Versicherungsverband über Niedrigzinsen: "Für die Versicherer ist es zunehmend attraktiv, Geld im Tresor zu lagern"
Klaus Wiener, Chefvolkswirt des Verbands, über die Probleme der Geldanlage und die Frage, ob grüne Geldanlage Pflicht wird.
Herr Wiener, das Wetter wird immer extremer. Mal ist es heiß und trocken, dann schüttet es. Kann man sich eigentlich gegen alle wetterbedingten Risiken versichern?
Wenn die Durchschnittstemperatur auf der Erde um vier Grad ansteigt, wir uns also in der Vier-Grad-Welt bewegen, wird man sich wohl nicht mehr versichern können. Eine Versicherung ist ja ein Risikoausgleich zwischen Menschen, die betroffen sind, und anderen, die keinen Schaden haben. In einer Vier-Grad-Welt wären die Schäden durch Überschwemmungen oder Dürre aber so groß, dass man das weder über eine private Versicherung noch mit staatlichen Mitteln auffangen könnte. Sicher ist: Klimaveränderungen werden bei der Kalkulation von Versicherungen eine immer größere Rolle spielen.
Aber zum Glück sind wir ja noch nicht so weit. Wie sieht es heute aus?
Wer eine Wohngebäude- oder Hausratversicherung abschließt, sollte darauf achten, dass er auch gegen Elementarschäden wie Starkregen, Hochwasser oder Erdrutsch abgesichert ist.
Aber wie viele Menschen tun das?
Die Bereitschaft sich abzusichern steigt. Die Menschen sind sensibler geworden. Nach unseren Berechnungen werden die Sturmschäden in Deutschland bis zum Jahr 2100 um mehr als 50 Prozent zunehmen, die Schäden durch Überschwemmungen dürften sich verdoppeln, möglicherweise sogar verdreifachen. Wir Versicherer haben ein großes Interesse daran, nicht in eine Vier-Grad-Welt zu rutschen. Der Klimawandel betrifft uns gleich in mehrerer Hinsicht – sowohl bei der Übernahme von Versicherungsrisiken als auch bei der Kapitalanlage.
Wie viel Geld legen die Versicherer an den Kapitalmärkten für ihre Kunden an?
Das sind inzwischen rund 1,7 Billionen Euro.
Wie viel von dieser Summe steckt in klimaschädlichen Wirtschaftszweigen?
Das kann man so nicht sagen. Wie wollen Sie das abgrenzen?
Kohleproduzenten, Fluggesellschaften, Autohersteller ....
Wir müssen den Übergang zu einem klimaschonenden Wirtschaften managen. Extreme Lösungen halte ich für falsch. Angenommen, man investiert in die Nachrüstung eines Kohlekraftwerks und halbiert die Emissionen, dann ist das doch eine sinnvolle Maßnahme. Oder nehmen Sie den Verkehr. Das batteriebetriebene Elektroauto kann eine gute Übergangslösung sein, bis die Wasserstofftechnologie sicher ist.
"Gesellschaftliche Ziele gehören nicht zu unserer Kapitalanlage"
Wie sollten die Versicherer das Geld investieren, um mit der Anlage auch der Gesellschaft zu nutzen?
Wir haben für die Geldanlage ein ganz klares Regelwerk, nämlich Solvency II. Danach müssen wir das Geld sicher anlegen, wir müssen qualitativ hochwertige Titel kaufen, und wir müssen rentabel wirtschaften. Gesellschaftliche Ziele gehören nicht dazu. Wir haben vertragliche Verpflichtungen gegenüber unseren Kunden. Unser Geld wird so angelegt, dass wir die Verträge und die regulatorischen Auflagen erfüllen können.
Aber haben Sie als Großanleger nicht auch eine Verantwortung, den Klimaschutz zu unterstützen?
Wir verwalten das Geld treuhänderisch für unsere Kunden. Natürlich ist es Versicherungsgesellschaften frei gestellt, im Rahmen der regulatorischen Vorgaben Kapital in nachhaltige Geldanlagen zu investieren – aber bitteschön freiwillig. Ich bin gegen eine regulatorische Pflicht, Geld in Ökoanlagen zu stecken. Man weiß weder genau, was eine grüne Anlage genau ist noch wie hoch das Anlagerisiko ist. Wenn Sie vor zehn Jahren Aktien von Solaranlagenherstellern gekauft hätten, hätten Sie von 100 Euro jetzt gerade noch zehn.
Wer will Ihnen denn vorschreiben, in grüne Kapitalanlagen zu gehen?
Es wird derzeit in Brüssel diskutiert, ob man Anlagen in nachhaltige Kapitalanlagen belohnen soll. Die Versicherungsgesellschaften müssten dann für solche Anlagen weniger Eigenkapital vorhalten beziehungsweise für Anlagen in fossile Energien mehr. Das wäre schon ein deutlicher Eingriff in das Portfolio der Versicherer. Aber Klimaziele zu erreichen, indem man Kapitalströme umlenkt, ist nicht die beste Lösung für den Klimaschutz. Man sollte da ansetzen, wo die Probleme entstehen, etwa beim CO2-Ausstoß. Wir haben doch wahrscheinlich nur noch einen Versuch, den Klimawandel zu verhindern. Den sollten wir nicht mit zweitbesten Lösungen verplempern.
Die Allianz oder die Munich Re ziehen sich aus klimaschädlichen Anlagen zurück und erzielen dennoch vergleichsweise gute Renditen …
Wir haben uns die Frage gestellt, ob ESG-Anlagen, also Kapitalanlagen, die nach ethischen, ökologischen oder sozialen Kriterien investieren, genauso rentierlich sind wie andere. Lange Zeit hat man gedacht, dass diese Anlagen weniger Gewinn abwerfen. Heute weiß man, dass ein solches Portfolio nicht schlechter sein muss, wenn man es richtig macht. Aber die Empirie zeigt auch: Besser sind grüne Anlagen nicht.
Sollen wir noch Aktien von Unternehmen kaufen, die Mindestlohn zahlen?
Tun sich große Versicherer leichter damit, Kapital nachhaltig zu investieren, als kleine Unternehmen?
Ja, große Unternehmen können sich mit dem Thema ganz anders auseinandersetzen. Ich kann mir vorstellen, dass die Kunden zunehmend darauf drängen, dass ihr Geld nach ESG-Kriterien investiert wird, insofern könnte das durchaus ein Wettbewerbsfaktor sein. Aber wie gesagt: Das sollte jedem Versicherer selbst überlassen bleiben.
Das Klimakabinett der Bundesregierung will im Herbst konkrete Beschlüsse fassen. Was haben die Versicherer anzubieten, um unser Klima zu schützen?
Immer mehr Versicherer richten ihre Portfolien nach ökologischen Kriterien aus. Wobei ich aber davor warnen möchte, dass sich die Regulierer zu sehr einmischen. Wir sprechen ja über ESG-Kriterien, das heißt, auch soziale und Genderkriterien könnten künftig eine stärkere Rolle für unsere Geldanlage spielen. Etwa indem wir nur Aktien von Unternehmen kaufen dürfen, die möglichst viele Frauen in ihren Vorständen haben oder die Mindestlohn zahlen oder die faire Wertschöpfungsketten haben. Das sind legitime Fragen, aber die sollten in den Parlamenten geklärt werden und nicht in demokratisch nicht legitimierten, technischen Expertengruppen in Brüssel.
Das war’s mit dem Klimaschutz aus Sicht der Versicherungsbranche?
Wir wären auch gern bereit, mit dem Geld der Versicherten stärker als bisher Infrastrukturprojekte zu finanzieren, etwa den Bau von Stromleitungen für erneuerbare Energien.
"Es wird attraktiver, Geld in den Tresor zu legen"
Im September drohen negative Leitzinsen im Euro-Raum. Das macht die Kapitalanlage für Sie noch schwieriger. Wer Bundesanleihen kauft, legt ja jetzt schon Geld drauf.
Die Geldpolitik entgrenzt sich. Die Europäische Zentralbank betreibt Staatsfinanzierung auf Kosten der Sparer und der Versicherten.
Was heißt das für die Versicherer?
Kaum ein deutscher Versicherer kauft mehr Bundesanleihen. Man kauft staatsnahe Emittenten, etwa KfW-Papiere, oder Unternehmensanleihen oder Schuldscheindarlehen. Wir gehen auch in Kreditfonds. Aber wenn die Zinsen noch weiter sinken, wird auch das schwierig. Was das für die Versicherer heißt? Wir bieten neue Produkte mit flexiblen Garantien an.
Große Investoren, die Geld bei ihrer Bank parken, zahlen Strafzinsen. Wie viel haben die Versicherer bereits bezahlt?
Die Versicherer haben nicht viele liquide Mittel. Das Gros des Geldes ist langfristig investiert. Aber je niedriger die Zinsen sind, desto attraktiver wird es, Geld in Tresoren zu lagern. Einige Versicherer schauen sich das derzeit sehr genau an. Wir brauchen das Geld ja gar nicht so häufig. Wir müssen unseren Kunden zwar Schäden ersetzen, aber gemessen am Gesamtportfolio sind das überschaubare Summen. Und Auszahlungen an Lebensversicherungskunden sind sehr gut planbar. Wenn die Zinsen weiter sinken und man das Bargeld nicht verbietet, ist es für die Versicherer zunehmend attraktiv, Geld in den Tresor zu legen. Ich glaube, wenn die Negativzinsen kommen, werden sich auch immer mehr Privatleute Tresore kaufen.