Lieferdienste für Lebensmittel: Frisch aus dem Netz
Schuhe, Bücher, Spielzeug - all das shoppen Bundesbürger längst im Internet. Nahrungsmittel kaum. Dabei bringen Handelsketten Kunden ihren Einkauf bis nach Hause. Und einige Start-ups sind erfolgreich in der Nische.
- Simon Frost
- Maris Hubschmid
Einmal in der Woche kommt der Bus, er hält auf dem Parkplatz neben dem Friedhof. Um 15 Uhr stehen schon sechs Menschen davor, eine halbe Stunde haben sie Zeit. Sie klettern in das Fahrzeug, kaufen Milch, Eier, Wurst und Kohl, bestellen Schweinshaxe für die nächste Woche. Der Supermarkt, der zum Kunden kommt: Das gab es schon in den 70er Jahren. Und es gibt ihn noch – weil viele Dörfer so massiv an Einwohnern verloren haben, dass sich lokale Geschäfte nicht mehr rechnen, erleben die rollenden Märkte eine Renaissance.
Moderner sieht der Einkauf so aus: Vom Nutella-Glas bis zur Bierkiste landet alles per Mausklick im virtuellen Warenkorb, der Kunde zahlt über Lastschrift. Kommt er abends von der Arbeit, ist der Wocheneinkauf schon da.
Allerdings steht diese bequeme Lösung aktuell fast nur Großstädtern offen. Praktisch kaufen überhaupt nur wenige ihre Lebensmittel online. Schuhe, Bücher, Spielzeug – all das shoppen Bundesbürger längst im Internet. Nahrungsmittel kaum. „Zwar stieg der Anteil der online erworbenen Nahrungsmittel im vergangenen Jahr um 50 Prozent“, sagt Stefan Hertel vom Handelsverband Deutschland. Allerdings auf niedrigem Niveau. „Statt 0,4 Prozent macht er nunmehr 0,6 Prozent vom Gesamtmarkt aus.“
Alle großen Handelsketten machen mit, profitabel ist wohl keine
Dennoch haben fast alle großen deutschen Lebensmittelhändler in den vergangenen Jahren in ein Online-Angebot investiert. Erfolgreichster Anbieter ist Rewe.de, der insgesamt 70 Städte beliefert, vor Mytime, das zur nordwestdeutschen Bünting-Gruppe (Famila, Markant) gehört. Unter dem Namen Edeka24 bietet Edeka Südwest Lebensmittel online an, jedoch keine frischen Waren wie Gemüse oder Eier. Bringmeister, der Lieferdienst von Kaiser’s-Tengelmann, schafft es auf Platz vier.
Verkaufszahlen veröffentlichen die Anbieter bislang nicht. „Rentabel ist in Deutschland noch keiner der E-Commerce-Lebensmittelhändler“, sagt Daniel Johansson vom Brancheninformationsdienst Planet Retail. Vom Marktführer Rewe hieß es bislang lediglich: „Wir sind mit den Umsätzen sehr zufrieden.“
Meist kann der Kunde für die Lieferung ein Zeitfenster von zwei Stunden auswählen, Edeka24 verschickt regulär mit der Deutschen Post, Real im Westen mit DPD. Die Preise entsprechen grundsätzlich denen im Supermarkt, für die Lieferung wird pauschal eine Gebühr von vier bis sechs Euro erhoben. Während man bei Plattformen wie Food.de auch Einzelteile bestellen kann, verlangt Rewe einen Mindestbestellwert von 40 Euro. „Trotzdem rechnet sich das Modell wohl in den wenigsten Fällen“, sagt Johansson. Die Gesamtvolumen seien zu gering, deckten Personal- und Transportaufwand nicht. Die meisten Kunden bestellten vor allem schwere Waren wie Waschmittel und Getränke. „Frische Produkte, über die im Handel die größten Gewinnspannen erzielt werden, kaufen sie dann doch im örtlichen Markt.“
Tesco in Großbritannien hat mit seinem Modell Erfolg
Wie schwierig das Umfeld ist, bekam jüngst der Lieferdienst Shop-Wings zu spüren. Gestützt von der Internet-Holding Rocket Internet, wollte das Unternehmen für andere einkaufen gehen – lieferte Aldi-Artikel ebenso wie Bio-Produkte von Alnatura. Im Juli kam nun das Aus in Deutschland. In Australien soll es bald besser klappen.
Sind die Deutschen einfach noch nicht reif für den Online-Supermarkt? „Ich denke nicht, dass das Modell hierzulande eine große Zukunft hat“, sagt Johansson. Zwar gebe es andernorts erfolgreiche Angebote wie das der Kette Tesco in England. „Aber dort ist die Supermarktdichte viel geringer. In Deutschland ist die Entfernung zum nächsten Nahversorger so gering wie kaum irgendwo in der Welt.“
Deutsche Online-Supermärkte setzen deshalb vornehmlich auf den – gefühlten – Zeitmangel der Bundesbürger. „Die Services werden sowohl von Singles und Paaren als auch von Familien bis hin zu Rentnern angenommen“, heißt es bei Rewe auf Anfrage. Auf Zeitersparnis zielen auch Angebote wie Real Drive im Westen und Globus Drive in Saarbrücken: Sie liefern den Einkauf zwar nicht nach Hause, machen ihn auf Wunsch aber soweit parat, dass der Kunde nur noch bei der Filiale vorbeifahren muss und dort Tüten und Kisten überreicht bekommt. Auch bei diesem Modell leiden die Händler darunter, dass die Kunden in der Regel deutlich weniger und nur Basislebensmittel kaufen: Werden sie heutzutage in Offline-Supermärkten gezielt mit Reizen überflutet, dass am Ende oft deutlich mehr im Einkaufswagen landet als geplant, beschränken sich Onlinekunden eher auf das Nötige.
Onlinehandel als zusätzlicher Vertriebskanal im harten Wettbewerb
Warum aber bieten Händler die Services dann an? „Für Rewe ist das Angebot eine Chance, den Abstand auf Edeka zu verringern“, sagt Handelsexperte Johanssen. „Zukäufe sind für die etablierten Händler heutzutage sehr schwierig, wie das Beispiel Edeka-Tengelmann zeigt.“ Die Kette bestätigt: Für Rewe sei der Onlinehandel ein Vertriebskanal, mit dem sich „in einem wettbewerbsintensiven Markt zusätzliche Kunden gewinnen“ ließen. Für Edeka als Verbund vieler einzelner Händler ist es deutlich komplizierter, überall ein umfassendes Online- Sortiment anzubieten. Für alle geht es um einen Prestigegewinn: Sie präsentieren sich als moderne Händler. „Davon profitiert die gesamte Marke“, sagt Johansson.
Zudem spüren die Konzerne den Konkurrenzdruck von außen. Längst drängen branchenfremde Akteure in den Markt, die zuvor nicht mit Lebensmitteln gehandelt haben. Dafür sind sie echte Logistik-Profis: So bietet Amazon eigenen Angaben nach mehr als 471 000 Artikel des täglichen Bedarfs an, auch die Deutsche Post kooperiert nicht nur mit diversen Händlern, sondern betreibt den Onlinesupermarkt Allyouneedfresh. „Wir sind der festen Überzeugung, dass der Online- Lebensmittelhandel auch in Deutschland großes Potenzial bietet und sich langfristig durchsetzen wird“, sagt eine Sprecherin. Seit Kurzem gibt es die eigens entwickelte Transportbox mit Kühlsystem, die der Bote umweltfreundlich wieder mitnimmt.
Die Boxen nutzt zum Beispiel das Berliner Start-up Gegessen wird immer. Das Konzept: Ausgewählte Lebensmittel, die unter besonderem handwerklichen Anspruch hergestellt wurden – zum Beispiel von der Kreuzberger Bäckerei Soluna. Neben den Berlinern gibt es eine Reihe kleiner Anbieter, die Bio- und vegane Lebensmittel liefern. Wenn auch das Netz an Nahversorgern im Land so dicht gewebt ist wie kaum irgendwo sonst: Für Nischenprodukte ist noch Raum.
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