisende aus der Euro-Zone erheblich verbilligen, was dem Land langfristig vielleicht wieder etwas auf die Beine helfen könnte. Auf absehbare Zeit jedoch, glaubt Heinemann, wären ein Grexit und ein Graccident zunächst ein „erheblicher Wohlstands- und Vermögensverlust für alle Griechen.“ Erfahrungswerte aus der Geschichte, die konkrete Hinweise für die Folgen eines Austritts aus einem Währungsraum sind, gibt es nicht – ein Grexit wäre Neuland. Zwar haben sich Länder wie Lettland, die DDR oder auch die Länder des ehemaligen Jugoslawien neuen Währungen zugewandt, doch unter völlig anderen Umständen, kriegsbedingt oder aus politischer Notwendigkeit.