zum Hauptinhalt
Daniel Terzenbach sitzt seit März im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit.
© Kai-Uwe Heinrich

Bundesagentur für Arbeit-Vorstand Terzenbach: "Es wird egaler, wo ich arbeite"

Die Digitalisierung erleichtert es, den Arbeitsort frei zu wählen, sagt Daniel Terzenbach. Und er rät seinen Berufsberatern, mal eine VR-Brille aufzusetzen.

Erst seit März sitzt Daniel Terzenbach im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg. Seine Karriere begann nach dem Studium 2006 im Jobcenter Märkischer Kreis. Im Oktober 2015 wurde er von der Spitze des Managements – neben anderen Aufgaben – mit dem Bereich der Arbeitsmarktintegration geflüchteter Menschen betraut.

Herr Terzenbach, sind Sie ein Optimist oder Pessimist?
Ich bin ein Optimist mit Erfahrung. In so einer großen Behörde wie unserer gibt es natürlich Sachen, die nicht optimal sind, aber ich sehe so viel mehr Gutes.

Auch im Moment? Ökonomen warnen vor einer Rezession. Unternehmen melden Kurzarbeit an, streichen Stellen.
Ich glaube, sehr viele sehen das Glas gerade halb leer. Ich sehe es halb voll. Natürlich beeinflussen konjunkturelle Rahmenbedingungen wie der Brexit und Handelskonflikte unseren Export, die Wirtschaft – und damit mittelfristig auch Jobs. Trotzdem können wir anhand der nüchternen Zahlen gerade keine Krise erkennen. Wenn wir im dritten Quartal sehen sollten, dass die Beschäftigung sink , müssen wir das neu bewerten.

Wer bekäme zuerst ein Problem?
Geringqualifizierte, Menschen ohne einen formalen Abschluss. Hier wären auch ausländische Beschäftigte, die häufiger in diesen Jobs arbeiten, betroffen. Wir sehen seit Jahren eine Verschiebung von gering- zu höherqualifizierten Tätigkeiten.

Das klingt jetzt doch nicht mehr so rosig.
Wenn sich Berufe, Branchen verändern, wie jetzt, stellt sich für den Einzelnen schon die Frage: Bin ich fit für die Zukunft? Niemand muss Panik vor ihr haben, aber man muss sich vorbereiten. Und Geringqualifizierte haben statistisch gesehen ein höheres Risiko, arbeitslos zu werden.

Und was wird dann aus dem, der seine Ausbildung schmeißt oder keine beginnt?
Für ihn wird es immer noch Möglichkeiten geben, aber weniger als vor 20 Jahren. Gibt es in einem Industriebetrieb Assistenzsysteme, die mit Robotern zusammenarbeiten, muss jemand diese Systeme bedienen. Das können auch Anlerntätigkeiten sein. Menschen nutzen zum Beispiel VR-Brillen, die ihnen sagen: Guck mal da, die Schraube musst du lösen. Schau mal, ob das und das richtig ist, denn an dem Punkt passiert mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit der Fehler. Aber: Am Schluss schützt Bildung trotzdem am deutlichsten vor der Gefahr, durch die Digitalisierung Nachteile zu bekommen. Wer einmal etwas gelernt hat, lernt ein Leben lang leichter!

Heimarbeit wird durch die Digitalisierung erst möglich.
Heimarbeit wird durch die Digitalisierung erst möglich.
© picture alliance / Daniel Naupol

Es soll in Zukunft weniger einfache Jobs geben. Es soll andere Jobs geben. Welche weiß niemand so wirklich. So werden die Deutschen doch kollektiv depressiv!
Dem möchte ich etwas entgegenstellen. Experten schätzen, dass 1,5 Millionen Jobs wegfallen, aber auch 1,5 Millionen Jobs neu entstehen. Ich würde auch nicht die Haltung teilen, dass alles instabil wird. Ich glaube sogar, dass die Digitalisierung manches stabiler machen kann. Es wird zum Beispiel egaler sein, wo ich arbeite, ich muss nicht mehr aus meiner Kleinstadt wegziehen, aus meiner Heimat. Der ländliche Raum kann gestärkt werden – wenn das Glasfaserkabel bis dahin reicht.

Trotzdem wird sich viel verändern! Da können die Menschen kaum groß mitentscheiden, sondern müssen sich anpassen.
Klar wäre es unehrlich, den Menschen zu sagen, wenn du heute einen Job annimmst, ist es so wie früher und du bleibst hundertprozentig in diesem Job und in diesem Betrieb bis zur Rente. Du lernst etwas und machst das für immer. Die Beschäftigungsstabilität wird geringer sein als bei unseren Großeltern. Das muss man diskutieren und als Realität anerkennen. Für ganz junge Arbeitnehmer ist das aber heute ohnehin schon selbstverständlich.

Nach den Wahlen im Osten hieß es: Die Angst um den Arbeitsplatz sei ein Grund für den Erfolg der AfD. Kann man da noch sagen: Jeder Beschäftigte soll sich fragen, ob er ausreichend veränderungswillig ist?
Arbeit spielt in Deutschland eine viel, viel größere Rolle als irgendwo sonst auf der Welt. Wenn Sie in Deutschland mit einem Fremden sprechen, ist die erste Frage: Wie heißt du? Und die zweite Frage: Was machst du beruflich? In Frankreich will man wissen: Was magst du gern essen? Was hast du für Hobbys? Und dann irgendwann: Wie finanzierst du das? Mit welchem Job? Ich bin zum Teil Franzose, deswegen kann ich das ein bisschen vergleichen. Weil die Arbeit bei uns so einen gesellschaftlichen hohen Stellenwert hat, ist die Sorge, dass sich da viel verändert, enorm groß. Aber nochmal: selbst Wissenschaftler sagen, es wird eher mehr Arbeit geben als weniger. Ich bin optimistisch, aber natürlich nicht naiv.

Wie werden die Arbeitsagenturen und Jobcenter die Menschen unterstützen?
In Zeiten der Massenarbeitslosigkeit wurde stark aktiviert. Das hat bedeutet: Die Menschen sollten schnell wieder eine Arbeit aufnehmen. Jetzt und in Zukunft geht es viel stärker darum, individuell und nachhaltig weiterzubilden. Das Qualifizierungschancengesetz gibt uns außerdem die Möglichkeit, mit Unternehmen zu diskutieren: Was brauchen deine Beschäftigten, die potenziell Verlierer in dieser neuen Zeit sein könnten? Wie können wir euch bei der Bildungsplanung unterstützen, damit gar nicht erst der „Schadensfall Arbeitslosigkeit“ eintritt? Die Berufsberater überlegen: Zu welchen Jobs rate ich wohl in fünf Jahren.

Wissen Ihre Berufsberater das?
Auch wir stehen bei diesem großen Veränderungsprozess am Anfang. Nehmen wir mal Mechanikerberufe: Die haben in den 80er Jahren die großen Veränderungen in der Industriemechanik erfahren, als computerisierte Maschinen kamen und alles veränderten. Danach haben sich die Tätigkeiten nur noch marginal weiterentwickelt. Jetzt gibt es vernetzte Maschinen, Künstliche Intelligenz. Da müssen Berufsberater in die Unternehmen mitkommen, selbst mal eine VR-Brille aufsetzen, und dafür braucht es mehr Interaktion mit den Firmen, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben.

Jobs verändern sich durch die Digitalisierung, so auch der Beruf des Mechanikers.
Jobs verändern sich durch die Digitalisierung, so auch der Beruf des Mechanikers.
© imago/Westend61

Die Arbeitsagentur ist das nicht?
Es wäre vermessen und unrealistisch zu behaupten, dass wir das als BA aus dem Effeff sagen können: So verändert sich die Arbeitswelt. Antworten dazu werden immer stärker in Netzwerken gefunden, mit Unternehmen, mit den Kammern in der Region, nicht mehr theoretisch am Schreibtisch einer Uni – und auch nicht allein und allwissend in einer Behörde.

Wenn Sie alle Macht hätten: Würden sie das Einwanderungsgesetz so lassen?
95 Prozent des Gesetzes würde ich so lassen. Wenn ich etwas anpacken könnte, wäre es das Thema Sprache. Ist es realistisch, dass ein 25-Jähriger in Indonesien, der Pflegekraft gelernt hat, dort zum Goethe-Institut geht und sagt, ich möchte einen B2-Deutschkurs machen, der so 3000 Euro kostet? Ein B2-Niveau für Azubis ist übrigens auch sehr anspruchsvoll. Können wir erwarten, dass da Zehntausende kommen? Ich glaube nicht.

Also ohne Deutschkenntnisse kommen.
Ohne Deutsch geht nichts. Unternehmen, in denen man nur Englisch sprechen kann, bilden in diesem Land einen sehr kleinen Teil des Wirtschaftsgeschehens. Wenn wir aber um Fachkräfte aus dem Ausland werben, könnten wir es ihnen leichter machen, Anreize bieten, einen Teil der Kosten übernehmen. Und damit zeigen: wir wollen dich.

Sie meinten mal, wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens über Einwanderung.
Wir brauchen Fachkräfte aus dem Ausland, da können wir uns auf den Kopf stellen. Wir müssten die Argumente der Wissenschaftler aber näher zu den Bürgern bringen. Wenn es uns nicht gelingt, in Bereichen wie Pflege oder IT Fachkräfte zu gewinnen, werden wir die hohen Standards, die wir haben, nicht halten können. Nicht in der Medizin, nicht in der Renten- und Pflegevorsorge. Ohne Fachkräfteeinwanderung sind unsere sozialen Sicherungssysteme gefährdet.

Die Kanzlerin sagte vor vier Jahren: Wir schaffen das! Tun wir das?
Ja, was wäre sonst die Alternative? Ein Drittel der Geflüchteten hat Arbeit, aber klar, zwei Drittel nicht. Trotzdem überlege ich gar nicht ob wir das schaffen. Die Menschen, die kommen, müssen aber auch ihren Beitrag leisten: Deutsch lernen, wirklich zu den Integrationskursen gehen und nicht fehlen. Auch die Akzeptanz, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind, steht nicht zur Diskussion.

Zuletzt gab es Ärger im Vorstand. Jetzt ist er wieder vollständig. Sind alle glücklich?
Wir haben jetzt eine sehr kompetente und erfahrene Kollegin im Vorstand an Bord. Aber der Prozess, der Vorgang des Wechsels, das war indiskutabel, damit kann keiner glücklich sein.

Zur Startseite