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Riesengeschäft: Fast 35 000 Verträge hat nur eine Berliner Kanzlei in den vergangenen Jahren überprüft.
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Schlussspurt vorm 22. Juni: „Ewiges Widerrufsrecht“ für Immobilienkreditverträge endet

Am 22. Juni endet das „ewige Widerrufsrecht“ für viele Immobilienkreditverträge. Eine Berliner Kanzlei geht in den Schlussspurt, 35 000 Fälle hat sie bereits geprüft.

Von Torsten Hampel

Sie waren nicht mehr überrascht, als dann auch noch das Privatkonto einer Mitarbeiterin gekündigt wurde. Sie kannten das schon. Das private Konto eines der Chefs war vor eineinhalb Jahren ebenfalls gekündigt worden, und das seiner Ehefrau auch. Mit den Geschäftskonten der Kanzlei war dasselbe geschehen, „hiermit kündigen wir die im Betreff näher bezeichnetes Konto“, hatte die Bank geschrieben. Das fehlerhafte Deutsch muss eine Referenz gewesen sein. In keinem der Briefe hatte die Bank dagegen das Wort Rache erwähnt.

Oft gewinnt die Kanzlei, nicht die Bank

Die Rechtsanwaltskanzlei Werdermann/von Rüden hat ihre Büros am Leipziger Platz in Berlin. Die Adresse ist repräsentativ, die Räume sind solide. Die Geschäfte laufen gut. Sie bestehen zu einem Großteil darin, Mandanten beim Ausstieg aus alten und teuren Immobilienkrediten behilflich zu sein. Kündigungsgrund: fehlerhafte Widerrufsbelehrungen der Geldinstitute. Kommt es zum Rechtsstreit, gewinnt am Ende und in aller Regel die Kanzlei, nicht die Bank.

Die Leute vom Leipziger Platz haben damit ein uraltes Prinzip auf den Kopf gestellt. Es muss ihnen klar gewesen sein, dass dies nicht ewig so weitergehen würde, so ganz ohne Folgen.

Dabei gibt es so kurz vor Schluss besonders viel zu tun für die Kanzlei. In zweieinhalb Wochen, in der Nacht zum 22. Juni erlischt das bis dahin gültige ewige Widerrufsrecht für Immobiliendarlehen mit fehlerhafter Widerrufsbelehrung. So hat es der Bundestag beschlossen. 30 000 bis 35 000 Darlehens-Verträge habe die Kanzlei in den vergangenen fünf Jahren geprüft, sagt Kanzleichef Johannes von Rüden. Von den 2500, aus denen dann Rechtsfälle geworden sind, seien im Grunde alle auf dem Vergleichsweg im Sinne der Mandanten geklärt worden; von den 300 bis 400 Gerichtsverfahren bis auf drei alle gewonnen.

„Banken ziehen Verfahren in die Länge"

Aus dem Kleinbetrieb, der 2011 aus drei Leuten bestand, wurde bis heute eine mittelgroße Firma mit 40 Angestellten. Und aus einer einträglichen, aber in vielen Fällen eben fehlerhaften Geschäftsgrundlage der Banken – Geld zum Häuserbauen zu verleihen – wurde ein Geschäft für Rechtsanwälte.

Rechtsanwalt Johannes von Rüden überprüft in seiner Berliner Kanzlei Immobilienkreditverträge.
Rechtsanwalt Johannes von Rüden überprüft in seiner Berliner Kanzlei Immobilienkreditverträge.
© Hoffotografen/Promo

Rüden referiert diese Triumphe, als seien sie eine Selbstverständlichkeit. Er ist zuversichtlich, sagt er, dass die Kanzlei auch die neue Zeit, die Zeit nach dem sogenannten Widerrufs-Joker, „unternehmerisch hinbekommt“.

Rüden sagt: „Mit den Sachen, die wir bis jetzt begonnen haben, werden wir sicher noch ein, zwei Jahre beschäftigt sein.“ Damit zum Beispiel, dass Banken gegen ergangene Urteile regelmäßig Revision einlegen und der entsprechende Fall dann beim nächsthöheren Gericht landet. „Banken ziehen Verfahren in die Länge“, sagt Rüden, „sie wollen den Zustand der Rechtsunsicherheit erhalten.“ Sie würden darauf spekulieren, dass ihre Gegner Angst vor den Verfahrenskosten bekommen. Die letzte Station ist dann stets der Bundesgerichtshof. Vergangenen Dienstag erst sollte dort wieder einmal verhandelt werden, kurz davor zog die Bank ihre Revision zurück.

Mandanten fürchten sich oft vor hohen Kosten

Noch so ein altes Prinzip: Mandanten fürchten sich oft vor hohen Kosten, Banken vor höchstrichterlicher Rechtsprechung zugunsten ihrer Gegner – und damit vor Klarheit. In dieser Hinsicht sind sie verlässlich.

Doch dann, wenn auch diese Fälle abgearbeitet sind? Macht die Kanzlei mit etwas Ähnlichem weiter. „Wir holen mittlerweile Leute aus Kapitallebensversicherungen raus“, sagt Rüden, ebenfalls mithilfe des Widerspruchsrechts. Und aus Rürup-Renten, sobald die Mandanten nicht ausreichend über deren Nachteile informiert worden sind – was regelmäßig geschehen sei. Das dritte Standbein: VW. Die Kanzlei vertritt sowohl Aktionäre des Konzerns als auch Autokäufer.

Da das neue Gesetz nur Immobiliendarlehensverträge bis zum Jahr 2010 betrifft, bleibt der Kanzlei sogar noch ein Teil des alten Geschäftsfelds erhalten. Denn die waren in den Jahren danach weiter fehlerhaft. Ihm ist kein bisschen Groll darüber anzumerken, dass Regierung und Bundestag dem Druck der Banken und Sparkassen gefolgt sind, den Widerrufs-Joker zu kassieren. Der schärfste Satz, den er über die Lippen bringt: „Da weiß man, wer das Sagen hat.“

Die Regierung meint Rüden nicht damit. Die Regierung im Übrigen, die selbst nicht unschuldig ist daran, dass nach Erhebungen von Verbraucherzentralen mindestens 80 Prozent der Baukreditverträge aus dem ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts fehlerhaft sein sollen.

Spaß mit Fällen, die kaum zu verlieren sind

Zu den 40 Angestellten der Kanzlei gehört auch ein junger Mann, der Germanistik studiert hat. Er liest Darlehensverträge, sein Arbeitsaufwand pro Fall beträgt eine Viertel- bis eine halbe Stunde. Bei Sparkassenverträgen geht es noch schneller, da reicht ihm ein Blick auf das Vertragsdatum, „und ich weiß Bescheid“, sagt er. Er sagt: „Die Bankjuristen waren auch ein bisschen in der Klemme.“ Eine vom Justizministerium bereitgestellte Mustererklärung war selbst fehlerhaft. „Dann wollten die Banken das verbessern, bauten aber solche Fehler ein, da fragt man sich …“.

Stimmt der jeweilige Mandant dann zu, ergeht ein Schreiben an die Bank. Die Bank antwortet dann: „Wir können keine Rechtsgrundlage für einen Widerruf der Darlehensverträge erkennen.“ Sie bekommt dann ebenfalls eine Antwort, die Kanzlei liefert Kostproben: „Exemplarisch verweisen wir auf folgende Fehler:“, schreibt sie, und beschränkt sich oft auf die gröbsten drei.

Vielen dieser Schreiben merkt man beim Lesen die Expertise an, die sie in der Kanzlei mittlerweile angehäuft haben. Die Augenhöhe des Rechts mit der Macht. Hier am Leipziger Platz merkt man, wie viel Spaß Anwälte mit Fällen haben, die kaum zu verlieren sind.

Hintergrund:

In den vergangenen Jahren haben tausende Bankkunden mit Kreditinstituten darüber gestritten, ob sie ihre Darlehensverträge auch Jahre nach dem Abschluss noch widerrufen können. Das gäbe Kunden angesichts extrem niedriger Zinsen die Möglichkeit, günstigere Neuverträge abzuschließen. Besonders umstritten sind Verträge, die zwischen Herbst 2002 und dem 10. Juni 2010 geschlossen worden sind.

Die Begründung der Kunden lautet: die 14-tägige Frist, in der sie es sich noch einmal anders überlegen können, habe gar nicht erst begonnen, da die Belehrung im Vertrag über das Widerrufsrecht Fehler enthält. Mal war der Beginn der Frist unklar, mal fehlten Informationen, mal stand da Überflüssiges, das verwirrte. Nach Schätzungen von Verbraucherschützern genügt der Großteil der Belehrungen nicht dem gesetzlichen Muster. Landgerichte und Oberlandesgerichte gaben vielen Kunden Recht. Banken brachten die Fälle bis zum Bundesgerichtshof, zogen aber kurz vor einem Grundsatzurteil zurück. Im Februar beschloss der Bundestag, dass dieses „ewige Widerrufsrecht“ für Altverträge am 22. Juni 2016 endet. Für Verträge, die zwischen Juni 2010 und März 2016 geschlossen wurden, behalten Kunden aber das Recht – wenn sie Fehler nachweisen können. dpa

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