Freihandelsabkommen TTIP: Energiefirmen fordern gleiche Standards
Für die einen ist es eine gute Sache, für die anderen ein rotes Tuch: TTIP erhitzt seit Monaten die Gemüter. Nun sprechen sich große Energieunternehmen für die Angleichung technischer Standards auf beiden Seiten des Atlantiks aus.
Mehr deutsche Solartechnik für Amerika, billigeres US-Gas für Europa: Auch die Energiebranche trommelt für einen engeren transatlantischen Handel mit Hilfe des umstrittenen TTIP-Abkommens. Stärker als etwa in der Auto-, Chemie- oder Agrarwirtschaft steht die neunte Gesprächsrunde zwischen der EU und den USA, die am Freitag zu Ende geht, aber ebenso im Zeichen politstrategischer Kalküle. Der Abbau von Zöllen und Doppelregeln, hoffen zumindest Befürworter, könnte den Klimasünder USA – 2012 mit 5,2 Milliarden Tonnen der nach China größte CO2-Emittent der Welt – zu höheren Investitionen in erneuerbare Energien ermuntern.
Mehr Handel, mehr Jobs, mehr Wohlstand?
Im Gegenzug soll der alte Kontinent günstiges Flüssiggas bekommen, um unabhängiger von Russland zu werden, ohne die heikle Fracking-Methode breit anwenden zu müssen. Zugleich ruft TTIP aber mehr Gegner denn je auf den Plan: Umwelt- und Verbraucherschützer sowie Globalisierungskritiker sorgen sich um eine Herabsetzung von Standards und Aushöhlung von Arbeitnehmerrechten. Die Rechnung, die die Fürsprecher aufmachen, scheint recht simpel zu sein: mehr Handel gleich mehr Jobs gleich mehr Wohlstand für einen Raum, der 800 Millionen Bürger umfasst. „Wir sind grundsätzlich von der Notwendigkeit eines solchen Abkommens überzeugt“, heißt es bei Deutschlands größtem Versorger Eon in Düsseldorf. Freier Handel zwischen wichtigen Märkten sei „etwas absolut Positives“. Dieser könne nicht nur eigene Geschäfte fördern, sondern auch die Versorgungssicherheit erhöhen: „Eines der zentralen Ziele der Europäischen Energieunion ist die Verringerung von Importrisiken durch Diversifizierung der Bezugsquellen bei Erdöl und Erdgas.“
Auch in den USA mehren sich derlei Stimmen seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise. „Wir haben die Chance, die globalen Handelsregeln auf Jahrzehnte zu gestalten und zu verbessern“, sagte Außenminister John Kerry am Donnerstag (Ortszeit) bei einer Konferenz der Denkfabrik Atlantic Council in Washington. Der Wirtschaftsberater von Präsident Barack Obama, Jason Furman, spornt Europa zu höherem Tempo an: „Wir sind bereit, den Vertrag so schnell wie möglich in eine endgültig vereinbarte Fassung zu bringen“, betonte er im Deutschlandfunk. Der Atlantic Council selbst sprach von „einer für diese Generation einmaligen Gelegenheit, amerikanische Bündnisse und gemeinsame Normen und Werte weltweit zu stärken“.
Effekt von TTIP womöglich überschätzt
Blumige Worte, die angesichts der Abgrenzung gegenüber Russland, EU-Kartellermittlungen gegen den Moskauer Energieriesen Gazprom oder griechischen Wünsche nach einer verlängerten Pipeline aus dem Osten jedoch durchaus ins Bild passen. Doch auch in umgekehrter Richtung erhoffen sich TTIP-Anhänger einen Schub. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht Potenziale für deutsche Firmen. Der Chef des Elektro-Branchenverbands ZVEI, Klaus Mittelbach, fordert: „Wir brauchen eine Harmonisierung technischer Normen, die Maßstab für weltweiten Handel sein können, keine faulen Kompromisse.“ Nach jüngsten Zahlen blieb die Nachfrage nach deutscher Energie- und Elektrotechnik aus den USA im Februar mit einem Plus von 19,1 Prozent auf 1,2 Milliarden Euro im Vorjahresvergleich besonders dynamisch. Der Bonner Solarkonzern Solarworld etwa ist schon jetzt auf beiden Seiten des Atlantiks ein Schwergewicht – verspricht sich durch bessere Export- und Investitionsregeln aber weitere Zuwächse. „2014 haben wir über 40 Prozent unserer Produkte in den USA verkauft“, sagt Vizechef Milan Nitzschke. Gleichzeitig versucht er allerdings, allzu große Erwartungen zu dämpfen: „Viel zu verbessern gibt es kaum, auch wenn TTIP noch den Punkt auf das i setzen kann.“
Umwelt und Soziales kein Gegensatz zu freiem Handel
Nicht alle Bedenken seien zudem überzogen, mahnt der Solarworld-Unternehmer: „Die Politik muss aufpassen, dass nicht massenweise Porzellan umgeworfen wird. Der Preis herabgesetzter Standards oder gesellschaftlicher Verwerfungen wäre zu hoch.“ Umwelt und Soziales seien kein Gegensatz zu freiem Handel, sie gehörten zum Geschäft. Skeptiker verweisen auch auf die Tatsache, dass TTIP in Hinterzimmern verhandelt wird. (dpa)
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