Von der Renten- bis zur Krankenversicherung: Strafzinsen kosten Beitragszahler 67 Millionen Euro
Die Strafzinsen der EZB treffen nicht nur Banken. Auch die Sozialversicherungsträger müssen sie jetzt zahlen. Das belastet jeden Arbeitnehmer.
Mario Draghi lässt nicht locker. Die Leitzinsen hat der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) auf null gesenkt, er hat in großem Stil Anleihen gekauft und den Banken Strafzinsen aufgebrummt. Wenn sie ihr Geld bei der EZB parken, müssen sie zahlen – der Negativzins liegt bei 0,4 Prozent. Das Geld holen sie sich zurück: bei Investoren und Anlegern, die große Summen bei ihnen parken. Doch am vergangenen Donnerstag musste Draghi einräumen, dass seine geld- und zinspolitischen Werkzeuge nicht so funktionieren wie er es erhofft hatte. Angesichts der weltweiten Konjunkturabkühlung und der Schwäche des Welthandels seien weitere „signifikante geldpolitische Impulse“ notwendig, kündigte der Italiener an.
Das muss nicht nur deutschen Sparern Angst machen, deren Erspartes angegriffen wird. Auch Menschen, die nichts auf der hohen Kante haben, leiden unter der Niedrig- und Strafzinspolitik der EZB. Ihr Problem: Sie sind kranken-, pflege- oder rentenversichert. Haben die Sozialversicherungsträger früher für ihre milliardenschweren Rücklagen Geld bekommen, so müssen sie jetzt zahlen. Die negativen Zinsen, die in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung angefallen sind, haben sich allein im vergangenen Jahr auf mehr als 67 Millionen Euro belaufen, wie eine Tagesspiegel-Umfrage unter den Sozialversicherungsträgern ergeben hat.
Am stärksten betroffen ist die Deutsche Rentenversicherung
Die Rentenversicherung muss per Gesetz eine Nachhaltigkeitsrücklage bilden, um Schwankungen bei den Beitragseinnahmen auszugleichen und die pünktliche Rentenzahlung sicherzustellen. Ende Juni lag die Rücklage bei 38 Milliarden Euro. Das Geld soll sicher und liquide auf dem Geld- und Kapitalmarkt angelegt werden. Weit überwiegend fließt es in Termingeld, das für maximal zwölf Monate angelegt wird, teilte die Rentenversicherung auf Nachfrage mit. Die sichere und liquide Anlage hat ihren Preis: Die Negativzinsen für 2018 lagen bei 0,018 Prozent der Gesamtausgaben von 302 Milliarden Euro. Das klingt nach wenig, macht aber dennoch 54,36 Millionen Euro aus. Besserung ist nicht in Sicht. Für 2019 sei mit einem „ähnlich negativen Zinsergebnis zu rechnen“, heißt es bei der Rentenversicherung.
Die 54 Millionen Euro sind eine deutliche Verschlechterung gegenüber den Vorjahren. 2017 hatte das Minus gerade einmal 4,8 Millionen Euro betragen, im Jahr zuvor hatte die Rentenversicherung noch Zinsgewinne von fast 43 Millionen Euro verbuchen können, wie aus der Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion im April hervorgeht.
Auch der Gesundheitsfonds wird belastet
Nicht nur die Renten-, auch die Kranken- und Pflegeversicherung kostet die Zinspolitik der EZB Millionen. Das betrifft etwa den Gesundheitsfonds, der vom Bundesversicherungsamt verwaltet wird. Die gesetzlichen Krankenversicherer leiten die Kassenbeiträge an den Fonds weiter, der die Einnahmen dann entsprechend dem Risikostrukturausgleich wiederum unter den Kassen verteilt. Im vergangenen Jahr hat die Anlage der Gelder den Fonds rund 5,12 Millionen Euro gekostet, zusätzlich musste der Fonds rund 4,1 Millionen Euro an die Bundesbank abführen, wo der Fonds sein Giroguthaben parkt. In diesem Jahr setzt sich die Negativserie fort: Im ersten Quartal lag das negative Zinsergebnis bei rund 1,7 Millionen Euro, eine weitere Million musste der Fonds an die Bundesbank zahlen.
Ähnliches gilt für den Ausgleichsfonds in der gesetzlichen Pflegeversicherung. Wie der Gesundheitsfonds dient auch der Pflegefonds dem Finanzausgleich, die Mittel werden als kurzfristige Termingelder und Giroguthaben verwaltet. 2018 kostete die Termingeldanlage den Fonds rund 1,47 Millionen Euro, für das Giroguthaben bei der Bundesbank wurden weitere 2,02 Millionen fällig. Im ersten Halbjahr 2019 fielen bei der Geldanlage 330.000 Euro an Negativzinsen an, das Giroguthaben bei der Bundesbank kostete den Pflegeausgleichsfonds in den ersten sechs Monaten dieses Jahres rund 890.000.
Die Strafzinsen treffen Beitragszahler
Verglichen mit den 2,4 Milliarden Euro, die die deutschen Banken im vergangenen Jahr an Strafzinsen abführen mussten, sind die Summen nicht hoch. Doch sie treffen die Beitragszahler in ihrer alltäglichen sozialen Absicherung. Die meisten Arbeitnehmer sind pflichtversichert, haben keine Alternative zur Beitragszahlung.
Die Strafzinsen, das hat Draghi klar gemacht, werden bleiben. Möglicherweise gibt es künftig eine Staffelung, so dass für kleinere Beträge geringere Zinsen anfallen. Genaueres weiß man im September.
Anders als Renten- und Gesundheitskassen hat sich ein Träger bisher recht erfolgreich den Strafzinsen entzogen. Gerade einmal 3417 Euro hat die Bundesagentur für Arbeit für die Geldanlage der Arbeitslosenversicherung gezahlt. 2017 konnte die Behörde Strafzinsen sogar komplett vermeiden. Eine pauschale monatliche Strafgebühr, die sie eigentlich für die Gelder auf dem Konto zahlen sollte, hat die Nürnberger Behörde schlicht „wegverhandelt“, berichtet eine Sprecherin.
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