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Wer sehr lange keinen Job hat, hat meist soziale Probleme. Manche sind suchtkrank.
© Tagesspiegel

Schwer vermittelbare Arbeitskräfte: Eine neue Chance für Langzeitarbeitslose

Die Bundesagentur für Arbeit hat die Arbeitslosenzahlen veröffentlicht. Seit Jahresanfang hat sie ein neues Programm für die Härtefälle. Was bringt es?

War nichts für sie dabei, sagt die Frau, die morgens um zehn nach Schnaps riecht. Ihre langen, rot gefärbten Haare mit grauem Ansatz sind ungekämmt, die Nägel lang und gelb, das Gesicht von Falten durchzogen. Spuren langer Nächte. „Hab mal in der Kneipe gearbeitet, mal in der“, erzählt sie mit tiefer, kratziger Stimme, ohne ihren Namen nennen zu wollen. Inzwischen ist es lange her, dass sie auf der Seite des Tresens stand. Wie lange weiß sie nicht. Deswegen hat das Jobcenter sie hierher geschickt.

Seit Anfang des Jahres probiert die Bundesagentur für Arbeit einen neuen Weg aus, um schwer vermittelbare Menschen doch an Unternehmen zu vermitteln. Auf Jobbörsen wie dieser sollen sie sich kennenlernen. Was  Betriebe überzeugen soll, jemanden einzustellen, der morgens anscheinend nicht nüchtern ist?  Sie bekommen Geld vom Staat.  Grundsätzlich richtet sich das Programm an Menschen, die über 25 Jahre alt sind, für mindestens sechs in den letzten sieben Jahren Hartz IV bekommen haben und in der Zeit nicht oder nur kurz beschäftigt waren. Gibt die Firma jemandem eine Chance, kriegt sie zwei Jahre lang 100 Prozent des Mindest- beziehungsweise des Tariflohns erstattet, danach jährlich 10 Prozent weniger. Die Förderung dauert bis zu fünf Jahre.

Bislang hat die Politik die verfestigte Arbeitslosigkeit nicht in den Griff bekommen. Während die Beschäftigung in Deutschland seit Jahren steigt, haben rund 800.000 Menschen schon seit mindestens einem Jahr nicht mehr gearbeitet. Relativ gesehen ist das ein Drittel aller Arbeitslosen und dieser Anteil hat sich seit dem Jahr 2000   kaum verringert. Aus diesem Grund hat sich die Regierung im vergangenen Jahr auf den Versuch eines sozialen Arbeitsmarkts verständigt: Geförderte Jobs, sozialversicherungspflichtige und in Vollzeit.

 Es geht um die absoluten Härtefälle

Die Zielgruppe sind die absoluten Härtefälle der Jobcenter. 100.000 bis 200.000 Frauen und Männer fehlt nicht nur Arbeit. Sie haben auch enorme körperliche oder soziale Probleme. Unter ihnen sind Trinker, die vielleicht noch so gerade die Schule beendet haben.  Menschen, die lange Drogen nahmen oder noch immer nehmen. Alleinerziehende, die mit Depressionen kaum aus dem Bett kommen. Männer, die spielsüchtig und überschuldet sind. Sollen sie erzählen, wie das alles so weit kommen konnte, sind die Geschichten fast immer traurig und lang, reichen mitunter bis in die Kindheit.

Aus diesem Grund steht den Teilnehmenden des neuen Programms ein Coach zur Seite, der sie ganz eng betreut und auch ihren Familien helfend zur Seite steht. Die Jobcenter entscheiden in eigener Verantwortung, ob das eigene Mitarbeiter sein sollen oder ob sie diese Aufgabe an externe Träger vergeben.

Nach einer ersten Einschätzung hat sich der soziale Arbeitsmarkt  sechs Monate nach dem Start  als „Erfolgsgeschichte“ erwiesen. Bis Ende Juni sei es gelungen, 21.300 Langzeitarbeitslose zu vermitteln, sagte  Detlef Scheele , Vorstandschef der Arbeitsagentur, der Deutschen Presse-Agentur. „Bereits nach einem halben Jahr sind wir etwa bei der Hälfte der erwarteten Beschäftigungsverhältnisse. Das sei „gigantisch schnell“, meinte Scheele. „Wenn das so weitergeht, haben wir bereits 2020 so viele Arbeitsverhältnisse geschaffen, wie wir theoretisch mit den vorhandenen Mitteln finanzieren können.“ Insgesamt stehen für  den sozialen Arbeitsmarkt vier Milliarden Euro für fünf Jahre zur Verfügung.

Scheele freue sich auch darüber, dass nicht nur öffentliche Arbeitgeber das Jobprogramm nutzten. „In manchen Arbeitsagenturbezirken stammen bis zu 70 Prozent der angebotenen Stellen von privaten Arbeitgebern“, sagte Scheele. Er sei froh, dass die Jobcenter endlich ein Instrument erhielten, das über die bisher häufig eingesetzten Möglichkeiten, wie etwa Bewerbungstrainings, hinausgehe. Oft wurde Hartz-IV-Empfängern bisher eine Weiterbildung oder sonstige „Maßnahme“ angeboten, wie es im Jobcenter-Jargon heißt. Das konnte auch  heißen, Lamas spazieren zu führen. Oder  in nachgebauten Geschäften, das Verkaufen von Waren zu üben – wie früher im Kindergarten. Endet das Programm nach einigen Monaten wieder, müssen sie wieder zum Jobcenter. Nächste Maßnahme. 

 Nicht für alle Jobs kommen in Frage

Bei den geförderten Jobs waren einfache Tätigkeiten bei Arbeitgebern in der freien Wirtschaft, bei sozialen Einrichtungen und den Kommunen angedacht. Tatsächlich hat rund die Hälfte  einen Helferjob gefunden, für den keine Ausbildung notwendig ist. Was das für Jobs sind? Sie übernehmen zum Beispiel Aufgaben in der Gemeindearbeit, sind Platzwarte, entsorgen Abfall,  bewässern und pflegen Parks, fahren ältere Menschen von ihrem Zuhause zu einer Senioreneinrichtung und zurück. Ganz einfach ist all das nicht.

Die Jobs sollen zwar vollwertig sein und den Menschen nicht bloß ihre Zeit vertreiben. Andererseits sollen sie keine regulären Arbeitsplätze gefährden, bloß als Zusatz fungieren. Deswegen kommt es mitunter zu absurden Regeln: In Tierheimen gilt im Umgang mit den Tieren die Vorgabe „nicht füttern, nur streicheln“, um den Angestellten keine Konkurrenz zu machen. Ein Kitahelfer durfte nicht die Arbeit einer ausgebildeten Erzieherin übernehmen. Kippte ein Kind eine Tasse um, sollte der Helfer den Saft nicht aufwischen, sondern zusehen, wie er vom Tisch auf den Teppich tropft. Ob die Langzeitarbeitslosen denn durchhalten? „Es ist noch zu früh, um das einzuschätzen“, sagte ein Sprecher der Arbeitsagentur dem Tagesspiegel.

Die Grünen kritisierten vor einer Woche einen weiteren Missstand: Obwohl die Hälfte aller Langzeitarbeitslosen weiblich ist, betrage der Frauenanteil bei der neuen Förderung nur 37,7 Prozent. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen hervor.  Dieser Befund sei „leider nicht überraschend, da Frauen auf dem Arbeitsmarkt grundsätzlich benachteiligt sind“, sagte die Fraktionssprecherin der Grünen für Arbeitnehmerrechte, Beate Müller-Gemmeke. Dabei hätten Frauen „einen besonderen Unterstützungsbedarf, da sie durch Betreuungszeiten häufig längere Zeit aus dem Job waren“. Zudem bildeten Frauen den weitaus größten Anteil an den Alleinerziehenden und seien durch geringe Einkommen und die Organisation der Kinderbetreuung in der Regel sowieso schon stärker belastet als Männer.

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