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Der Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, Claus Weselsky, will in diesem Sommer in den Arbeitskampf ziehen.
© picture alliance / dpa

Die Lokführer wollen streiken: Die Sommerferien beginnen – mit einem Arbeitskampf bei der Bahn?

Vielleicht gibt's Streik. Vielleicht aber auch nicht: Es gibt noch ein kleines Zeitfenster. Warum der Konflikt bei der Bahn so komplex ist.

Claus Weselsky steuert die Lokführer der Bahn in den Arbeitskampf. An diesem Donnerstag erläutert der Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), wann und wo gestreikt wird. Pünktlich zu Beginn der Sommerferien in einigen Bundesländern.

Ein Konflikt spitzt sich damit zu, der bereits im vergangenen Herbst begann und in dem es nur vordergründig um Arbeitsbedingungen geht. Bei der Bahn wird vielmehr erstmals das Tarifeinheitsgesetz angewendet, das die vorletzte große Koalition 2015 verabschiedet hatte, um renitenten Berufsgewerkschaften wie der GDL das Leben schwer zu machen.
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Der Bahn geht es schlecht, in der Pandemie stieg zeitweise kaum noch jemand in den Zug, viele Milliarden Euro Verlust sind die Folge.

Unter der Überschrift „Bündnis für die Bahn“ vereinbarte das Management im Spätsommer letzten Jahres mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG einen Sanierungstarifvertrag mit Reallohneinbußen der Beschäftigten; erst 2022 steigen die Einkommen um 1,5 Prozent.

Die EVG, von Weselsky als „Einkommens-Verringerungs-Gewerkschaft“ verspottet, ist mit 184.000 Mitgliedern erheblich größer als die GDL mit rund 25.000 Gewerkschaftern. Doch die GDL und vorneweg Weselsky verstehen sich als die Kampftruppe der Arbeiterklasse auf der Schiene - und lassen sich nicht auf das Bündnis der Bahn ein.

Ränkespiele um die Tarifeinheit

An diesem Punkt gehen die Interpretationen auseinander. „Nachdem wir das Bündnis abgelehnt haben, erklärte der Arbeitgeber im Oktober letzten Jahres, nicht weiter an der Tarifpluralität festzuhalten, die wir seit 2015 im Konzern vertraglich gesichert hatten", sagte Weselsky Mitte März im Tagesspiegel-Interview und lieferte die vermeintliche Motivation der Bahn-Führung gleich mit: „Mit Hilfe des Tarifeinheitsgesetzes wollen sie uns platt machen. Sie haben die Büchse der Pandora geöffnet und uns mitgeteilt, ,entweder ihr fügt euch, oder wir eliminieren euch’. Dass wir diesen Fehdehandschuh aufnehmen, ist doch klar.“ Die DB also zwinge die GDL zum Arbeitskampf.

Friedensvereinbarung lief 2020 aus

Die Bahn wiederum sieht sich zur Anwendung des Tarifeinheitsgesetzes (TEG) gezwungen, da sich GDL und EVG „nicht länger auf ein trilaterale und eindeutig zur Abbedingung des Gesetzes erforderliche Vereinbarung“ verständigen konnten. Tatsächlich hatte es eine solche Vereinbarung in den fünf Jahren seit Inkrafttreten des TEG bis Ende 2020 gegeben. Die beiden verfeindeten Bahn-Gewerkschaften, die sich gerne wechselseitig Mitglieder abzujagen versuchen, verständigten sich mit dem Konzern auf eine friedliche Koexistenz. Bis Ende 2020. In diesem Jahr beginnt ein neues Spiel, in dem aus Sicht von Weselsky die Bahn gemeinsam mit der EVG die GDL kaltstellen will.

Ein Gesetz gegen kleine Gewerkschaften

Die Geschichte des Tarifeinheitsgesetzes reicht bis 2010 zurück. Damals forderten der DGB und die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände die Bundesregierung zu einer gesetzlichen Klarstellung des Prinzips „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag“ auf. Hintergrund der Initiative: Berufsgewerkschafen der Piloten, Ärzte und Lokführer setzten aufgrund ihrer strategischen Stellung im Unternehmen hohe Einkommenssteigerungen durch - womöglich zulasten anderer Beschäftigtengruppen; für Krankenschwestern, Schaffner oder Flugbegleiterinnen blieb weniger übrig. Die Arbeitgeber wollten mit dem neuen Gesetz Arbeitskämpfe erschweren, der DGB wiederum sorgte sich grundsätzlich um das Streikrecht, wenn allerorten Konflikte aufflackern würden.

Verfassungsgericht billigt Tarifeinheit

2015 kommt das Gesetz und sieht eine Privilegierung der größeren Gewerkschaften vor, die wiederum zwei Jahre später vom Bundesverfassungsgericht gebilligt wird: Das TEG richte sich nicht gegen die Tarifpluralität, sondern regle die Auflösung von Tarifkollisionen. Das ist dann der Fall, wenn nicht inhaltsgleiche Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften für dieselben Beschäftigtengruppen gelten. Sofern sich in einem Betrieb für dieselben Gruppen divergierende Tarifverträge überschneiden, ist nach der Neuregelung nur der Vertrag der Gewerkschaft anwendbar, die im Betrieb die meisten Mitglieder hat. Der Tarifvertrag der Minderheitsgewerkschaft wird verdrängt. Damit entfällt die Geschäftsgrundlage für die kleinere Gewerkschaft - bei der Bahn ist das die GDL.

Angeblich hat GDL nur in 16 Betrieben die Mehrheit

Der Staatskonzern DB hatte nach dem Scheitern einer Schlichtung mit der GDL im vergangenen Herbst und aufgrund des Desinteresses der EVG an einer weiteren Friedensvereinbarung mit der GDL die Anwendung des TEG ab 2021 verkündet und die beiden Gewerkschaften aufgefordert, Auskunft zu geben über ihre Mitgliederzahlen. Die EVG ist dem gefolgt, die GDL nicht. Trotzdem hat die Bahn ausgerechnet, dass es in 71 der rund 300 DB-Betriebe eine Tarifkollision gebe. In 55 dieser 71 hat angeblich die EVG die Mehrheit, in 16 die GDL. Die GDL weist das als zurück und spricht von „Betrug“.

Attacken auf die Konkurrenzgewerkschaft

Weselsky hat die vergangenen Monate genutzt, um Mitglieder zu werben. Zu seiner Mobilisierungsstrategie gehört sowohl die Diffamierung der EVG als willfährige „Hausgewerkschaft“ des Bahn- Vorstands, als auch Attacken gegen das Management im Berliner Bahn-Tower, das mit „alternativen Fakten“ arbeite, „Wasser predige und Wein trinke“ und nach der Devise „Tricksen, Täuschen, Taschen fülle“ agiere. Offenbar sieht Weselsky jetzt die Zeit gekommen für eine Zuspitzung des Konflikts im Arbeitskampf, zumal die GDL bislang alle Klagen gegen die Anwendung des TEG vor Arbeitsgerichten verloren hat.

Für Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer kommt ein Streik im Staatskonzern im Bundestagswahl und zur Ferienzeit völlig ungelegen.
Für Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer kommt ein Streik im Staatskonzern im Bundestagswahl und zur Ferienzeit völlig ungelegen.
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Die Bahn will 3,2 Prozent zahlen

Die Bahn äußerte sich am Mittwoch säuerlich: „Arbeitskämpfe sind immer nur das letzte Mittel. Gerade jetzt, wo die Ferien vor der Tür stehen und sich viele nach harten Pandemie-Monaten wieder aufs Reisen freuen, will die GDL-Spitze die Aufbruchsstimmung zunichtemachen. Obwohl fundierte Angebote unter anderem. für mehr Lohn oder zusätzlichen Kündigungsschutz auf dem Tisch liegen, verweigert sich die GDL-Führung von Beginn an, seriös zu verhandeln.“

Die Bahn hatte zuletzt nach dem Vorbild des öffentlichen Dienstes 3,2 Prozent mehr Geld angeboten - aber nur für den Fall, dass sich die GDL auf eine deutlich längere Laufzeit des Tarifvertrages einlässt, den die Bahn mit der EVG abgeschlossen hat. Weselsky wiederum wirft der Arbeitgeberseite „völlig inakzeptable Vorbedingungen und Gegenforderungen“ vor.

Einen „Solidarbeitrag“ der Arbeitnehmer lehnt er strikt ab und schimpft über „unberechenbares und völlig irrationales Vorgehen“ des Managements. Gleichzeitig fordert er den Bund als Eigentümer der Bahn zum Eingreifen auf. Ein Bahnstreik im Wahlkampfsommer ist auch für die Politik respektive den zuständigen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) nicht schön.

Weselsky braucht den Beamtenbund

Erfahrungsgemäß lässt sich Weselsky jedoch weder von Einflussversuchen der Politik noch vom Beamtenbund dbb beeindrucken, zu dem die GDL gehört. Ein Streik kostet Geld, und das braucht Weselsky vom dbb. Der aktuelle Beamtenbund-Chef Ulrich Silberbach ist dem GDL-Vorsitzenden nicht gewachsen und lässt ihn gewähren – auch wenn viele Beamte mosern, wenn sie nicht mit der S-Bahn ins Büro fahren können.

Ein Zeitfenster bis zur Urabstimmung

Weselsky selbst geht volles Risiko - und wird vermutlich demnächst vor Gerichten offenlegen müssen, wie viele Mitglieder in welchem Bahn-Betrieb die GDL wirklich hat. Ob der Arbeitskampf am Ende als verhältnismäßig und damit rechtmäßig eingestuft wird, entscheiden Arbeitsrichter. Vielleicht kommt es aber auch gar nicht soweit.

Der GDL-Chef will der Bahn angeblich noch ein Zeitfenster anbieten, in dem ein neues Angebot vorgelegt und ein Arbeitskampf verhindert werden könnte. Heute gibt er den Termin der Urabstimmung über einen Arbeitskampf bekannt, vermutlich Anfang Juli. Bis dahin bliebe noch Zeit, um den Konflikt zu lösen. Der Sommerferienverkehr könnte wie gewohnt laufen.

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