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Kein Geheimnis mehr. Seit Anfang des Jahres können Mitarbeiter größerer Firmen erfahren, was Kollegen verdienen. Foto: Imago
© imago/Westend61

Entgelttransparenzgesetz: Gehalt der Kollegen? Frauen wollen es nicht so genau wissen

Kaum jemand nutzt das Entgelttransparenzgesetz und fragt den Arbeitgeber, wie fair die Bezahlung ist. Nur bei einem Konzern ist das Interesse größer.

Es scheint, als würden Frauen in Deutschland nicht wissen wollen, ob sie fair bezahlt werden. Ein halbes Jahr nach der Einführung des sperrig klingenden Entgelttransparenzgesetzes sehen die Unternehmen immer noch sehr wenig Interesse. Kaum eine Frau hakt nach. Dabei sollte ihre Bezahlung mit dem neuen Gesetz gerechter und vergleichbar werden.

Seit Anfang diesen Jahres kann sich jeder Arbeitnehmer in Unternehmen mit mindestens 200 Beschäftigten erkundigen, nach welchen Kriterien sein Gehalt festgelegt worden ist. Und, fast noch wichtiger, er oder sie kann erfragen, wie viel Kollegen des jeweils anderen Geschlechts mit vergleichbaren Tätigkeiten verdienen. Vor allem Frauen soll das helfen, die oft weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Niemand erfährt durch das neue Gesetz, was ein bestimmter Kollege genau verdient. Der Arbeitgeber orientiert sich stattdessen an einer Vergleichsgruppe von sechs Personen und zieht daraus den mittleren Wert. Gibt es keine ausreichend große Gruppe, verfällt der Anspruch. Neben dem Bruttogehalt können die Beschäftigten den Median für zwei Gehaltsbestandteile einfordern wie etwa Leistungszulagen.

Hälfte der Führungskräfte kennt Regelung nicht

Eine Umfrage des Beratungsunternehmens EY ergab allerdings: Knapp die Hälfte von 1000 befragten Fach- und Führungskräften kennt die Regelung überhaupt. Daran dürfte es auch liegen, dass sich bislang nur extrem wenige Mitarbeiter danach erkundigen, wie sie bezahlt werden. Vattenfall zählt bis heute keine, RWE eine, Adidas eine „Handvoll“, Daimler „vereinzelt“ Anfragen. Bei der Deutschen Bahn sind es im letzten halben Jahr neun gewesen – bei rund 200.000 Mitarbeiterinnen im Inland. BMW verzeichnete 17 Nachfragen bei 91.000 Beschäftigten. Bei der Deutschen Post, Continental und Audi haben noch keine 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um Aufklärung gebeten, bei Siemens weniger als 100, bei der Deutschen Bank immerhin 164 – was vermutlich an den Boni-Zahlungen in der Finanzbranche liegt.

Seit Jahren ändert sich nicht wesentlich etwas daran, dass Frauen in Deutschland weniger Geld verdienen als Männer – und das sogar für die gleiche Arbeit. Im vergangenen Jahr kamen Frauen auf einen durchschnittlichen Bruttostundenverdienst von 16,59 Euro; Männer auf einen Verdienst von 21 Euro. Die Lohnlücke liegt unbereinigt bei 21 Prozent. Bei vergleichbarer Qualifikation und Tätigkeit sind es sechs Prozent. Das sollte das Gesetz eigentlich ändern.

Männer überschätzen sich

Nur ist es so, dass vier von fünf Frauen ihre Bezahlung gerechter finden als Männer, wie eine repräsentative Untersuchung des DIW Berlin aus diesem Jahr zeigt. Die Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass die Höhe des Einkommens für Frauen weniger wichtig sei. Was allerdings auch darauf beruht, dass eine Frau noch immer eher Erzieherin unter Erzieherinnen wird als Ingenieurin in einem Männerteam – doch erst in männerdominierten Berufen erahnen oder erkennen sie Gehaltsunterschiede. „Erst wenn sie das tun, werden sich Frauen des Gender Pay Gap bewusst und empfinden ihren Verdienst als entsprechend ungerechter“, erklärt der Soziologe Peter Valet.

Andere Studien erklären den Umstand so: Männer überschätzen sich und ihre eigene Leistung oft, während sich Frauen unter Wert verkaufen. Demnach gehen Männer selbstbewusst in eine Gehaltsverhandlung und fordern viel für ihre Arbeit, während Frauen zurückhaltend auftreten. Es liegt also nicht nur an den Unternehmen, sondern auch an der Hartnäckigkeit und dem Selbstmarketing des Einzelnen. Daran, was jemand glaubt, Wert zu sein.

Den Gang zum Chef wagen wenige

In Bezug auf das Gesetz glaubt Anja Weusthoff, Gleichstellungsexpertin des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), dass es auch an dem „Misstrauenssignal“ liegt, das diejenige aussendet. In nicht ganz so großen Unternehmen, wo eine Anfrage schneller die Runde macht, als in einem anonymen Großkonzern, könne das durchaus zu Konflikten führen. Kommt heraus, dass eine Frau tatsächlich weniger verdient als ihre männlichen Kollegen, stellt sich zudem die Frage: Und nun? Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, jemandem mehr zu zahlen. Sich den Gang zum Chef trauen, sich durchsetzen, sich womöglich bei ihm unbeliebt machen, vor Gericht gegen ihn klagen – das werden viele nicht wollen. Deswegen werden sich selbst jene, die Unstimmigkeiten feststellen, gut überlegen, welche Konsequenzen sie ziehen wollen. In Island ist das Ganze anders geregelt worden. Dort müssen Frauen seit Anfang des Jahres nicht mehr nachforschen, ob sie schlechter bezahlt werden. Es ist die Pflicht der Unternehmen, eine faire Bezahlung zu beweisen.

Analysen der Internetportale Gehalt.de und Stepstone zeigen: Die Lohnlücke existiert in Deutschland und sie wird umso größer, je besser vergütet eine Branche und je höher die Hierarchiestufe ist. Im unteren Management beträgt der Unterschied 21 Prozent, auf der Geschäftsführungsebene 42 Prozent. Besonders unfair bezahlt wird in Finanzberufen, im Vertrieb und Marketing.

Interessant ist: Bei der Telekom haben seit Januar 120 Beschäftigte einen Antrag gestellt. Das entspreche einem Anteil von etwa 0,1 Prozent der Beschäftigten in Deutschland, heißt es. 52 waren Frauen, 68 waren Männer, die einen möglichen Nutzen für sich sahen.

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