Klimaschutz: Fröhliche Scheidung von Verbrauch und Wachstum
Energieverbrauch und Wirtschaftswachstum haben sich weltweit entkoppelt. Bis zu einer klimaneutralen Wirtschaft ist der Weg aber noch weit. Das gilt auch für die deutsche Hauptstadt.
Wenn Eheleute sich in Frieden trennen, sprechen die Angelsachsen von einer „happy divorce“. So eine glückliche Scheidung scheint neuerdings auch bei einem Paar möglich, das lange Hand in Hand ging: Wirtschaftswachstum und steigender Energieverbrauch.
So hat die Internationale Energie Agentur (IEA) kürzlich bestätigt, dass der Ausstoß sämtlicher Treibhausgase auf der Erde schon im zweiten Jahr in Folge gleich geblieben ist, während die Weltwirtschaft wuchs.
Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung war vergangenen Herbst zu dem Ergebnis gekommen, dass sich Wachstum und Energieverbrauch entkoppeln. In einer Studie für die Heinrich-Böll-Stiftung hatten die Wissenschaftler berechnet, dass die Entkopplung besonders stark in den OECD-Ländern war. Eine schwache Entkopplung beobachteten die Forscher in China. Dort stiegen die Emissionen weniger stark, als die Wirtschaft wuchs.
Mehr Investitionen in erneuerbare Energien als in fossile
Der Grund für den neuen Trend sind Fortschritte bei der Energieeffizienz und der Ausbau der erneuerbaren Energien, schreibt die IEA. Auch hier gab es einen Wendepunkt: Neuerdings sind die Investitionen in erneuerbare Energien größer als die in fossile Kraftwerke und die Atomkraft.
Für den Klimaschutz ist es gut, dass eine Entkopplung grundsätzlich möglich ist. Denn um zu wachsen und ihrer Bevölkerung einen besseren Lebensstandard zu ermöglichen, werden vor allem die Entwicklungsländer in Zukunft sehr viel mehr Energie verbrauchen. Wenn es nicht gelingt, diesen Energiehunger mit sauberen Technologien zu befriedigen, wird dem Klima nicht zu helfen sein.
Allerdings bleibt noch viel zu tun: Die Emissionen blieben 2014 und 2015 in etwa so hoch wie 2013, während die Weltwirtschaft zuletzt um drei Prozent wuchs. Gesunken sind die Emissionen nicht. In Deutschland stiegen sie sogar: „Hohe Stromexporte, eine im Vergleich zum Vorjahr kühlere Witterung und günstigere Kraftstoffpreise haben 2015 zu einem leichten Anstieg der Treibhausgasemissionen geführt“, teilt das Umweltbundesamt mit.
In nur 35 Jahren aber soll Deutschland nahezu klimaneutral sein. Kaum noch Kohle, Erdöl oder Gas sollen verbrannt werden. Wie das gehen kann? Für die deutsche Hauptstadt zeigen das kürzlich verabschiedete Berliner Energiewendegesetz und das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm den Weg.
Aus der Kohle aussteigen wollte das Abgeordnetenhaus noch nicht
In einer Machbarkeitsstudie hatte das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung berechnet, dass es grundsätzlich möglich ist, alle Emissionen in Berlin bis 2050 um 85 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Die Studie war Grundlage für den Entwurf eines Berliner Energie- und Klimaschutzprogramms (BEK), das eine Art Fahrplan zur Klimaneutralität darstellt. Er ist noch nicht verbindlich.
Doch am 17. März hat das Abgeordnetenhaus ein Energiewendegesetz beschlossen, das die Aufstellung eines Energie- und Klimaschutzprogramms unter Einbeziehung der Bevölkerung fordert. Die Vorarbeit aus dem bereits vorliegenden BEK wird dafür genutzt werden.
Das Programm legt vier Grundprinzipien fest: Klimaschutzmaßnahmen, die schon heute wirtschaftlich sind, sollen gefördert werden. Möglichkeiten des Klimaschutzes, die bisher noch ein Nischendasein fristen, sollen in den Mainstream überführt werden. Innovative Technologien, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle sollen unterstützt und Zielkonflikte berücksichtigt werden. Letzteres bezieht sich beispielsweise auf die energetische Sanierung von Wohnungen. Sie sollen nachher nicht so teuer sein, dass Mieter vertrieben werden.
Fünf Handlungsfelder betrachtet das BEK: Energieversorgung, Gebäude und Stadtentwicklung, Wirtschaft, Verkehr und privaten Konsum. Jeweils rund 20 Maßnahmen sollen zur Klimaneutralität führen: Ausstieg aus Kohle und Öl bei der Stromerzeugung, quartiersweise Sanierung von Gebäuden, Steigerung der Energieeffizienz in den Betrieben, mehr Radwege oder informative Energieabrechnungen für die Verbraucher.
Das Programm muss nun binnen eines Jahres beschlossen werden. Dann stehen konkrete Schritte zum strategischen Ziel fest. Die Erfahrung hat gezeigt: Technisch machbar ist vieles. Was zählt, ist der politische Wille. Hier hat sich das Abgeordnetenhaus beim Beschluss des Energiewendegesetzes nicht gerade durch Wagemut ausgezeichnet. Nicht angenommen wurde ein Änderungsantrag von Linken und Grünen, die einen Kohleausstieg Berlins bis 2030 forderten. Dafür hatte sich die Enquete-Kommission „Neue Energie für Berlin“ im vergangenen Jahr ausgesprochen.