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Bau- und Landwirtschaft, Gastronomie, Pflege - sie alle brauchen Hände aus dem Ausland. Und sollten sie selbst qualifizieren, meinen Fachleute.
© Danish Ismail/Reuters

Studie zu Arbeitsmigration: Europa braucht auch Ungelernte

Für hochqualifizierte Migration stehen schon etliche Türen offen. Um die einfacheren Jobs kümmern sich die EU-Länder kaum. Fachleute fordern Abhilfe.

Europa schrumpft und altert und findet dennoch keinen überzeugenden Weg, Menschen aufzunehmen, die gern kommen würden: Migrantinnen und Migranten. Der „Sachverständigenrat  deutscher Stiftungen für Integration und Migration“ (SVR) hat sich deshalb Möglichkeiten gewidmet, dies zu ändern, möglichst zum Vorteil aller Beteiligten. In der am Mittwoch veröffentlichen Studie „Legale Wege nach Europa“ geht es um Arbeitsmigration, vor allem um gering und Mittelqualifizierte, die in Europa zwar dringend gebraucht werden, für die es aber, anders als für Hochqualifizierte und Akademikerinnen, noch kaum funktionierende Zugänge in die EU gibt.

Der Forschungsbereich beim SVR hat dafür zusammen mit dem „Migration Policy Institute Europe“ Daten aus fünf Ländern ausgewertet – Deutschland, Frankreich, Italien, Schweden und Spanien - die alle besonders häufig Ziele von Migration außerhalb der EU sind. Die wesentlichen Ergebnisse: Es lohnt sich, bilaterale Partnerschaften zwischen europäischen Ziel- und außereuropäischen Herkunftsländern einzugehen. Und: Die europäischen Partnerländer sollten die Neuen möglichst selbst ausbilden. Dadurch passten die Arbeitskräfte von außerhalb auch tatsächlich für die Arbeiten, für die man sie suche, außerdem hätten sie so Qualifikationen, die ihnen im Falle einer Rückkehr in die Heimat nützten, und sie womöglich in die Lage versetzen, dort für ihre europäischen Firmen zu arbeiten.

Partnerschaften zwischen Herkunfts- und Zielländern scheinen der Studie zufolge vor allem deshalb erfolgreich zu sein, weil die Kenntnisse beider Seiten übereinander wachsen und für den Erfolg von Migration eingesetzt werden können. Als „Beispiel für ein gelungenes Mobilitätsprojekt“ nennt die Studie „MENTOR“, in der Langfassung „Mediterrean Network for Training Orientation to Regular Migration“, das letztes Jahr zunächst zwischen Italien einerseits, Marokko und Tunesien andererseits startete. Vorerst 20 junge Erwachsene wurden auf Praktika in Turin und Mailand vorbereitet und auch nach ihrer Rückkehr unterstützt. Der Abschlussbericht nenne vor allem gegenseitiges Vertrauen als Erfolgsfaktor. Es war dadurch gewachsen, dass lokale Stellen auf beiden Seiten von Anfang bis Ende des Projekts zusammenarbeiteten.

Nur ein deutsches Projekt läuft bisher länger

Auch dort, wo der Staat praktisch gar nicht eingreift, bilden sich offenbar informelle bilaterale Partnerschaften aus. Die Studie verweist auf Schweden, das seit 2008 das liberalste Arbeitsmigrationssystem aller Industriestaaten hat: Firmen können weltweit Arbeitskräfte anheuern; wer einen Arbeitsvertrag mit einem Gehalt auf schwedischem Niveau vorweisen kann, darf kommen. Selbst in diesem sehr weiten Rahmen entstand eine spezielle Quasi-Partnerschaft mit Thailand. Am Anfang standen die persönlichen Beziehungen einer in Schweden lebenden Thailänderin. Heute kommen heute praktisch alle, die als Saisonarbeiter schwedische Beeren ernten, aus Thailand.

Bisher sind die legalen Wege jenseits des Asyls aber sehr schmal. Obwohl die EU-Kommission seit Jahren bei den Mitgliedsstaaten dafür werbe, der dringend notwendigen Arbeitsmigration den Weg zu ebnen, habe sich nicht wirklich viel getan, stellen die Autorinnen und Autoren der Studie fest. Im Gegenteil: Während die EU-Länder 2008 noch mehr als 100.000 neue Arbeitserlaubnisse an die 20 afrikanischen Länder vergaben, wo sich die meisten Menschen nach Europa aufmachen, fiel die Zahl in nicht einmal zehn Jahren auf ein Drittel. Es gibt viele Gründe, warum die EU-Projekte in Nischen stecken bleiben: Das kann zu wenig Geld, Personal oder Datenmaterial in den nationalen Arbeitsverwaltungen sein – Frankreich etwa hat seit zehn Jahren nicht mehr geprüft, welche Arbeitskräfte ihm besonders fehlen. Zudem seien die meisten Projekte beendet, wenn die staatliche Unterstützung auslaufe. Gerade kleine und mittlere Unternehmen könnten sich teure Werbung und Ausbildung oft nicht leisten. Einzig das deutsche  Programm  „Triple Win“, das die beteiligten Unternehmen selbst finanzieren, habe seit 2013 immerhin 2000 Fachkräfte vom Balkan, Tunesien und den Philippinen nach Deutschland gebracht, die meisten hätten sogar „gute Chancen auf einen langfristigen oder dauerhaften Aufenthalt“. Die Studie verweist auch auf die Lücke zwischen guten Absichten und der Praxis – ohne freilich das wesentliche Problem der Visa zu nennen. Für viele Drittstaatsangehörige scheitert die Arbeitssuche etwa in Deutschland schon daran, dass sie keine Einreiseerlaubnis erhalten oder monatelang auf einen Termin für ein Visum warten müssen.

Kein Mittel gege irreguläre Migration

Eine wichtige Rolle spiele auch „die Politisierung von Migrationsfragen“ und der schrumpfende „Gestaltungsspielraum der Regierungen zur Erweiterung legaler Migrationsoptionen“, wie die Autorinnen und Autoren diplomatisch formulieren. Sprich: der Widerstand einer erstarkenden Rechten überall in Europa. Dabei könne erfolgreiche Politik für mehr reguläre Arbeitsmigration ihm sogar das Wasser abgraben, meint das Forscherteam und verweist auch hier auf Schweden. Als die Regierung in Stockholm feststellte, dass ihr liberales Modell zu Lohndumping und Ausbeutung der ausländischen Arbeitskräfte führte, justierte sie nach, schickte mehr Kontrollen auf Baustellen und Äcker und zwang Migrantinnen und Migranten nicht mehr dazu, immer beim selben Arbeitgeber zu bleiben. Ergebnis: Schweden sei nach einem Jahrzehnt Erfahrung mit einem sehr freizügigen Gesetz „ein seltenes Beispiel für politischen Konsens im Bereich der Migration“, heißt es in der Studie. „Erwerbsmigration und das Anwerben gering- und mittelqualifizierter Arbeitskräfte im Ausland waren keine Diskussionsschwerpunkte im schwedischen  Wahlkampf  2018, obwohl Migrations- und Asylpolitik auch in Schweden strittige Themen sind.“ 

Dass allerdings mehr legale, reguläre Wege nach Europa die irreguläre Migration eindämmen werden, hält das SVR-Forscherteam für wenig realistisch.  Auch wenn die EU ihre Projekte so verkaufe: Dieser Effekt sei „empirisch kaum nachweisbar“.

Andrea Dernbach

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