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Die Lausitzer Tagebaue schaden auch den Gewässern in Brandenburg. Viele sind mit Ockerschlamm belastet, und die Spree trägt so viel Sulfat nach Berlin, dass das Trinkwasser in Gefahr gerät.
© Thilo Rückeis

Klimawandel und Energieversorgung: Gutachten: Berlin kann Kohle-Ausstieg erzwingen und Tagebaue stoppen

Wenn Vattenfall nicht mitmacht, scheitern Berlins Klimaziele. Eine Juristin hat geprüft, wie der Senat den Kohle-Ausstieg forcieren kann.

Seit diesem Donnerstag sind die Klimaschutzziele des Landes Berlin verbindlich: Das Abgeordnetenhaus hat das Energiewendegesetz beschlossen (siehe Kasten). Jetzt ist Gesetz, dass die Hauptstadt bis 2050 klimaneutral werden soll. Doch ob das wirklich gelingt, ist keineswegs sicher. Und die Erfolgschancen liegen maßgeblich in der Hand von Vattenfall als Betreiber der Berliner Heizkraftwerke.

Insofern kommt das Gutachten der renommierten Umweltrichterin Cornelia Ziehm gerade im richtigen Moment. Für das „Bürgerbegehren Klimaschutz“ – ein Abkömmling des knapp gescheiterten Energie-Volksentscheids – hat die Anwältin untersucht, ob der Senat den Energiekonzern zum Kohleausstieg zwingen und neue Tagebaue in Brandenburg verhindern kann. Ergebnis: ja und ja.

Dabei kann der Senat gegen den Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids gar nicht direkt angehen. Als Hebel sieht Ziehm das von den Kraftwerken freigesetzte Quecksilber, das teils direkt und teils über das Abgas in die Gewässer gelangt. Die sollen sich laut europäischer Wasserrahmenrichtlinie seit Jahresbeginn in „gutem Zustand“ befinden – inklusive einem Grenzwert für das hochgiftige Quecksilber, „der in Berlin und Brandenburg flächendeckend überschritten wird“ – mit zuletzt sogar steigender Tendenz, wie aus dem auch von Berlin beschlossenen „Bewirtschaftungsplan Flusseinzugsgebiet Elbe“ hervorgeht. Kraftwerke als Quecksilberquelle würden in diesem Plan komplett ausgeblendet, sagt Ziehm.

Kraftwerk Reuter West ist Berlins größter CO2-Produzent

Also könnten übers Wasserrecht die Betriebsgenehmigungen für die Kohlemeiler eingeschränkt oder im Extremfall widerrufen werden.

Das Gutachten ist eher vorsorglicher Natur, falls Vattenfall seine Kraftwerke nicht wie angekündigt freiwillig auf klimaschonendere Energieträger umrüstet. Als Warnung gilt bereits die Laufzeitverlängerung für das besonders klimaschädliche Kraftwerk Klingenberg von 2016 auf 2020, die vom Senat ohne hörbaren Protest zur Kenntnis genommen wurde. Als Ersatz kommen vor allem Biomasse und – vorerst – Erdgas infrage.

Während das Steinkohle-Kraftwerk Reuter ebenfalls bis 2020 umgerüstet werden soll, sind die Pläne für die ebenfalls mit Steinkohle befeuerten Kraftwerke Reuter West und Moabit erst vage.

Die Bedeutung der Kraftwerke illustriert das Beispiel von Reuter West als größter Berliner Anlage: Nach Daten des Umweltbundesamtes blies das Kraftwerk 2013 (aktuellste verfügbare Daten) fast 2,9 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Luft. Das entspricht rund 15 Prozent aller Berliner Emissionen. Zum eher global schädlichen CO2 kommen Massen lokal relevanter Schadstoffe: 2230 Tonnen Stickoxide, 800 Tonnen Schwefeloxide sowie 90 Kilo Nickel, 33 Kilo Arsen und eben 30 Kilo Quecksilber, die allein über den Schornstein in die Luft gelangten.

Enteignungen für neue Tagebaue sind kaum zu rechtfertigen

Die Kraftwerke in der Lausitz, die aus den umliegenden Braunkohletagebauen versorgt werden und mangels Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) den Brennstoff schlechter nutzen als die Berliner, emittieren noch viel mehr Klimagas und Giftstoffe. Hinzu kommen die Folgen des Kohleabbaus für die Spree, die unter Ockerschlamm leidet und mit ihrem steigenden Sulfatgehalt als Trinkwasserlieferant für Berlin in Gefahr gerät. Aus Sicht der Juristin Ziehm widerspricht auch dieser Trend der Wasserrahmenrichtlinie, die ein „Verschlechterungsverbot“ vorsehe. Daraus ergebe sich für Berlin ein Vetorecht in der gemeinsamen Landesplanung.

Als weiteren Hebel, um die kohlefreundliche Potsdamer Landesregierung zum Kurswechsel zu zwingen, sieht Ziehm Klagen gegen Enteignungen für neue Tagebaue. Enteignet werden dürfe nur bei überragendem Gemeinwohlinteresse. Diese Priorität gebe es bei der klimaschädlichen Kohleverstromung nicht mehr.

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