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GDL-Chef Claus Weselsky erläutert am Donnerstag in Berlin die Strategie der Lokführergewerkschaft.
© REUTERS

Bahnstreik frühestens im August: GDL-Chef Weselsky hat jedes Maß verloren – aber er ist kein Hasardeur

Der gerne großmäulige Arbeiterführer Weselsky hat sich verzockt. Ein Arbeitskampf passt nicht in die Zeit. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Alfons Frese

Claus Weselsky hat über Monate die Backen aufgeblasen – jetzt muss er liefern. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Lokomotivführer führt seine Leute zum ersten Mal seit 2015 in den Arbeitskampf. Vielleicht aber auch nicht – wenn es mit der Bahn bis August doch noch eine Verständigung gibt.

Der gerne großmäulige Arbeiterführer Weselsky scheut den großen Knall, der zu Beginn der Ferien möglich wäre. Es gehört zum legitimen taktischen Kalkül von Gewerkschaften, Streiks so zu terminieren, dass sie möglichst wirkungsvoll sind. Weselsky hält sich indes noch zurück, weil es für ihn diverse Risiken gibt.

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Wie viele Truppen hat Claus Weselsky? Diese Frage ist in diesem Sommer so relevant wie niemals zuvor. Lokführer sitzen an strategisch herausragender Stelle, deshalb wird die GDL mit relativ wenigen Leuten das Land lahmlegen können. Das kennt man aus vergangenen Auseinandersetzungen.

Doch in diesem Jahr findet der Tarifkampf auf einer neuen Rechtsgrundlage statt: Die Bahn wendet erstmals das Tarifeinheitsgesetz an, das die vorletzte Bundesregierung 2015 eingeführt hatte, um kleinen, aber schlagkräftigen Berufsgewerkschaften das Tarifgeschäft zu erschweren. Zum Beispiel der GDL.

Das Tarifeinheitsgesetz wirkt

Das macht den Tarifkonflikt in diesem Sommer so kompliziert. Die vergangenen fünf Jahre funktionierte es gut bei der Bahn, die sich mit GDL und EVG auf ein friedliches Miteinander verständigte und mit jeder Gewerkschaft separate, aber weitgehend identische Tarifverträge abschloss.  

Warum 2021 anders ist, beantworten die drei Beteiligten unterschiedlich: Weselsky sagt, Bahn und EVG hätten sich verbündet, um die renitente Lokführergewerkschaft kaputtzumachen. Die Bahn sagt, man würde die bewährte Praxis gerne fortsetzen, doch die GDL wolle nicht.

Und die EVG will auch nicht mehr so richtig und schiebt das auf die ständigen Diffamierungen durch die GDL, die von der EVG als willfährige Hausgewerkschaft des Bahn-Managements spricht: Die EVG hatte sich im letzten Jahr auf einen Sanierungstarifvertrag eingelassen, um die Bahn während der Pandemie nicht auch  noch mit steigenden Personalkosten zu belasten. Die GDL dagegen möchte die Pandemieentspannung nutzen, um mehr Geld für ihre Leute zu erstreiken. Damit kann sich die GDL von der EVG abheben – und hat bessere Chancen bei der Mitgliederwerbung.

 Die Existenz der GDL ist bedroht

Tarifkonflikte werden immer von Gewerkschaften zur Mitgliederakquise genutzt. Polarisierung trägt zur Mobilisierung bei, doch wer in den Arbeitskampf zieht, der weiß in der Regel: Der Gegner ist auch der Partner, dessen Unterschrift auf einem neuen Tarifvertrag gebraucht wird.

Claus Weselsky jedoch hat jedes Maß verloren, indem er permanent Management und Konkurrenzgewerkschaft beschimpft, das Betriebsklima vergiftet und die eigenen Leute auf die Bäume jagt. Doch der Maulheld Weselsky, der seit 2008 die Lokführer anführt, ist kein Hasardeur.

Vor Mitte August wird es keine Streiks geben, sodass genügend Zeit bleibt, sich abzukühlen, rhetorisch abzurüsten und mit der Bahn einen Lösungsweg zu finden. Weselsky hat sich verzockt. Ein Arbeitskampf passt nicht in die Zeit, und das Tarifeinheitsgesetz könnte das Ende der GDL bedeuten. Wenn diese nicht zurückfindet auf einen vernünftigen Kurs.

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