„Nicht sehr verbraucherfreundlich“: EU schränkt Fahrgastrechte bei Zug-Verspätungen ein
Künftig können sich Bahnunternehmen häufiger auf "höhere Gewalt" berufen und müssen den Kunden bei Verspätung nicht mehr entschädigen. Doch es gibt viel Kritik.
Bahnfahrer müssen sich darauf einstellen, dass sie bei dem Streit um die Erstattung von Fahrtkosten nach Verspätung in Zukunft häufiger leer ausgehen. Wenn der Zug über 60 Minuten Verspätung hat und das Bahnunternehmen eigentlich einen Teil des Fahrpreises erstatten müsste, wird es sich ab 2024 auf die Ausnahmeklausel „höhere Gewalt“ berufen können. In diesem Fall ginge der Fahrgast leer aus.
Nach geltender Rechtslage muss die Bahn entschädigen, selbst wenn die Züge durch einen Suizid, schlechtes Wetter, Streik, umgefallene Bäume oder Tiere auf den Schienen ausgebremst werden. Künftig kann sich das Unternehmen auf „höhere Gewalt“ berufen und käme um eine Entschädigung des Kunden herum.
Diese Verschlechterung bringt der Kompromiss zwischen EU-Mitgliedstaaten und Europa-Parlament mit sich, der am Donnerstag vom Parlament abgesegnet wurde. Es bleibt ansonsten bei der bisherigen Regelung, dass ein Bahnunternehmen bei Verspätungen ab 60 Minuten 25 Prozent des Fahrpreises erstatten muss und ab 120 Minuten die Hälfte. Das Europa-Parlament war mit der Forderung in die Verhandlungen gegangen, zwischen 60 und 90 Minuten die Hälfte des Fahrpreises erstatten zu lassen und ab 91 Minuten 75 Prozent. Es konnte sich damit aber nicht gegenüber den Mitgliedstaaten durchsetzen.
Klärung über den EuGH
Die Unzufriedenheit im Parlament ist groß. Verkehrsexperte Markus Ferber (CSU) nannte die Regelung im Vorfeld „nicht glücklich und nicht sehr verbraucherfreundlich“. Er gehe davon aus, dass Verbraucher vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) ziehen und über den Rechtsweg Klärungen herbeiführen: „Der EuGH dürfte dann dafür sorgen, dass die Verbraucher besser geschützt werden als die Regierungen der Mitgliedstaaten bereit waren mitzutragen.“
Die Stuttgarter Grünen-Abgeordnete Anna Deparnay-Grunenberg kritisiert die „Rolle rückwärts“ bei den Rechten für Bahnfahrer: „Der Kompromiss verfehlt das Ziel, die Eisenbahn als nachhaltigen Verkehrsträger mit starken Fahrgastrechten attraktiver zu machen.“ Die Schlechterstellung bei Verspätungen sei gerade im Europäischen Jahr der Schiene inakzeptabel. Trotz der Kritik von Konservativen und Grünen dürfte der Kompromiss eine Mehrheit bekommen.
Auch an anderer Stelle keine Verbesserung für Bahnfahrer
Keine Verbesserungen wird es auch für Bahnfahrer geben, die auf Zugfahrten das Bahnunternehmen wechseln müssen. Wer etwa mit einem ICE der DB den Anschluss in Köln nach Brüssel verpasst, wird auch in Zukunft keinen Anspruch darauf haben, in den nächsten Schnellzug eines französischen Anbieters zu steigen. Stattdessen wird er wie bisher zwei Stunden warten müssen, bis fahrplanmäßig der nächste ICE nach Brüssel fährt.
So genannte Durchgangsfahrkarten wird es also im internationalen Verkehr auch in Zukunft nicht geben. Deparnay-Grunenberg kritisiert: „Wieder einmal haben die Regierungen in den Hauptstädten mit ihrer Blockadehaltung dafür gesorgt, dass die ehemaligen Staatsmonopolisten ihre Pfründen behalten können.“
Verbesserungen gibt es dagegen für Behinderte. Während sie bislang bei der Bahn mindestens zwei Tage vorher Hilfe anfordern müssen, wenn sie an einem Bahnhof ohne Fahrstuhl Unterstützung beim Umsteigen brauchen, soll sich diese Frist auf 24 Stunden verkürzen. Künftig soll auch das Angebot an Fahrradstellplätzen ausgeweitet werden. In jedem Zug sollen dann mindestens vier Räder mitgenommen werden können.