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Syrische Auszubildende in einer Lehrwerkstätte der Deutschen Bahn.
© Martin Schutt/dpa

Flüchtlinge und Arbeitsmarkt: „Fast die Hälfte jetzt in Arbeit“

Forscher der Bundesagentur für Arbeit beobachten regelmäßig die Integration Geflüchteter. Stand heute: Mehr Frauen arbeiten, es gibt mehr Geld und bessere Jobs.

Herbert Brücker ist Professor für Volkswirtschaft an der Universität Bamberg und leitet die Migrationsabteilung des "Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung" IAB in Nürnberg. Das Institut ist Teil der Bundesanstalt für Arbeit.

Herr Professor Brücker, Ihr Team am Forschungsinstitut IAB der Bundesagentur für Arbeit untersucht seit Jahr für Jahr die Erfolge von Flüchtlingen am Arbeitsmarkt. Heute ist ihre neueste Zwischenbilanz erschienen, Stand Ende 2018. Wo stehen wir jetzt?

In Deutschland leben 1,8 Millionen Menschen, die als Schutzsuchende zu uns gekommen sind, 1,1 Millionen davon seit 2015. 72 Prozent dieser Menschen haben inzwischen einen Schutzstatus, bei 17 Prozent sind die Verfahren noch nicht abgeschlossen. Das bedeutet: Die große Mehrheit der Menschen, die als Geflüchtete zu uns gekommen sind, hat legitime, durch den Rechtsstaat bestätigte Schutzansprüche. Sie müssen auf jeden Fall integriert werden.

Und ist das gelungen?

Gemessen an den Voraussetzungen recht gut. Grundsätzlich gilt: Geflüchtete haben bei uns und weltweit schlechtere Chancen als andere Migrantinnen und Migranten sich in den Arbeitsmarkt und andere Bereiche der Gesellschaft zu integrieren. Sie sind schlechter auf die Migration vorbereitet, Bildung und Ausbildung passen schlechter zu den Anforderungen am Arbeitsmarkt, sie bringen keine deutschen Sprachkenntnisse mit und stehen vor zahlreichen institutionellen Hürden. Aber: Das alles verbessert sich schrittweise. So haben sich die Asylverfahren beschleunigt und sind heute weitgehend abgeschlossen. Das schafft Rechtssicherheit und erhöht die Integrationschancen.

Der Migrationsökonom Herbert Brücker
Der Migrationsökonom Herbert Brücker
© privat

Weil wenige nachkamen?
Auch das. Aber die Asylverfahren haben sich unabhängig davon beschleunigt: 2014, bei einer vergleichsweise kleinen Zahl von neu angekommenen Asylbewerbern, waren nach einem Jahr erst 42 Prozent der Fälle entschieden. Bei der viel größeren Zahl der 2015 eingereisten, waren es nach einem Jahr 62 Prozent, heute sind es 73 Prozent.

Diese Beschleunigung der Asylverfahren ist deshalb so wichtig, weil unsere Befunde zeigen, dass lange Asylverfahren die Integration nicht nur verzögern, sondern auch mittel- und langfristig, also Jahre nachdem die Asylverfahren abgeschlossen sind, die Integrationschancen immer noch verringern. Da ist Deutschland klar besser geworden.

Wie hat sich das inzwischen auf ihre Berufstätigkeit ausgewirkt?
Fünf Jahre nach dem Zuzug sind 49 Prozent, also knapp die Hälfte der Geflüchteten, erwerbstätig, gut achtzig Prozent davon sozialversicherungspflichtig.

Das entspräche der Faustregel, derzufolge es die Hälfte der Flüchtlinge nach fünf Jahren geschafft hat.
Unsere Datenbasis ist heute etwas päziser geworden als die Zahlen, die uns im Jahr 2015 zur Verfügung standen. Tatsächlich zeigen die jüngsten Zahlen, dass wir etwas schneller als in der Vergangenheit sind: Die Schwelle, bei der die Hälfte der Geflüchteten ihren ersten Job in Deutschland gefunden hat, wird heute, also bei den seit 2013 zugezogenen Geflüchteten, vier Monate schneller erreicht als bei den früher, also in den Jahren von 1990 bis 2013 eingereisten Geflüchteten.

Fünf Jahre nach dem Zuzug waren unter den früher zugezogenen Geflüchteten 44 Prozent erwerbstätig, also fünf Prozentpunkte weniger als bei den in jüngster Zeit Zugezogenen. Das ist kein riesengroßer Unterschied, aber ein Unterschied. Und es gibt einige interessante Details.

Zum Beispiel?
Zum Beispiel, wenn man sich die Kurven der Beschäftigungsentwicklung ansieht: Die Generation der 1990 bis 2013 eingereisten Geflüchteten war anfangs sogar etwas schneller in Arbeit. Das hat vermutlich damit zu tun, dass wir jetzt mehr für sie tun: Wir bieten Sprach- und Integrationsprogramme an, das gab es früher nicht oder nicht in diesem Umfang.

Das erhöht langfristig die Beschäftigungschancen, aber erst einmal besuchen die Menschen Sprach- und andere Integrationsprogramme, bevor sie arbeiten. Darum verläuft die Arbeitsmarktintegration jetzt erst einmal etwas langsamer, aber dann werden die Vorgängergenerationen überholt. Übrigens hatten im 2. Halbjahr 2018 44 Prozent aller Geflüchteten schon gute oder sehr gute Deutschkenntnisse – dabei kam nur ein Prozent überhaupt mit Vorkenntnissen.

Was ist außerdem anders nach Ihren Daten?
Die Geschlechterlücke zwischen der Beschäftigung von Männern und Frauen. Der Gendergap war zu Beginn unserer Untersuchungen geradezu deprimierend hoch. Heute beobachten wir, dass fünf Jahre nach dem Zuzug 29 Prozent der geflüchteten Frauen arbeiten – vier Jahre nach dem Zuzug waren es nur 15 Prozent.

Damit beträgt die Lücke in den Erwerbstätigenquoten von geflüchteten Männern und Frauen immer noch 28 Prozent – aber der Gap verringert sich spürbar. Das haben wir in den früheren Daten noch nicht gesehen. Der wichtigste Grund für das Geschlechtergefälle liegt in den Familienverhältnissen: Rund 70 Prozent der geflüchteten Frauen, aber nur gut ein Fünftel der Männer haben Kinder.

Wenn geflüchtete Frauen Kinder haben, dann sind es im Durchschnitt knapp drei, mehr als die Hälfte Kleinkinder. In einer solchen Familienkonstellationen ist es auch für deutsche Frauen schwierig, einer Berufstätigkeit nachzugehen. Die gesamte Entwicklung der geflüchteten Frauen zeigt aber deutlich nach oben.

Inwiefern?
Anfangs waren deutlich mehr Männer als Frauen in Sprachkursen und anderen Integrationsmaßnahmen, auch heute ist die Zahl der Kursabsolventen unter den Männern noch höher als unter den Frauen. Das verändert sich jetzt: Im zweiten Halbjahr 2018 besuchten 25 Prozent der Frauen Integrationsmaßnahmen, aber nur 16 Prozent der Männer. Die Lücke schließt sich also, wir können zumindest bei der Teilnahme an Sprach- und anderen Programmen von einer nachholenden Integration sprechen. Das wird sich irgendwann auch im Arbeitsmarkt niederschlagen.

Zumal sich rund 90 Prozent der Geflüchteten, Frauen wie Männer, dafür aussprechen, dass Frauen gleichberechtigt am Erwerbsleben teilnehmen sollen. Da sind die Werte recht ähnlich wie bei den Deutschen. Anders sieht es bei den Familienwerten aus, etwa wenn es um Einstellungen zu Ehescheidung, Abtreibung oder Homosexualität geht. Allerdings finden es knapp 30 Prozent problematisch, wenn die Frau mehr verdient als ihr Mann. Aber das ist bei einem Fünftel der deutschen Männer und Frauen auch so.

Da wir gerade bei Einkommen sind. Wie haben sich die Verdienste von Geflüchteten entwickelt?
Nach oben. Sie liegen jetzt bei gut 1860 Euro brutto im Schnitt für Vollzeitbeschäftigte. Das ist freilich nur 55 Prozent des mittleren Verdiensts in Deutschland insgesamt. Man muss aber auch berücksichtigen, wie jung die Geflüchteten sind. Vergleicht man Altersgruppen, dann ist der Abstand viel geringer: Die Geflüchteten im Alter von 18 bis 25 Jahren erreichen rund drei Viertel des Verdienstniveaus der Deutschen in der gleichen Altersgruppe.

Wir müssen abwarten, wie sich das weiterentwickelt, wenn die Beschäftigten älter werden und ihre Qualifikation steigt. Eine vollständige Angleichung ist aber nicht zu erwarten.

Sehen Sie Trends in der Beschäftigungsstruktur?
Uns hat überrascht, dass 57 Prozent der erwerbstätigen Geflüchteten eine qualifizierte Tätigkeit als Fachkraft oder eine noch anspruchsvollere Tätigkeit ausüben, obwohl nur 25 Prozent über eine Hochschul- oder Berufsausbildung und nur 16 Prozent über entsprechende Abschlüsse verfügen.

Das erklärt sich dadurch, dass viele Geflüchtete in ihren Heimatländern berufliche Qualifikationen durch Training on the Job anstatt wie hierzulande eine berufliche Ausbildung erworben haben. Wir beobachten deshalb bei vielen Geflüchteten eine Beschäftigung oberhalb ihres formalen Ausbildungsniveaus in Deutschland, gemessen an der Beschäftigung in den Heimatländern aber häufig eine Dequalifizierung. Das ist allerdings nicht ungewöhnlich, Migration ist häufig mit Dequalifizierung verbunden. Mittelfristig ist zu erwarten, dass Geflüchtete noch etwas stärker in anspruchsvolleren Tätigkeiten vertreten sein werden.

Seit dem Zuzug hat rund ein Viertel eine Schule oder berufliche Bildungseinrichtung besucht. Wir rechnen auch langfristig mit einem hohen Qualifikationsgefälle zum Durchschnitt der deutschen Arbeitnehmer, aber dieses Gefälle wird sich über die Zeit verringern.

Und wie wird sich der Arbeitsmarkt für Geflüchtete insgesamt entwickeln?

Wir waren 2015 vorsichtig. Einerseits war die ökonomische Lage in Deutschland deutlich besser als in den 1990er Jahren für die Flüchtlinge vom Balkan. Andererseits kamen diesmal viel mehr Menschen und die hatten im Durchschnitt schlechtere Voraussetzungen: keine sozialen Netze hier, fast keine deutschen Sprachkenntnisse, schlechtere und schwer vergleichbare Bildungsvoraussetzungen. Jetzt können wir feststellen: Es läuft etwas besser als seinerzeit. Das ist nicht schlecht.

Trotzdem könnte die Lage besser sein, stellten Sie kürzlich fest.
Das Glas ist halbvoll. Deutschland hat vieles richtig gemacht, die Asylverfahren beschleunigt, Sprach- und Integrationsprogramme angeboten, die Bildungseinrichtungen geöffnet. Dazu kommt das Engagement der vielen Ehrenamtlichen, der Kommunen, der Verwaltung auf allen Ebenen. Aber wir haben auch Fehler gemacht.

Es gibt erhebliche regionale Unterschiede in den Beschäftigungschancen in Deutschland, das wirkt sich für Geflüchtete noch einmal stärker aus. Ausgerechnet in den beiden wirtschaftsstärksten Flächenstaaten in Deutschland, Bayern und Baden-Württember, leben gemessen an den Einwohnern weniger Geflüchtete als in allen anderen westdeutschen Bundesländern. Man hätte bei der Verteilung der Geflüchteten viel stärker die regionalen Unterschiede in den Arbeitsmarktchancen berücksichtigen müssen.

Sie kritisierten die Wohnsitzauflage, die den Umzug dahin, wo es Arbeit gibt, verhindert oder stark verzögert.
Sie hat eine ungünstige Ausgangsverteilung verfestigt. Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass Wohnsitzauflagen auf regionaler Ebene die Beschäftigungschancen und die Chancen, eine Wohnung zu finden, verringert haben. Es haben sich zwar keine Nachteile, aber auch keine Vorteile für die Teilnahme an Sprachkursen und die Deutschkenntnisse ergeben. Insofern haben sie der Integration nicht genützt, sondern geschadet.

Was tun? Den Königsteiner Schlüssel zurechtfeilen, der öffentliche Aufgaben, auch die Aufnahme von Schutzsuchenden, nach Größe der Bevölkerung und Steueraufkommen aufs Land verteilt?
Um die Kommunen nicht zu überlasten, müssen Geflüchtete zunächst verteilt werden. Aber als Kriterien hätte man neben der Bevölkerung statt dem Steueraufkommen die Arbeitslosenquote und andere ökonomische Kriterien in der jeweiligen Region zu Grunde legen können.

Schweizer Forscher haben gezeigt, dass eine optimale Verteilung der Geflüchteten in Hinblick auf die Passung von persönlichen Merkmalen und der Arbeitsnachfrage auf die Regionen ihre Beschäftigungschancen um bis zu 70 Prozent erhöhen könnte. So etwas könnte man hierzulande einmal ausprobieren.

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