Bosch und Siemens in Berlin: Ende und Anfang
60 Jahre lange fertigten Bosch und Siemens Waschmaschinen in Berlin. Das ist nun zu teuer – als Ersatz gibt es ein Forschungszentrum.
Berlin - Wenn Manager neue Gebäude und Fabriken einweihen, greifen sie gern zu großen Worten. Von einem „Bekenntnis zum Standort“, sprechen sie dann und davon, wie wichtig ihnen „Made in Germany“ ist. Und sie preisen ihre Produkte – zum Beispiel Trockner, die ganz wenig Strom verbrauchen, Waschmaschinen, die bald fast ohne Wasser auskommen sollen. Kurt-Ludwig Gutberlet, Chef von Bosch und Siemens Hausgeräte (BSH), hat das am Donnerstag getan. Ein Forschungszentrum für 700 Techniker und Ingenieure in Spandau galt es zu eröffnen. Womöglich werden bald noch 50 Leute hinzukommen, „wir haben auf Zuwachs gebaut“, freute sich Gutberlet. So einen Aufbruch gibt es nicht alle Tage in der wirtschaftsschwachen Hauptstadt.
Keine drei Kilometer entfernt sieht es eher nach Abbruch aus. Im alten Spandauer Waschmaschinenwerk von BSH gehen die Lichter aus. Noch ein dreiviertel Jahr, dann ist Schluss – nach fast 60 Jahren. Für die Fabrik aus Wirtschaftswunderzeiten ist kein Platz mehr. Auch nicht für die noch 230 Beschäftigten. Für sie geht eine Ära zu Ende, hier werden sie keine Waschmaschinen mehr bauen.
Jeden Tag machen in Deutschland Firmen dicht und schaffen andere zugleich neue Arbeitsplätze. Das ist der Lauf der Marktwirtschaft. Doch die Entwicklung bei BSH steht beispielhaft für einen Trend: Einfache Industriearbeitsplätze verschwinden, nach Osteuropa und Asien. Platz ist hierzulande nur noch für Ingenieure, Forscher und Verwaltungsleute. Gefragt ist Arbeit mit Köpfchen statt Arbeit mit der Hand.„Das tut weh, wenn der Standort geschlossen wird, nachdem man so lange hier gearbeitet hat“, sagt Güngör Demirci. „Das war schließlich einmal mein Lebensmittelpunkt.“
Demirci, 58, ist Vorsitzender des Betriebsrats. Mit 15 ist er aus der Türkei gekommen und gleich bei BSH in die Lehre gegangen. Damals war Berlin das größte Waschmaschinenwerk in Europa. Vier Millionen Apparate liefen in den besten Zeiten vom Band, zusammengeschraubt von 3200 Beschäftigten. Doch dann kam der Fall der Mauer. Sehr schnell fiel die üppige Berlin-Förderung weg. Und Arbeit war überall billiger zu haben – in China, Polen und Russland zog BSH Werke hoch. Auch in Nauen, in der Nähe Berlins. Die 500 Beschäftigten dort arbeiten länger und verdienen weniger. Subventionen gab es auch noch. „Mit Nauen war das Aus für Berlin als Fertigungsstandort besiegelt“, sagt Demirci. Investitionen in Spandau wurden immer spärlicher. „Das Ende war lange geplant“, ist er überzeugt.
Das Ende hat auch mit Media Markt zu tun. Dort gibt es heute Waschmaschinen für unter 200 Euro. Der moderne Konsument knausert bei jedem Cent. Fabriken müssen daher an jeder Ecke auf Effizienz getrimmt sein. So wie in Nauen, sagt Bernd Schneider, Branchenexperte bei der Beratungsfirma AT Kearney. Lieferanten müssten nah sein, der Energieverbrauch so gering wie möglich. „Man kann Waschmaschinen in Deutschland nur noch produzieren, wenn die Fertigung straff nach neuesten Standards organisiert, die Belegschaft flexibel ist und mehrere Hunderttausend Stück pro Jahr hergestellt werden.“ All das traf für das alte, verschachtelte Spandauer Werk nicht zu.
Wobei Waschmaschinen nur ein Beispiel von vielen sind. Videokameras von JVC, Fernseher von Samsung, Bagger von CNH – all das wurde einmal in der Hauptstadt hergestellt. Zu teuer, zu alt, monierten die Manager, bevor sie die Schließung der Werke verfügten. Für die Stadt ist das ein Problem: Gegenüber 1991 ist die Zahl der Industriejobs um zwei Drittel geschrumpft. Immerhin, seit einiger Zeit versucht die Politik, sich gegen den Trend zu stemmen. Klaus Wowereit (SPD) hat einen Masterplan Industrie entwerfen lassen, der bis 2020 wieder mehr Arbeit im verarbeitenden Gewerbe bringen soll.
Für die gering Qualifizierten, 40 Prozent der Berliner Erwerbslosen, dürfte das kaum eine Perspektive bringen. „Die einfachen Jobs wird man nicht zurückholen, die spielen in Metropolen keine Rolle mehr“, fürchtet Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. „Berlins Arbeitsmarktprobleme bekommt die Politik mit ihrer Initiative nicht in den Griff.“ Die Spaltung des Arbeitsmarktes – hier gut bezahlte Fachleute, dort ungelernte Niedriglöhner – vertieft sich durch die Zeitenwende in der Industrie.
Dass ihre Jobs alles andere als zukunftsfest sind, schwante den BSH-Leuten schon länger. 2005 wollte der Konzern ihr Werk endgültig schließen. Doch er hatte nicht mit der Hartleibigkeit der Beschäftigten gerechnet. Sie zogen mit der gesamten Protest-Folklore aus Streiks, Demonstrationen und Sternmärschen über Monate gegen BSH zu Felde. Einen Sieg erreichten sie zwar nicht. Dafür aber einen Aufschub – und schließlich üppige Rentenregelungen und Abfindungen von zum Teil mehreren Hunderttausend Euro. Einige bekamen Ersatz-Arbeitsplätze im neuen Forschungszentrum oder in anderen Werken. Und sie erreichten, dass BSH in Berlin bleibt – glaubt jedenfalls Betriebsrat Demirci. „Ohne die Auseinandersetzung wäre das neue Forschungszentrum niemals gebaut worden.“
Jetzt regt sich niemand mehr auf. Firmenchef Gutberlet sagt, dass die Schließung „unausweichlich“ gewesen sei – „ein Prozess, der nicht einfach, aber notwendig war“. Nur der Regierende ist traurig. „Ein Wermutstropfen“ sei das Ende der Produktion, sagt Klaus Wowereit (SPD), der auch zur Einweihung gekommen ist. Immerhin, das Forschungszentrum sei eine Alternative. Er fühlt sich ein bisschen machtlos. „Dies ist eine Entwicklung, die offensichtlich nicht aufzuhalten war.“
Mitarbeit: Kevin Hoffmann
Carsten Brönstrup
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