Was Verantwortung wert ist: Für Wirecard und Tönnies wird Fehlverhalten teuer
Bilanzskandal bei Wirecard, Corona-Ausbruch bei Tönnies - das zeigt: Gewinnmaximierung auf Kosten der Gesellschaft lohnt sich nicht. Ein Kommentar.
Was ist bloß los mit der deutschen Wirtschaft? Das muss man sich in diesen Tagen fragen. Da ist zum Beispiel Wirecard. Ein Unternehmen, das lange als Vorbild galt. Das sich vom Start-up zum Dax-Konzern gemausert hat. Jetzt aber ist es in einen gigantischen Bilanzskandal verwickelt, von dem selbst Aufseher sagen, das habe es in Deutschland noch nie gegeben. Der Ex-Chef: verhaftet. Der Börsenkurs: abgestürzt. Die Zukunft: ungewiss.
Und dann ist da Tönnies. Über 1000 Mitarbeiter haben sich beim größten deutschen Schlachtbetrieb mit Corona infiziert. Das Unternehmen hat damit jetzt auch noch den Lockdown zweier Landkreise ausgelöst. Das öffentliche Leben wird dort heruntergefahren, das Leben für tausende Menschen eingeschränkt, weil ein Konzern möglicherweise nicht rechtzeitig reagiert hat. Längst ist das Vertrauen von Politik und Behörden in den Betrieb zerstört.
Ein Wort fällt in beiden Fällen immer wieder: Verantwortung. Denn an der mangelt es, wenn Unternehmen dermaßen versagen. Wenn sie ihr eigenes Gewinnstreben über das Wohl der Gesellschaft stellen. Dabei war gerade Deutschland immer stolz auf seine Wirtschaft. Der ehrbare Kaufmann galt als erstrebenswertes Ideal.
Von VW bis Bayer: Die Fälle häufen sich
Doch in den letzten Jahren scheinen das immer mehr Konzerne aus dem Blick verloren zu haben. Das ging schon los mit der Deutschen Bank, die Zinsen manipuliert, krude Geschäfte mit Immobilienkrediten gemacht hat. Da war der Dieselskandal bei VW. Der Streit um den Unkrautvernichter Glyphosat bei Bayer. Und zuletzt das Engagement von Siemens bei einem extrem umstrittenen Kohleprojekt in Australien. All das waren unternehmerische Entscheidungen, die in manchen Fällen kriminell, in anderen einzig moralisch verwerflich waren.
Doch am Ende kommt das, wie nun auch bei Wirecard und Tönnies, fast auf das Gleiche heraus. Denn die Kosten dieses Fehlverhaltens sind enorm. Bei Wirecard wird die Aufarbeitung über Jahre die Gerichte beschäftigen. Neben der Verantwortung des Ex-Chefs Markus Braun wird es dabei auch um die Verluste der Aktionäre gehen, die dem Konzern ihr Geld anvertraut haben.
Und auch von Tönnies fordert die Politik bereits, dass der Konzern für den verursachten Schaden haftet. Mit anderen Worten: Die Unternehmen müssen sich ihrer Verantwortung stellen. Eigentum verpflichtet – das gilt heute mehr denn je.
Die Konzerne schaden sich selbst
Letztlich zeigen sowohl Wirecard wie Tönnies, dass Unternehmen sich mit ihrem Fehlverhalten am Ende selbst schaden. Kurzfristig mag ein Fleischbetrieb seine Gewinne maximieren, indem er die Arbeitsbedingungen außer acht lässt. Langfristig aber schadet er sich selbst – sei es, wie jetzt, weil seine Arbeiter nicht ausreichend gegen ein Virus wie Corona geschützt sind. Die Reputation ist durch diesen Skandal dahin. Selbst beim Fleischer um die Ecke fragen die Kunden in diesen Tag nach, ob das Schnitzel auch wirklich nicht von Tönnies kommt.
Ähnlich bei Wirecard: Der Aufstieg zum Dax-Konzern war beeindruckend – basierte aber auf völlig falschen Annahmen. Guthaben in Höhe von 1,9 Milliarden Euro, die angeblich auf Konten in Asien lagen, gibt es womöglich gar nicht. Da wurden Luftbuchungen getätigt, um die Bilanz aufzublähen. Wer versagt hat – Wirecard selbst, ein Treuhänder oder ausländische Banken – scheint dabei inzwischen fast zweitrangig. Selbst wenn der Dienstleister, wie er beteuert, zum Opfer eines gigantischen Betrugs geworden ist, so hat er doch einen Fehler gemacht: sich mit den falschen Geschäftspartnern eingelassen.
Die Lehre könnte heißen, dass auch Vertrauen einen Wert hat. Im Fall von Wirecard lässt sich der genau beziffern. Um mehr als zehn Milliarden Euro hat das Unternehmen in den letzten Tagen an der Börse an Wert verloren.
Anleger dürften künftig noch stärker überlegen, welchem Konzern sie ihr Geld anvertrauen wollen – und welchem nicht.
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