zum Hauptinhalt
Geflüchtete mit Ausbilder in einer Werkstatt der Deutschen Bahn in Erfurt.
© Martin Schutt/dpa

Arbeitslosigkeit bei Flüchtlingen: Wie das Integrationsgesetz die Integration behindert

Forscher der Bundesagentur urteilen hart über das Integrationsgesetz von 2016: Es erschwert Geflüchteten das Arbeiten.

Das „Integrationsgesetz“ von 2016 bewirkt auf zentralen Feldern der Integration von Flüchtlingen anscheinend das Gegenteil. Das schließen Wissenschaftler des Instituts für Arbeits- und Berufsforschung in Nürnberg (IAB) der Bundesagentur für Arbeit aus ihrer Analyse jüngster Daten von inzwischen 8000 Geflüchteten, die seit 2013 nach Deutschland kamen.

Das IAB, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und das Sozio-ökonomische Panel, Deutschlands größte und älteste Langzeitstudie, wiederholen die Befragungen jährlich. 

Demnach sind die mit dem Gesetz beschlossenen Wohnsitzauflagen auch für schon anerkannte Schutzsuchende – stark beschränkter Wohnungswechsel über Ländergrenzen, die Länder selbst dürfen regionale Wechsel unterbinden - offenbar vor allem ein Hindernis, Arbeit zu finden.

Flüchtlinge haben deshalb auch mehr Schwierigkeiten, aus Gemeinschaftsunterkünften in eigene Wohnungen zu kommen. Der lange Aufenthalt in Massenwohnheimen gilt allgemein als Integrationshindernis.

Bevölkerungsanteil Geflüchteter in reichen Regionen unterm Durchschnitt 

Das wesentliche Thema des gerade veröffentlichten Kurzberichts von Andreas Hauptmann, Philipp Jaschke und dem Leiter der Migrationsabteilung des IAB, dem Migrationsökonomen Herbert Brücker, war allerdings der Arbeitsmarkt. Ihr Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit, einer bezahlten Arbeit nachzugehen, liegt für Flüchtlinge, deren Aufenthalt staatlicherseits eingeschränkt ist, um gut sechs Prozentpunkte unter der jener, die keine Wohnsitzauflage haben.

„Wenn zum Beispiel die beiden wirtschaftlich florierenden Länder Bayern und Baden-Württemberg keine Wohnsitzauflagen erlassen hätten, läge der Anteil von Flüchtlingen, die Arbeit haben, heute um sechs Prozentpunkte höher", erläutert Brücker dem Tagesspiegel. Konkret: Es wären 50 Prozent statt der 44, die im Süden zum Erhebungszeitpunkt in Arbeit waren.

Der Anteil Geflüchteter an der Bevölkerung ist aktuell aber gerade in den wohlhabenden Gegenden Süddeutschlands mit ihrem aufnahmebereitem Arbeitsmarkt unterdurchschnittlich - wie übrigens auch in den ostdeutschen Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit.

„Insgesamt ist festzustellen, dass Geflüchtete häufiger – relativ zur Gesamtbevölkerung – in Kreisen und kreisfreien Städten mit einer höheren Arbeitslosenquote wohnen“, heißt es in der Studie. Einschränkend bemerken die Forscher allerdings, dass die Zeit, in der sie die Auswirkungen des vier Jahre alte Gesetzes beobachten konnte, „noch sehr kurz“ war. Man werde die Entwicklung weiter verfolgen.

Sie weisen allerdings darauf hin, dass dieser Negativeffekt des erzwungenen Wohnsitzes in den letzten fünfzehn Jahren auch für andere Länder schon nachgewiesen wurde, etwa für Dänemark und Schweden und 2018 in einer gesamteuropäischen Studie.

Und auch die Vorlieben von EU-Bürgern in Deutschland gäben Hinweise darauf, wie wesentlich die richtige, also wohlhabende Region für eine Erwerbstätigkeit sei. EU-Bürger nämlich unterliegen keinerlei Zuzugsbeschränkungen und lassen sich überdurchschnittlich oft in wirtschaftlich starken Gegenden nieder.

Auch eine eigene Wohnung ist schwerer zu finden

Das Urteil der Forscher ist hart: „Die bisherigen Ergebnisse sprechen nicht dafür, dass das Ziel des Gesetzes, die Integrationschancen von Geflüchteten durch die Einführung der Wohnsitzauflagen zu verbessern, tatsächlich erreicht wurden. Im Hinblick auf die Arbeitsmarktintegration und die dezentrale Unterbringung außerhalb von

Gemeinschaftsunterkünften ist nach den Schätzergebnissen eher das Gegenteil der Fall.“ Die Chancen, es aus einer Gemeinschaftsunterkunft in eine eigene Wohnung zu schaffen, sind der Studie zufolge für Flüchtlinge mit Wohnsitzauflage zwischen acht und 15 Prozentpunkten reduziert.

Das erklärte Ziel des Integrationsgesetzes, das im August 2016 in Kraft trat, war demgegenüber, Voraussetzungen dafür zu schaffen, „dass Zugezogene in unserem Land schnell auf eigenen Beinen stehen können“, wie das Arbeitsministerium damals formulierte.

Dafür  wurden unter anderem Arbeitsgelegenheiten schon vor Abschluss des Asylverfahrens geboten. Wer in Ausbildung, aber nur geduldet war, bekam auch nach deren Abschluss noch für zwei Jahre Aufenthalt (Drei-plus-zwei-Regelung). Die Wohnsitzauflage sollte verhindern, dass sich ethnische Ghettos bildeten, die etwa das Deutschlernen und allgemein die Integration in die deutsche Umgebung erschweren würden. Tatsächlich konnten die IAB-Forscher keinen negativen Effekt der Wohnsitzauflage auf den Spracherwerb feststellen.

Im Sommer letzten Jahres hatte das Berlin-Institut für Bevölkerungsforschung bereits moniert, dass vor allem die Politik es Flüchtlingen in Deutschland schwer macht, eine Arbeit zu finden. Die „institutionellen Hürden“, vor allem widersprüchliche Ziele der Migrationspolitik und der Behördendschungel, wirkten stärker als die Schwierigkeiten, die die Menschen mitbrächten, also Sprachprobleme, nicht passender Bildungsgang und ein Mangel an hilfreichen Kontakten.

In dieser Woche veröffentlichte der Migrations-Sachverständigenrat SVR seine Beobachtungen aus Chemnitz und München: Selbst in diesen beiden Großstädten, die dringend Auszubildende suchen, hing es offenbar weitgehend vom Zufall ab, ob junge Geflüchtete einen Platz fanden oder nicht.

Integrationsziele in Gesetzen werden immer ehrgeiziger

Dabei wächst der Ehrgeiz der Politik: Am Mittwoch beschloss die Bundesregierung die erste Phase des „Nationalen Aktionsplanes Integration“. Er soll erste  Integrationsmaßnahmen bereits in die Herkunftsländer von Migranten – hier allerdings der umworbenen Fachkräfte – verlegen.  

Trotz aller Schwierigkeiten sind Geflüchtete, die mit der jüngsten großen Fluchtbewegung infolge des Syrienkrieges kamen, inzwischen rascher in Arbeit als frühere Generationen. Der letzten Untersuchung des IAB zufolge, die vor einem Jahr veröffentlicht wurde, waren 2017 21 Prozent von ihnen in Arbeit; 80 Prozent davon in sozialversicherungspflichtigen Jobs. Neuere Daten soll es Anfang Februar geben.

Zur Startseite