VW-Untersuchungsausschuss: Experten: Neue Prüfmethoden sind dringend notwendig
Der Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Dieselaffäre beginnt mit der Arbeit in Berlin. Sachverständige kritisieren seit Jahren unrealistische Labortests von Fahrzeugen.
Der parlamentarische Untersuchungsausschuss zur VW-Dieselaffäre hat am Donnerstag mit der Beweisaufnahme begonnen. Der von der Opposition beantragte Ausschuss soll klären, was die Bundesregierung seit 2007 in Bezug auf Abgasregeln unternommen hat und wann sie von Manipulationen erfuhr. Der Ausschuss soll seinen Bericht vor der Bundestagswahl 2017 vorlegen.
Die Sachverständigen, die den achtköpfigen Ausschuss über Abgas-Tests im Labor und auf der Straße informierten, halten die in der EU geplanten neuen Messungen und Tests im realen Fahrbetrieb für dringend nötig. Deutlich höhere Auto-Abgaswerte auf der Straße als in amtlichen Labortests seien seit Jahren bekannt gewesen. Hinweise auf Abgas-Manipulationen wie mit einer Software bei Volkswagen hatten die Experten nach eigenen Angaben aber nicht. Die Opposition warf der Bundesregierung Versäumnisse vor, die Koalition wies das zurück.
Auch die Rolle von Angela Merkel wird untersucht
„Wir werden Mut zur schonungslosen Aufklärung des Abgasskandals aufbringen müssen“, sagte der Ausschussvorsitzende Herbert Behrens (Linke). Er hatte auf Hindernisse bei der Aufklärung hingewiesen – etwa auf die Fülle von geschwärzten Akten, die in kurzer Zeit gesichtet und bewertet werden müssen. Außerdem hat die Regierungskoalition nach Darstellung Behrens’ verhindert, dass Vertreter aus dem VW-Management vor den Ausschuss geladen werden dürfen. „Im Kern geht es bei unserer Arbeit darum, den Versäumnissen der Politik und dem Einfluss der Automobilindustrie auf politische Entscheidungen nachzugehen“, sagte der Politiker am Donnerstag vor Sitzungsbeginn. „Am Ende gilt es, die Konsequenzen zu ziehen, damit dem Betrug zu Lasten der Gesundheit der Menschen ein wirksamer Riegel vorgeschoben wird.“
Der Untersuchungsausschuss wird auch die Rolle von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und von SPD-Chef Sigmar Gabriel unter die Lupe nehmen. Das Kanzleramt beschäftige sich schon seit 2010 mit dem Thema Stickoxid, hatte Grünen-Fraktionsvize und Ausschussmitglied Oliver Krischer gesagt. Gabriel könne zudem als ehemaliger Umweltminister aufgefordert werden, dem Ausschuss Rede und Antwort zu stehen. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) wird wahrscheinlich erst im kommenden Frühjahr geladen.
VW-Einkaufsvorstand Sanz reist nach Brüssel
Die Frage, welche Verbraucherrechte der VW-Skandal verletzt hat und inwieweit Autohalter Schadenersatz beanspruchen können, beschäftigte am Donnerstag auch EU-Kommissarin Vera Jourova. Sie beriet in Brüssel mit Vertretern von 31 nationalen Verbraucherschutzorganisationen über den VW-Skandal. Anfang der Woche hatte Jourova erklärt, Organisationen aus den meisten Mitgliedstaaten klagten über einen „Mangel an Transparenz“. Der Konzern habe Autofahrer nicht ausreichend informiert, wie Abhilfe geschaffen werden solle, hieß es aus der Brüsseler Behörde. Volkswagen schickt nun seinen Chef-Krisenmanager im Diesel-Skandal zu Gesprächen nach Brüssel. Francisco Garcia Sanz solle in der übernächsten Woche Vera Jourova treffen, sagte ein Behördensprecher, ohne ein genaues Datum zu nennen. Garcia Sanz ist Einkaufsvorstand des Konzerns und spielt eine Schlüsselrolle bei der Aufklärung des Diesel-Skandals in den USA.
Viele Autos fallen in der Werkstatt durch
Der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) forderte am Donnerstag neue Mess- und Prüfverfahren. „Was uns der Abgasskandal gezeigt hat: Wir brauchen eine modernisierte Abgasuntersuchung“, sagte ZDK-Vorstandsmitglied Harry Brambach in Frankfurt. 2015 seien bei den Untersuchungen mehr als 800 000 Kfz mit abgasrelevanten Mängeln ermittelt worden. „Davon fielen 275 000 Fahrzeuge komplett durch.“ Die elektronische Diagnose im Fahrzeug und die Messungen am Endrohr müssten weiterentwickelt werden. Ab dem fünften Jahr nach der Erstzulassung oder nach 100 000 Kilometern Laufleistung müssten diese Prüfungen Pflicht werden, sagte Brambach.
Seit mehr als 20 Jahren laufen Abgastests nach dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) ab. Dass dieser Zyklus das reale Fahrverhalten nur unzureichend abbildet, ist seit vielen Jahren bekannt. Für realistischere Messungen sollen in der EU künftig Testfahrten auf der Straße (RDE) und ein realistischerer Test-Zyklus eingeführt werden. mit ro, dpa