Energiewende: Gabriel will unwirtschaftlichen Kraftwerken kein Geld geben
Energieminister Sigmar Gabriel will keine Kapazitätsmärkte, um konventionelle Kraftwerke am Netz zu halten. Eon-Chef Johannes Teyssen widerspricht mit Blick auf die europäische Debatte. BDEW-Chefin Hildegard Müller wirft Gabriel Diskussionsverweigerung vor.
Energieminister Sigmar Gabriel (SPD) hält nichts von Kapazitätsmärkten zur Stützung nicht mehr lukrativer Kraftwerke. In einem Interview mit dem „Handelsblatt“ sagte er, das Interesse vieler Kraftwerksbetreiber bestehe darin, „existierende Überkapazitäten auf Kosten der Stromverbraucher zu konservieren“. Stattdessen solle der Strommarkt so reformiert werden, dass er zeitenweise auch hohe Preise erzeugt, die es dann wieder wirtschaftlich machen sollen, Kraftwerke zur Versorgungssicherheit am Netz zu halten. Bevor die Überkapazitäten nicht abgebaut sind, will die Regierung keinen Kapazitätsmarkt. Die Branche macht seit Monaten Druck, einen solchen zweiten Markt einzuführen, um die nicht mehr lukrativen konventionellen Kraftwerke zu stützen. Das Interesse vieler Kraftwerksbetreiber bestehe darin, „existierende Überkapazitäten auf Kosten der Stromverbraucher zu konservieren“, sagte Gabriel.
Eon-Chef Johannes Teyssen erwartet jedoch, "dass die Kapazitätsmärkte sowieso kommen, vielleicht erst in einem zweiten Schritt". Aber in der Europäischen Union werde intensiv darüber diskutiert, wie der Strommarkt künftig aussehen solle. "Deutschland muss aufpassen, dass es nicht als Bremser am Ende steht", sagte Teyssen in seiner Eröffungsrede. Dennoch habe Gabriel Recht, "denn er ist der Minister", spottete Teyssen. Gabriel verweigere die von ihm selbst angekündigte ergebnisoffene Debatte, kritisierte die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Hildegard Müller. Gabriel konterkariere damit den von ihm selbst angestoßenen Diskussionsprozess zum Strommarkt der Zukunft. “Das ist mehr als erstaunlich. Ein verantwortungsvoller Umgang mit dem dringlichsten Problem des Energiemarktes sieht anders aus.“
Teyssen ist überzeugt, dass die Energiewende weltweit auch von sinkenden Ölpreisen nicht aufzuhalten sein werde. Selbst in den USA, "wo die Klimaskeptiker in der Mehrheit sind", gehe der Trend zu "individuellen, dezentralen Kundenlösungen", sagte er. Bevor Eon sich entschieden habe, sein Geschäft radikal umzubauen und das Unternehmen in zwei Einheiten aufzuteilen, habe sich das Management nicht nur das "politische Konstrukt der Energiewende in Deutschland" betrachtet, sondern weltweit Gespräche geführt, sagte er. Das Energiegeschäft bewege sich "auf einer schwankenden Grundlage" und biete viele Möglichkeiten, neue Geschäftsmodelle zu finden oder zu scheitern, sagte der Eon-Chef. "Wenn wir Recht haben sollten, hoffe ich, dass uns keiner zu schnell folgt. Wenn wir Unrecht haben auch nicht", sagte er am Dienstag.
Der "globale Energiewandel" überhole die "Energiewelt als nationales Konstrukt". Wer versuche die Energiewende als nationales Projekt voranzutreiben, "wird scheitern", ist Teyssen überzeugt. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz sei "ein mächtiger Hebel für den Beginn des Umbaus" gewesen, sagte er. Aber nun müssten die neuen Technologien "aus eigener Kraft marktfähig werden". Teyssen betonte, dass die Nutzung großer Datenmengen - Big Data - die Energiewirtschaft grundsätzlich verändern werde. "Das Internet verbindet nicht nur Menschen sondern auch Millionen von Maschinen", stellte er fest. Teyssen warb dafür, vor dem entscheidenden Klimagipfel in Paris im Dezember das europäische Energie- und Klimapaket als politische Leitlinie zu nutzen, um "wieder verlässliche Rahmenbedingungen für die Energiewirtschaft aber auch die Kunden" zu schaffen. Der europäische Emissionshandel müsse zum "Leitinstrument" werden, das den Rahmen für die Entwicklung der Märkte setze. Die aus dem Emissionshandel herausgenommenen Kohlendioxid-Zertifikate müssten sofort in die geplante Marktstabilitätsreserve eingestellt werden, die auch nicht erst 2021 eingeführt werden dürfe, um wieder Preissignale zu erzeugen, sondern müsse schon 2017 kommen, verlangte Teyssen. "Wann wenn nicht vor dem Pariser Gipfel sollte das möglich sein", fragte er.
Für die beiden künftigen Gesellschaften, Eon-neu und die neue Gesellschaft in der die konventionellen Kraftwerke, die Abwicklung der Atomkraftwerke und das Gasgeschäft zusammengefasst werden, sieht Teyssen gute Entwicklungsbedingungen. Seiner Auffassung nach werde es noch lange zwei Energiesysteme geben, die nebeneinander existieren würden: Die erneuerbaren Energien würden weiter ausgebaut, und das konventionelle Versorgungssystem werde als Backup und zur Garantierung der Versorungssicherheit weiter betrieben, meint Teyssen. Eon-neu könne dagegen in Zukunft ohne Rücksicht auf bis zu 100 Jahre alte Strukturen neue Kundenlösungen entwickeln, "die dem einzelnen Kunden nützen, auch wenn sie dem Gesamtsystem womöglich schaden", kündigte er an. (mit Reuters)