Rücktritt von Jens Weidmann: Es geht auch um Ihr Geld
Dass der Chef der Bundesbank aufgibt, ist eine Hiobsbotschaft für Sparer, Mieter, Autofahrer - eigentlich für uns alle. Ein Kommentar.
Mit der Bundesbank hat man als normaler Sparer nichts zu tun. Ein Depot- oder ein Girokonto kann man dort als Privatmensch nicht eröffnen. Auch die Entscheidung über die Leitzinsen fällt schon lange nicht mehr bei der deutschen Notenbank, sondern bei der Europäischen Zentralbank (EZB).
Deshalb könnte es uns egal sein, ob der Präsident der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, zurücktritt oder nicht. Doch das stimmt nicht. Denn mit Weidmann räumt einer der letzten Notenbanker das Feld, der den geld- und zinspolitischen Irrsinn der vergangenen Jahre zu bekämpfen versucht hat.
Die Politik des billigen Geldes, die immer wieder verlängerten Anleihekäufe durch die EZB und die Nullzinspolitik haben den Regierungen der Euro-Zone das Schuldenmachen leicht gemacht. Die Zeche zahlen Sparer, Menschen, die Geld für ihre Altersvorsorge zurücklegen wollen, und Mieter. Aber auch wer Lebensmittel kauft, tankt oder seine Wohnung vernünftig heizen will, steht vor wachsenden Problemen.
Fürs Ersparte gibt es nichts, dafür steigen die Preise. Mit 4,1 Prozent lag die Inflation im September auf dem höchsten Stand seit 28 Jahren, in wenigen Tagen folgt die Schätzung des Statistischen Bundesamts für Oktober. Angesichts der Preisexplosion an den Energiemärkten dürfte die neue Zahl keine Beruhigung sein. Mit fünf Prozent Inflation rechnet die Bundesbank bis zum Jahresende. Normalerweise wäre das der Zeitpunkt für die Notenbank gegenzusteuern – die Zinsen zu erhöhen, um die Inflation zu senken. Weidmann würde das tun, aber er wird nicht gefragt. Im Zentralbankrat der EZB haben diejenigen das Sagen, die für eine lockere Geldpolitik sind.
Die Preise steigen, das Ersparte wird immer weniger wert
Die Bundesbürger trifft das doppelt: Die Preise steigen. Zugleich senkt die Inflation den Wert des Ersparten. Wobei es sich ohnehin schon lange nicht mehr lohnt, etwas auf die hohe Kante zu legen. Zumindest wenn man Risiken vermeiden möchte. Die Umlaufrendite der Staatspapiere ist negativ: Wer eine Bundesanleihe kauft, bekommt nicht etwa Geld, sondern muss Geld mitbringen. Zugleich erheben immer mehr Geldinstitute für immer geringere Beträge Strafzinsen und treiben ihre Kunden so in andere Anlagen – in Aktien etwa oder in Immobilien.
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Das hinterlässt Spuren. Auf dem Immobilienmarkt herrscht Goldgräberstimmung. In Städten wie Berlin kennen die Preise nur eine Richtung – nach oben, trotz Corona. Doch wer teuer kauft, will Rendite sehen. Das bekommen die Mieter und Mieterinnen zu spüren. In Berlin eine bezahlbare Wohnung zu finden, ist wie ein Sechser im Lotto.
Die Politik verstreicht weiße Salbe
Die Politik doktert an den Symptomen herum. Mit dem Mietendeckel oder der Mietpreisbremse versucht man, die schlimmsten Auswüchse zu dämpfen. Vergeblich. Im Kampf gegen Preissteigerungen bei Energie und Sprit unterstützen unsere europäischen Nachbarländer einkommensschwache Haushalte mit Tankgutscheinen oder entlasten sie bei den Strom- und Gaspreisen. Auch hierzulande mehren sich die Rufe nach Hilfen für Hartz-IV-Haushalte, die ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können.
Zugleich planen die Ampel-Koalitionäre aber fleißig neue Investitionen und Staatsschulden. Noch ist die Schuldenbremse ausgesetzt, das erleichtert das Schuldenmachen. Doch je mehr Schulden der Staat auftürmt, desto wichtiger ist es für ihn, dass die Zinsen niedrig bleiben - und zwar dauerhaft. Das gilt insbesondere für die südeuropäischen Länder, aber auch für Deutschland.
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Billiges Geld ist eine Droge
Niedrige Zinsen und billiges Geld sind für die Regierungen ein süßes Gift. Sie lindern die kurzfristigen Haushaltsprobleme, aber je länger man diese Droge konsumiert, umso schwieriger wird die Entwöhnung. Jens Weidmann warnt seit langem davor, dass der Ausstieg immer schwieriger wird. Doch niemand will das hören. Im Gegenteil: In der EU-Kommission möchte man die Maastricht-Stabilitätskriterien aufweichen.
Und auch im eigenen Lande verpuffen Weidmanns Mahnungen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hätte ihn zum EZB-Präsidenten machen können, doch ihr war es wichtiger, Ursula von der Leyen an die Spitze der EU-Kommission zu hieven. Dass Weidmann nun resigniert, ist menschlich verständlich. Für die Millionen Bundesbürger, die auf unabsehbare Zeit mit den Folgen dieser Geld- und Zinspolitik leben müssen, ist das bitter. Der Rücktritt Weidmanns hat mit unserem Leben leider mehr zu tun als viele denken.