Händler setzen auf neue Taktik: Flimmerpreise machen Kunden nervös
Im Internet ändern sich Preise stündlich. Jetzt führen auch immer mehr stationäre Händler digitale Schilder ein. Das eröffnet viele Möglichkeiten – und soll neuen Umsatz bringen.
Musik wird gestreamt, Bücher werden auf dem E-Reader gelesen, Geburtstagsgrüße per E-Mail verschickt. Die Welt ist digital geworden – an manch revolutionäre Errungenschaft haben wir uns längst gewöhnt. Dass nun auch Preisschilder aus Papier langsam, aber sicher aus den Läden verschwinden, erscheint im Vergleich als kleiner, ja logischer Schritt. Und doch hat er womöglich eine größere Tragweite, als es im ersten Moment erscheint.
Edeka testet sie gerade, Rewe hat sie schon, Mediamarkt bald auch – vor Kurzem kündigte der Elektronikhändler an, sukzessive alle 420 Mediamarkt- und Saturn-Märkte in Deutschland auf elektronische Preisschilder umzustellen. Altmodische Pappkärtchen weichen smarten Mini-Displays, und wo früher überklebt oder durchgestrichen wurde, leuchten digitale Ziffern akkurat den Preis aus.
Amazon ändert die Preise mehrmals am Tag
„Grundsätzlich sind die elektronischen Preisschilder die schnellste und einfachste Variante der Preisauszeichnung. Bislang muss bei einer Preisänderung für jedes Produkt ein Preisschild ausgedruckt und zugeschnitten werden, ein Mitarbeiter zu dem Produkt gehen und das Schild bei dem Produkt anbringen – das kostet viel Zeit“, erklärt eine Mediamarkt-Sprecherin. Für den Kunden böten die elektronischen Auszeichnungen auch eine höhere Sicherheit, weil er sich darauf verlassen könne, dass immer der korrekte Preis am Produkt angebracht sei. Hilfreich sei das zum Beispiel bei Sonderaktionen, bestätigt Sarah Herrlein vom Brancheninformationsdienst Planet Retail: „Auch kann man sicherstellen, dass die Preise an der Kasse und am Regal deckungsgleich sind und Kunden nicht verärgert werden.“ Die neue Beschilderung, schlussfolgert Mediamarkt, schaffe Vertrauen.
Daran jedoch gibt es Zweifel. Viele fürchten, dass Händler die Preise jetzt öfter und kurzfristiger ändern, weil sie schneller reagieren können. Das Phänomen des „Dynamic Pricing“, wie es im Branchenjargon heißt, ist im Onlinehandel bereits gang und gäbe. So gab Amazon-Deutschland-Chef Ralf Kleber in einem Interview unlängst zu, dass der Konzern die Preise mitunter mehrmals am Tag ändere. Als Mensch, der tankt, kennt man das System seit Langem. Auch andernorts ist gelernt, dass für gleiche Leistung nicht alle denselben Preis bezahlen. Im Flugzeug reist der Sitznachbar vielleicht für die Hälfte, Zimmerpreise im Hotel sind oft Verhandlungs- und Glückssache.
Müssen Apple-Nutzer mehr zahlen als Android-User?
Nach welchen Kriterien Preise sinken oder fallen, lässt sich als Kunde dabei nur sehr bedingt nachvollziehen. Glaubt man dem Preisbeobachtungsdienst Spottster, dann sind Elektronikprodukte mittwochs günstiger, Schuhe am Donnerstag, Beauty-Produkte am Freitag. Am Wochenende sei das Online-Shoppen dagegen eher teurer, zeigt die Erhebung.
Die Nachfrage bestimmt das Angebot – aber auch Konkurrenz ist ein wichtiger Faktor. Schon gar bei stark preisgetriebenen und gut vergleichbaren Warengruppen wie Fernsehern. Damit aber ist es nicht getan. Weil die Algorithmen, nach denen Händler vorgehen, streng geheim gehalten werden, gibt es immer wieder neue Gerüchte. So wurde unlängst gemutmaßt, Apple-Nutzer bekämen bei Amazon höhere Preise angezeigt als Interessenten, die sich von Android-Geräten aus einloggen, weil davon ausgegangen wird, dass sie mehr Geld haben oder auszugeben bereit sind. Amazon bezeichnete das als Quatsch. Doch jeder, der sich im Internet bewegt, hinterlässt so viele Daten, dass es verwunderlich wäre, wenn die Händler sie nicht nutzten. Werbung wird längst auf den Empfänger abgestimmt. Wenn der Anbieter nun weiß, dass der Kunde sowieso immer das neueste Gerät kauft, wieso sollte er Rabatte an ihn verschwenden? Zeigt sein Bewegungsmuster dagegen, dass es sich um einen zögerlichen Käufer handelt, macht es Sinn, ihm preislich entgegenzukommen.
Neue Services versprechen Kunden Hilfe
Was aber bedeutet das für den Verbraucher? „Da geht Vertrauen verloren“, urteilt im Gegenteil Peter Walschburger, Biopsychologe an der Freien Universität Berlin. „Die Kundenbindung dürfte nachlassen, weil die Sicherheit wegfällt.“ Vom Idealbild des ehrbaren Kaufmanns, bei dem man treu einkehrt und zuverlässig das bekommt, was man erwartet, habe sich die Handelslandschaft weit entfernt. „Geld und Wert waren einmal eng verknüpft. Heute driften sie immer weiter auseinander.“ Das System wird ökonomisch gesehen leistungsfähiger – aber auf Kosten der Kunden. „Der Lebensrhythmus wird durcheinandergebracht, weil Preise ihn diktieren und nicht mehr wir.“ Zugleich produziert das System Gewinner und Verlierer. „Wer weniger Zeit, Geld für Technik oder auch Bildung und Cleverness hat, kann nicht vergleichen und zahlt drauf.“
Dienste wie Spottster, Mein Preiswecker oder Mein-Wunschpreis.de versprechen Abhilfe, in dem sie den Kunden informieren, wenn ein Produkt, das er sich gemerkt hat, unter eine vorher von ihm festgelegte Preisgrenze fällt. Das Online-Vergleichsportal Idealo stellt die Preisentwicklung des gewünschten Artikels in Form kleiner Grafiken neben dem Produktbild dar. Manch lebhafte Kurve kommt da zustande. Jetzt kaufen oder besser noch warten? Ein bisschen erinnert das an die Börse. „Zeigt eine Grafik, dass der Produktpreis vor Kurzem gesunken ist, kann das dem Kunden ein gutes Gefühl geben, aber auch dazu führen, dass er seine Kaufentscheidung aufschiebt, weil er mit weiter sinkenden Preisen rechnet“, sagt Doreen Pick, Marketingexpertin an der FU Berlin. Lässt sich im Gegenteil eine Preissteigerung ablesen, könnte dies als Signal gewertet werden, jetzt noch zuzuschlagen. „Man konnte den Effekt gut vor zwei, drei Jahren beobachten, als die Heizölpreise kontinuierlich stiegen: Viele Kunden bestellten dann ganz schnell, um ihr Risiko einzudämmen.“
Mediamarkt will keine Tankstellen-Preise
„Derlei Grafiken geben Anlass zu strategischen Optimierungsprozessen, die oft in die Hose gehen“, sagt Psychologe Walschburger. „Und zu abergläubischem Verhalten. Je mehr die Emotionen angeheizt werden, desto eher hat man den Eindruck, dass eine Systematik dahinter- steckt.“ Wie im Casino: Wenn beim Roulette nach acht Mal Rot doch einfach Schwarz kommen muss. „Die Geiz-ist-geil-Mentalität wird angestachelt, man möchte den Tiefstpreis erwischen. Ein Spielchen, das man oft verliert, denn die Zukunft ist offen.“ Auch beim Tanken passiere es schließlich, dass man viele Gelegenheiten ignoriere, weil man hofft, dass der Preis wieder unter 1,30 Euro pro Liter fällt. „Irgendwann ist man dann gezwungen, für 1,45 Euro zu tanken, weil man auf dem letzten Tropfen fährt.“
Müssen Kunden nun aber Sorge haben, dass der Preis für den Toaster sich ändert, während sie ein Regal weiter ein zweites Modell begutachten? Dann bekäme das Bild von den Preisen, die davonlaufen, eine ganz neue Realität. „Unser Anspruch ist definitiv nicht, Preise in Tankstellen-Manier permanent zu ändern und den Kunden zu verwirren“, versichert Mediamarkt auf Nachfrage. In den Niederlanden, wo alle Märkte mit elektronischen Schildern arbeiteten, bleiben die Preise während der Öffnungszeiten konstant.
Wer zu Stoßzeiten kauft, könnte mehr zahlen
Im Lebensmitteleinzelhandel, sagt Doreen Pick, seien bislang noch keine Preisänderungen abseits der normalen wöchentlichen zu beobachten. „Denkbar sind kurze Preisanhebungen aber gerade zu Zeiten, wo viele ihre Wochenendeinkäufe erledigen – und vielleicht nicht so genau auf die Preise achten.“
Wenn Arbeitsaufwand wegfällt und Arbeitszeit, sagt Branchenbeobachterin Herrlein schließlich, dann im Endeffekt vielleicht auch Arbeitskräfte. Mediamarkt erklärt dagegen: Die Mitarbeiter hätten so mehr Zeit für die Kundenberatung.
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