Unilever-Chef Ulli Gritzuhn im Interview: „Es ist nicht einfach, einen guten Geschmack zu bekommen“
Ulli Gritzuhn, Chef von Unilever-Deutschland, über Lebensmittel ohne Zusatzstoffe, das Verramschen von Markenartikeln und den Ärger mit Plagiaten.
Herr Gritzuhn, was ist Unilever? Ein Tütensuppenhersteller mit Deoabteilung, ein Eisproduzent mit Haushaltsreinigersparte oder ein riesengroßes Mischmasch?
Unilever ist ein Unternehmen mit herausragenden Konsumentenmarken in verschiedenen Bereichen. International sind die Sparten Körperpflege und Home Care am größten, in Deutschland ist aber das Geschäft mit Lebensmitteln am wichtigsten. Food, Savoury und Spreads.
Was ist das denn?
Savoury steht für die Marken Knorr, Pfanni, Mondamin, Spreads für das Margarinegeschäft, also Rama, Lätta, Becel oder Sanella.
Was Lebensmittel angeht, sind die deutschen Verbraucher sehr kritisch. Wie macht man es den Leuten recht?
Die Skepsis gegenüber Lebensmitteln ist vor allem ein großes mediales Thema, das die Menschen aufnehmen. Innovationen sind nötig, um zu wachsen, aber auch, um den Verbrauchern zu zeigen, dass wir relevant sind. Nehmen Sie Knorr. Wir Deutschen haben einst die Tütensuppen erfunden, aber das Geschäft ist unter Druck geraten. Viele Verbraucher wollen kein Pulver, trauen den Inhaltsstoffen nicht.
Ja, und?
Wir haben darauf reagiert und bieten nun eine neue Linie an, „natürlich lecker“. Wir sind mit vier Produkten gestartet, darunter Sauce Bolognese. Die neuen Produkte enthalten nur natürliche Zutaten und Gewürze. „Natürlich lecker“ ist werthaltig, bringt uns vernünftige Margen und – was das Wichtigste ist – die Resonanz unserer Kunden ist super. Innovationen müssen relevant sein.
Warum machen Sie nicht gleich bio?
Wir haben bio, aber es steht nicht auf der Packung.
Warum das denn nicht?
Für viele steht bio für Natürlichkeit, schreckt aber auch ab, weil ein höherer Preis erwartet wird. Unsere Anforderungen gehen aber sogar über die Bio-Kriterien hinaus. Mit „natürlich lecker“ sind wir in einen Bereich gegangen, den wir ausbauen können. Das ist besser, als alibihalber ein oder zwei Bio-Produkte anzubieten. Wir sind einer der größten Verarbeiter von Lebensmitteln weltweit, die wichtigsten Zutaten haben wir auf Nachhaltigkeit umgestellt, unter anderem in Zusammenarbeit mit Fair Trade, Rainforest Alliance oder dem WWF. Für all unsere 28 Millionen direkten und indirekten Lieferanten gelten dieselben Grundsätze. Etwa wenn wir uns gegen Kinderarbeit einsetzen und für Menschenrechte, Bio-Siegel decken das nicht immer ab.
Blöd nur, dass kaum ein Kunde weiß, was Sie Gutes tun.
Wir sagen das im Internet auf unserer Unilever-Seite, aber das reicht nicht. Wir müssen das deutlicher sagen und für all unsere Marken klar kommunizieren.
Ist das nur guter Wille oder eher Geschäft?
Wir haben ökologische Motive, aber auch ökonomische. Wir können nur dann ein nachhaltiges Wachstum schaffen, wenn wir auf die Umwelt achten. Wenn das Wasser knapp wird, können wir Shampoos nicht mehr verkaufen. Wir wollen unseren Umsatz verdoppeln, das geht nur, wenn wir die Ressourcen schützen und die Umweltbelastung halbieren.
Was versprechen Sie sich von „natürlich lecker“?
Unser Produkt erleichtert es den Menschen, unter der Woche schnell, einfach und trotzdem gut zu kochen. Das ist eine große Sache für uns. Man muss ein solches Marktmomentum schaffen, um dem Preisverfall entgegenzuwirken, den dauernden Schnäppchenaktionen und dem Verramschen von Markenprodukten. Wir müssen zeigen, dass wir Märkte machen können.
Warum floppen 70 Prozent der Lebensmittel-Innovationen?
Wenn Innovationen auf Bestehendem aufbauen, bekommen Sie das leicht in die Supermarktregale. Schwierig wird es, wenn Sie das Verhalten der Konsumenten ändern wollen. Da brauchen Sie einen langen Atem – bei der Industrie und beim Handel. Der sollte das Produkt nicht nach sechs Monaten hinauswerfen. Die meisten Marken haben zehn oder 20 Jahre gebraucht, um sich zu etablieren. Dabei ist es das gemeinsame Ziel von Handel und Industrie, werthaltiges Wachstum bei einer stagnierenden Bevölkerung zu erzielen. Vollsortimenter sehen das übrigens eher ein als die Discounter.
Der Stiftung Warentest ist nicht zu glauben
Wie lange haben Sie an der neuen Knorr-Linie geforscht?
Sechs Jahre. Es ist technisch gar nicht so leicht, einen vollen, guten Geschmack hinzubekommen, wenn man keine Zusatzstoffe verwendet. Hinzu kommt: Wir mussten auch im Konzern Überzeugungsarbeit leisten. Bei einem globalen Unternehmen sieht man Lösungen gern, die sich weltweit vermarkten lassen, nationale Sonderwege, wie wir sie in Deutschland gehen, sind erklärungsbedürftig.
Was tun Sie dagegen, dass der Handel Ihre teuer entwickelten Produkte mit billigeren Eigenmarken imitiert?
Es gibt leider wirklich einen erstaunlichen Hang zum Plagiatismus in Deutschland, nicht nur bei den Handelsmarken. Das wird in Deutschland wahnsinnig lax gehandhabt, erstaunlich, wo hier doch sonst alles durchreguliert wird. Aber gehen Sie mal in die Läden und schauen Sie sich so manche Eigenmarken im Körperpflegeregal an. Sie sehen auf einen Blick, welche Marken da imitiert werden.
Und das geht einfach so?
Offensichtlich. Die Gerichte unterbinden das zumindest nicht.
Braucht man schärfere Gesetze?
Eigentlich gehöre ich nicht zu denen, die nach dem Gesetzgeber rufen. Wir brauchen ein industrieübergreifendes Ethikverständnis, dass man so etwas nicht tut. Wenn das aber nicht funktioniert, bleibt nur noch der Gesetzgeber.
Wie sehr schaden Ihnen die Plagiate?
Erstens: Ein Magnum schmeckt einfach besser als der billige Nachbau. Zweitens: Wenn wir das Gefühl haben, dass unsere Markenrechte verletzt werden, gehen wir mit dem Unternehmen in den Clinch und mahnen es ab, sollte der Dialog nicht funktionieren.
Wen meinen Sie?
So etwas tragen wir nicht nach außen. Und drittens: Marken sind mehr als das reine Produkt. Jede unserer Marken muss einen Mehrwert bieten, mit dem sich die Kunden identifizieren können. Unser Ben-&-Jerry’s-Eis steht für faire Produkte, verantwortliches wirtschaftliches Handeln und soziales Engagement. Die sind unter anderem bei COP 21, der Klimakonferenz zum Thema Klimaschutz, aktiv. Bei Dove haben wir auf die Werbung mit Models verzichtet – unsere Werbeträgerinnen sind ganz normale Frauen und ein Symbol für ein gesundes Selbstwertgefühl.
Für Marken bezahlt man als Kunde aber natürlich auch mehr.
Deutschland ist wirtschaftlich stark, aber wenn es um die Preissetzung geht, tun wir so, als ob wir kein Geld hätten. Beim Eis wird gespart, beim Plasmafernseher nicht.
Warum soll ich mehr für Ihre Markenprodukte bezahlen, wenn mir die Stiftung Warentest sagt, dass die billigen Handelsmarken genauso gut sind?
Und Sie glauben das? Wer weiß, wie bei der Stiftung Warentest und bei Ökotest getestet wird, kann seine Produkte auch darauf einstellen und schneidet gut ab.
Warum machen Sie das nicht?
Unser Fokus ist der Konsument, aber manchmal sind auch wir die Testsieger. Bei Zahnpasta war das jetzt kürzlich so und bei Tee.
Im Körperpflegesegment gibt es Luxusmarken und Billigprodukte. Wer braucht die Marken in der Mitte, Rexona, Dove, Nivea oder andere?
In der Mitte lebt es sich immer schlecht. Aber Rexona oder Axe sind nicht die Mitte, sie sind der Markt. Die Luxusprodukte sind zwar teurer, werden aber viel seltener verkauft. Ich gebe Ihnen aber recht, dass die bekannten Marken in den letzten Jahren unter dem Promotionsdruck gelitten haben – das betrifft die gesamte Industrie. Wenn zwei Duschgels zum Preis von einem verschleudert werden, sinkt die Wertschätzung. Man weiß als Kunde nicht, was der richtige, angemessene Preis ist.
Unilever ist mit einem Umsatz von zuletzt 48,4 Milliarden Euro nach Nestlé und Procter & Gamble der drittgrößte Konsumgüterkonzern der Welt. Zum britisch-niederländischen Unternehmen gehören über 400 Marken, darunter Knorr, Langnese, Rama, Dove und Coral. Ulli Gritzuhn (53) arbeitete unter anderem für Nestlé, den Kaugummi-Hersteller Wrigley und Procter & Gamble, bevor er am 1. Juli 2014 Deutschland-Chef von Unilever wurde. Der gebürtige Hamburger hat Wirtschaftswissenschaften studiert und war Marketingchef bei T-Mobile International. Mit ihm sprach Heike Jahberg.
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