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In den Rücken gefallen. Ferdinand Piech (l.) hat VW-Chef Martin Winterkorn öffentlich brüskiert.
© REUTERS/Fabrizio Bensch

Führungskrise bei Volkswagen: Frontaler Zusammenstoß

Ferdinand Piëch versetzt den zweitgrößten Autobauer der Welt mit seiner Attacke auf VW-Chef Martin Winterkorn in große Unruhe. Über die Motive wird gerätselt, die Folgen wird der Konzern bald spüren.

Nach dem medialen Frontalzusammenstoß mit Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch demonstrierte VW-Chef Martin Winterkorn am Montag Gelassenheit. Lächelnd und scheinbar entspannt präsentierte er zum Auftakt der Hannover Messe Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Indiens Premierminister Narendra Modi einen auf dem Subkontinent gebauten Volkswagen.

Mit seinen Gedanken dürfte der 67-Jährige allerdings noch bei jenen Sätzen gewesen sein, mit denen Piëch via „Spiegel“ ein Erdbeben beim zweitgrößten Autohersteller der Welt ausgelöst hatte. „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“, hatte der 77-jährige VW-Patriarch am Freitag überraschend erklärt – und damit die Debatte um Winterkorns Zukunft in die Öffentlichkeit gelenkt. Gefragt nach dieser Zukunft sagt der VW-Chef am Montag in Hannover lediglich: „Es gibt eine“ und trat lachend ab.

Der Betriebsrat, der niedersächsische Ministerpräsident, die Familie Porsche – viele hatten Winterkorn nach Piëchs Affront ihre Sympathie bekundet, direkt oder indirekt. Am Montag zeigte sich auch Daimler-Chef Dieter Zetsche in Hannover auffallend freundlich an der Seite des seit 2007 amtierenden VW-Chefs. Doch für Winterkorn sind plötzlich ungemütliche Zeiten angebrochen – obwohl doch bis zuletzt über die Verlängerung seines Ende 2016 auslaufenden Vertrages gesprochen wurde und ein späterer Wechsel an die Aufsichtsratsspitze sicher schien.

Was treibt Piëch? Welche Folgen hat sein Angriff auf Winterkorn für das Unternehmen mit fast 600 000 Mitarbeitern? Wer wird künftig an der Spitze des Konzerns stehen, der 2014 mehr als zehn Millionen Fahrzeuge verkaufte?

DIE MOTIVE

Über die Frage, warum zwischen den bislang eng verbündeten Ingenieuren Piëch und Winterkorn plötzlich ein Graben klafft, wird heftig spekuliert. Erste Anzeichen einer Distanzierung hatte es zwar bei Messeauftritten und in öffentlichen Äußerungen gegeben. Niemand hatte jedoch eine solche Attacke des Aufsichtsratschefs gegen den Vorstandsvorsitzenden erwartet. Zumal Piëch keine Zweifel am Detail- und Fachwissen Winterkorns erkennen ließ, der jede Schraube im Zwölf-Marken-Konzern zu kennen scheint. Doch gerade dieses Know-how machte Winterkorn in den Augen Piëchs womöglich zu mächtig und selbstbewusst.

„Die Härte und der Ton sind unerklärlich“, sagt Stefan Bratzel. „Es muss auf der persönlichen Ebene bei Piëch eine Unzufriedenheit mit Winterkorn gegeben haben“, mutmaßt der Leiter des Center of Automotive Management (CAM). Bis heute wird zum Beispiel kolportiert, die öffentlichen Spekulationen über Piëchs Gesundheitszustand im Jahr 2013 seien vom Umfeld Winterkorns gestreut worden. Belege dafür gibt es aber nicht. Auch die Probleme, die die Kernmarke VW mit ihrer Profitabilität und in den USA hat (siehe Artikel auf dieser Seite), wurmen Piëch, der Winterkorn strategische Fehler vorhält. Wenig Unterstützung bekam die Konzernführung bislang auch für ihre, wenngleich zaghaften, Ambitionen, Volkswagen zum Marktführer für alternative Antriebe (Elektromobilität) zu machen. Hier kollidieren die Vorlieben Piëchs für hubraumgroße und margenstarke Limousinen.

Nicht zuletzt spielt Piëchs Gattin Ursula, die im VW-Aufsichtsrat sitzt, eine zentrale Rolle. Der VW-Patriarch hatte zwar dementiert, dass die 58-Jährige ihm an der Spitze des Gremiums folgen soll. Doch wer Piëch kennt, weiß, dass ihm der Einfluss der Familie auf den VW-Konzern wichtiger als alles andere ist. Hier könnte ein Motiv für sein Winterkorn-Bashing liegen. „Piëch sieht sich in der Tradition seines Großvaters“, sagt Autoanalyst Frank Schwope von der NordLB mit Verweis auf den Gründer des Autoimperiums Ferdinand Porsche, den Erfinder des VW Käfer. „Er will sein Lebenswerk vollenden“, so Schwope.

Die Familien Piëch und Porsche halten zusammen 50,7 Prozent der VW-Stammaktien. Umso pikanter, dass der Porsche- Clan sich am Wochenende von Piëch distanzierte. „Die Aussage von Herrn Dr. Piëch stellt seine Privatmeinung dar, welche mit der Familie inhaltlich und sachlich nicht abgestimmt ist“, hatte Wolfgang Porsche mitgeteilt. Das Verhältnis der Cousins Wolfgang und Ferdinand ist seit der gescheiterten Übernahme von VW durch Porsche ohnehin angespannt. Ohne die Zustimmung beider Familien, die zusammen fünf Sitze im Aufsichtsrat haben, kann sich Piëch nicht durchsetzen. Ebenso wenig gegen die Arbeitnehmerbank oder das Land Niedersachsen, das 20 Prozent der Aktien besitzt.

DIE KANDIDATEN

Wie geht es weiter? Winterkorn dürfte seinen Vertrag bis Ende 2016 erfüllen, glauben Experten. Er selbst hat erklärt, dass er sich nicht vom Hof jagen lasse. „Was danach passiert – Verlängerung des Vertrages, Wechsel an die Aufsichtsratsspitze – ist seit dem Wochenende allerdings offen“, sagt Frank Schwope. Auf die möglichen internen Nachfolger wird sich nun die Aufmerksamkeit richten. Auf Lkw-Vorstand Andreas Renschler, der kürzlich von Daimler zu VW wechselte, oder Herbert Diess von BMW, der VW-Markenvorstand wird. Auch Skoda- Chef Winfried Vahland wird zu den Kandidaten gezählt. Oder – wenn Winterkorn doch vorzeitig geht – Porsche-Chef Matthias Müller als Übergangskandidat.

DIE FOLGEN

Wie auch immer die Personalien entschieden werden, die unmittelbaren Folgen der Piëch-Intervention wird das Unternehmen schon bald spüren. „Das ist eine ganz kritische Angelegenheit“, glaubt Stefan Bratzel. Die Zweifel, dass der riesige VW-Konzern mit weltweit mehr als 100 Werken nicht mehr zu steuern sei, würden nun wieder lauter. Zumal schon ein milliardenschweres Sparprogramm für Unruhe bei Volkswagen sorgt. „Es war die unangefochtene Autorität von Winterkorn und Piëch, die Volkswagen in der Spur gehalten hat“, sagt Bratzel. „Nun ist die Gefahr groß, dass in den Entscheidungsprozessen vieles nicht mehr funktioniert.“ Der „Kampf um Köpfe“ werde Kräfte binden.

„Das Ganze wird in den kommenden Monaten bei Volkswagen rumoren“, glaubt auch Analyst Schwope. Dem Autokonzern gehe es gut, „aber nicht sehr gut“. Gleichwohl seien die Zahlen beeindruckend: 2014 erzielte Volkswagen einen Umsatz von 202 Milliarden Euro und verdiente unterm Strich elf Milliarden Euro. „Wer sich die Kennzahlen anschaut, muss einräumen, dass Winterkorn und der VW-Vorstand nicht viel falsch gemacht haben“, sagt Schwope. Für das Unternehmen sei die von Piëch provozierte Situation womöglich gar nicht schlecht. „Vielleicht gibt es jetzt bei Volkswagen eine offene Diskussion über die Schwächen, die der Konzern hat.“

Eine Gelegenheit zur öffentlichen Aussprache bietet sich am 5. Mai bei der Hauptversammlung in Hannover. An der Börse kam der Führungsstreit nicht gut an. Die VW-Aktie verlor am Montag als schwächster Dax-Wert 1,8 Prozent.

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