Tech-Szene: Europäische Start-ups fühlen sich wohl in Berlin
Berlin versucht, der ewigen Start-up Metropole London den Rang abzulaufen. Das könnte funktionieren. Denn die Digital-Szene fühlt sich an der Spree sehr wohl.
Für den Arzt und Firmengründer Erik Poulsen ist Berlin eine Herzensangelegenheit – im wörtlichen Sinne. Von der Hauptstadt aus wollen der 33-jährige Däne und seine Mitarbeiter im kommenden Jahr den deutschen Medizintechnikmarkt mit einem kleinen Apparat erobern: Der Sensor „C-3“, den die 2014 in Kopenhagen gegründete Firma entwickelt hat, misst unter anderem den menschlichen Herzschlag und liefert Echtzeitdaten über weitere Körperfunktionen. Durch das neue Gerät lassen sich unter anderem Schlaganfälle besser und schneller erkennen als mit herkömmlichen Apparaten, ist man sich bei Cortrium sicher.
Wie das Start-up mit Zweigstelle am Potsdamer Platz kommen immer mehr Gründer aus europäischen Ländern in die deutsche Hauptstadt, um hier ihre Geschäftsidee aufzubauen und voranzutreiben. Berlin hat sich zum Hotspot für die Tech-Szene entwickelt, wegen der umtriebigen Kreativszene, aber auch wegen der Lebenshaltungskosten, die im Vergleich zu anderen europäischen Hauptstädten wie London oder Paris vergleichsweise günstig sind.
Und Investoren haben längst das Potenzial der Berliner Start-ups erkannt. Mit 2,1 Milliarden Euro ist im vergangenen Jahr in keine andere europäische Metropole mehr Risikokapital geflossen als in die deutsche Hauptstadt, die damit selbst die ewige Nummer eins London ablöste, wie eine Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young zeigte.
Nur noch Platz vier im europäischen Vergleich
Ob der Titel als führende Start-up- Metropole Europas dieses Jahr allerdings zu halten sein wird, ist fraglich. Zur Jahresmitte belegte Berlin mit einem Investitionsvolumen von 520 Millionen Euro zwar weiterhin Platz eins im deutschlandweiten Vergleich der Start-up-Hochburgen, aber nur noch Platz vier im europäischen Vergleich – hinter London, Stockholm und Paris. Ob und wie sich das Brexit-Votum vom Juni auf Berlins Attraktivität als Start-up-Stadt auswirkt, wird sich erst in den kommenden Monaten zeigen. Die frühere Berliner Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) hatte vor allem bei britischen Fintechs, den jungen Tech-Unternehmen aus der Banken- und Finanzbranche, für einen Umzug in die deutsche Hauptstadt geworben.
Um sich intensiver mit Start-ups auszutauschen, haben inzwischen 13 Dax-Unternehmen in Berlin ein Accelerator- oder Inkubator-Programm gestartet, von dem jeweils beide Seiten profitieren sollen: Die jungen Unternehmen können ihre Ideen auf Praxistauglichkeit testen, die etablierten Firmen wollen durch den Austausch wiederum innovativer werden.
„Dass es die EU gibt, erleichtert diesen Prozess“
Auch Erik Poulsen von Cortrium hat sich mit einem großen Player zusammengetan. Mithilfe der deutschen Tochter des US-Gesundheitskonzerns Pfizer, die ihre Zentrale am Potsdamer Platz hat und dort mit Start-ups zusammenarbeitet, will Poulsen das innovative Herz-Messinstrument im kommenden Jahr auch auf dem hiesigen Markt etablieren. Alle paar Wochen pendelt der Jungunternehmer deshalb mit dem Flugzeug von Kopenhagen in die deutsche Hauptstadt, um das Projekt voranzutreiben. Möglich wird dies durch die in der Europäischen Union geltende Freizügigkeit: Jeder Bürger hat nicht nur das Recht, in jeden anderen Mitgliedstaat einzureisen, sondern darf sich innerhalb des Binnenmarktes auch wirtschaftlich betätigen. „Für uns als Unternehmen ist das vor allem bei der Zulassung unseres Produktes für verschiedene Märkte relevant“, sagt Poulsen. „Dass es die EU gibt, erleichtert diesen Prozess.“ So gilt innerhalb der Europäischen Union beispielsweise eine einheitliche Kennzeichnungspflicht für medizinische Produkte. Ist ein Gerät zertifiziert, darf es in jedem EU-Mitgliedstaat verkauft werden.
Der Markt ist groß, auch für Cortrium. Das Start-up will 2017 expandieren und sein Team vergrößern – mit neuen Mitarbeitern in Berlin.