Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen: Geteilter Rat
Der Sachverständigenrat gibt den Ampel-Parteien unterschiedliche Empfehlungen zum Umgang mit Schulden und Investitionen. Aber es gibt Schnittmengen.
Sie sind die wichtigsten wirtschaftspolitischen Berater der Bundesregierung. Also auch der Regierung, die gerade im Entstehen ist. Doch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – so lautet der offizielle Name – ist derzeit in einer ungewöhnlichen Situation. Die Wirtschaftsweisen (das ist die gängige Kurzbezeichnung) sind nämlich nur zu viert. Der Platz des kürzlich ausgeschiedenen Ökonomen Lars P. Feld ist nicht besetzt.
Weshalb es dieses Mal in einem heiklen Punkt der Ampel-Gespräche keine Mehrheitsmeinung mit angeschlossenem Minderheitsvotum des Gremiums gibt, sondern einfach mal zwei gleichrangige Positionen. SPD, Grüne und FDP haben nun die Wahl: In der Frage, wie man die heiß debattierten Transformationsinvestitionen hin zu mehr Klimaschutz und Digitalisierung anschieben kann, können sich alle Ampel-Parteien nun bei der Beraterrunde bedienen.
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Die FDP wird das bevorzugt bei Veronika Grimm und Volker Wieland tun. Die beiden Ökonomen aus Erlangen und Frankfurt am Main betonen in dem am Mittwoch vorgelegten Jahresgutachten die "bedeutendere Rolle der privaten Investitionen" auch in diesem Transformationsprozess. Beim Klimaschutz favorisieren sie nicht zuletzt den CO2-Preis als Lenkungsinstrument. Sie verteidigen auch die Schuldenbremse, die das Steigen der staatlichen Investitionen in den vergangenen Jahren nicht verhindert habe und die sich in der Pandemie als flexibel erwiesen habe. Auch der Bundesrechnungshof gab am Mittwoch ein Plädoyer für die Schuldenbegrenzung ab.
Übergangslösung möglich
Aber Grimm und Wieland haben erkannt, dass in der Politik auf breiter Ebene das Verlangen herrscht, die Schuldenbremse weiter auszulegen und in den kommenden Jahren mehr Kreditfinanzierung zu ermöglichen. Sie lassen daher durchblicken, dass sie sich eine „Übergangslösung“ vorstellen könnten – Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) hatte eine solche schon im vorigen Winter ins Gespräch gebracht. Aber diese Übergangsregelung müsse sicherstellen, dass tatsächlich zusätzliche Investitionen finanziert würden und die neuen Schulden nicht allein Spielräume im Etat für nicht-investive Ausgaben schaffen sollen.
Was die Instrumente angeht, sind die Einwände von Wieland und Grimm in zwei Bereichen eher moderat: bei der höheren Eigenkapitalausstattung bestehender öffentlicher Unternehmen (etwa der Bahn oder der Kreditanstalt für Wiederaufbau) und bei der Schaffung neuer, juristisch selbständiger Investitionsgesellschaften, die staatsfern aufgestellt werden.
Dauerhafte Kreditfinanzierung
Die Ratsmitglieder Monika Schnitzer (Uni München) und Achim Truger (Uni Duisburg-Essen) dagegen plädieren für ein offensiveres Herangehen. Sie fordern eine dauerhaft höhere Kreditfinanzierung „zukunftsbezogener Ausgaben“ etwa über einen großen Investitionsfonds, wie ihn die SPD, die Grünen, aber auch die Gewerkschaften und selbst die Arbeitgeber wollen. Eine fortgesetzte Inanspruchnahme der Notlagenklausel der Schuldenbremse halten sie für geboten, da die Finanzlage des Staates nach der Pandemie „weiterhin erheblich beeinträchtigt“ sei.
Bisher ist die Beschlusslage im Bundestag, dass die Ausnahmeregel letztmals 2022 genutzt wird. So haben es auch die Ampel-Parteien vereinbart. Neue Investitionsgesellschaften halten sie für weniger problematisch als die etwas konservativeren Kollegen, und sehen deswegen auch keine großen rechtlichen Hürden.
Einigkeit bei Wachstumsprognose
So gibt es bei einem der strittigsten Themen in den Ampel-Verhandlungen zwar zwei konkurrierende Passagen im Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen. Aber Schnittmengen sind erkennbar. Einig sind sich die vier Professoren, was die wirtschaftliche Entwicklung betrifft. Zwar senken auch sie die Wachstumsprognose für das laufende Jahr von 3,1 auf 2,7 Prozent – was immerhin ein etwas besserer Wert ist als der in der Herbstprojektion des Wirtschaftsministeriums. Für 2022 sagen Grimm, Schnitzer, Truger und Wieland dagegen ein Wachstum von 4.6 Prozent voraus. Damit wäre im ersten Quartal der Anschluss an die wirtschaftliche Entwicklung vor der Pandemie wieder geschafft.
[Lesen Sie zum Thema bei Tagesspiegel Plus: Teure Visionen, klamme Kassen]
Wieland betonte in der Pressekonferenz jedoch: „Die Unsicherheit über die kommende wirtschaftliche Entwicklung ist hoch.“ Insbesondere wegen der wieder steigenden Pandemiezahlen - wobei die Wirtschaftsweisen davon ausgehen, dass eine breite Umsetzung der 2-G-Regel der Konjunktur nicht schaden würden.
Ein Rat an die EZB
Der Europäischen Zentralbank rieten die Wirtschaftsweisen, rechtzeitig aus der extrem lockeren Geldpolitik mit ihrem Nullzins auszusteigen. Sonst könne auch die wirtschaftliche Entwicklung gefährdet werden. Die Wirtschaftsweisen empfehlen eine "Normalisierungsstrategie", die vor allem auf die Preisstabilität achten müsse - also ein Vorgehen mit Blick vor allem auf die Inflationsentwicklung.
Von den Ampel-Parteien, bei denen am Mittwochabend die Frist für das Abgeben der Berichte der Verhandlungs-Arbeitsgruppen endete, kamen keine längeren Kommentare zu den Einschätzungen der Ökonomen, wie die geplanten Investitionen und Fördermaßnahmen finanziert werden sollten. Den Bericht der Wirtschaftsweisen nahm noch einmal die amtierende Kanzlerin Angela Merkel entgegen. Die Transformation zu mehr Klimaschutz und Digitalisierung zu gestalten, sei auch die Aufgabe ihrer Regierung gewesen und werde von der nächsten Regierung nun fortgesetzt. „Da kommt das Gutachten zu einem richtigen Zeitpunkt, um noch Inspiration zu geben für die, die jetzt verhandeln“, sagte Merkel.
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