Wahlendspurt bei der Berliner IHK: Ein wenig Kammerflimmern
Endspurt bei der Wahl der IHK Berlin: Kritiker bemängeln Demokratiedefizite. Eine Revolution wie bei der Kammer in Hamburg dürfte aber ausbleiben.
Ein wenig Hochstapelei gehört im Wahlkampf wohl dazu. Zum „Public Viewing“ hatte die Initiative #mitmachIHK vor einigen Wochen geladen. Das klang nach hunderten Anhängern, die gemeinsam einem Triumph entgegenfiebern. In Wahrheit ging es den Berlinern lediglich um das gemeinsame Anschauen eines Beitrags des ARD-Magazins „Plusminus“ in einer Friedrichshainer Kneipe. 20 Leute guckten mit.
Im TV ging es um die „Kammerrebellen“, die im Februar bei der Wahl der Hamburger Handelskammer 55 von 58 möglichen Sitzen im Plenum erringen konnten – und seither ihr radikales Reformprogramm durchsetzen. Oberstes Ziel der Hanseaten: Die Beiträge der Pflichtmitglieder gegen Null zu reduzieren. Seither erzählt man sich unter Hamburgs Kaufleuten wieder Geschichten vom Klabautermann, es herrscht eine Mischung aus Aufbruchstimmung und Zähneklappern. Letzteres vor allem unter den Mitarbeitern der anno 1665 gegründeten Handelskammer, die berechtigterweise um ihre Jobs fürchten.
In dem Film kamen auch „rebellische“ Berliner Unternehmer zu Wort, die in diesen Tagen für einen der 99 Sitze in der Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer (IHK) der Hauptstadt kandidieren. Führende Mitglieder der Initiative #mitmachIHK wollen zwar nicht alles anders machen als die Hamburger Kollegen, aber doch vieles besser. Mit dabei ist Start-up-Unternehmer Christoph Huebner, Gründer der kleinen Firma Nexst, die Dienstleistungen rund um den Trauerfall organisiert.
Vor fünf Jahren sorgte die Initiative ProKMU für Wirbel
Der 34-Jährige war schon bei der Kammerwahl vor fünf Jahren dabei. Damals hatte Unternehmer Oliver Scharfenberg mit der Initiative ProKMU medial eine große Welle erzeugt, sich nach der Wahl aber recht bald aus der Kammerarbeit zurückgezogen. Ein halbes Dutzend Mitstreiter, darunter Huebner, hielt durch und triezte das IHK-Establishment mit mal mehr, mal weniger originellen Vorschlägen und Fragen – etwa zum Betrieb des einstigen Wohnheims an der Charlottenburger Reichsstraße, das die Kammer seit Jahrzehnten betreibt. Das Haus hat die Kammer mittlerweile dem Senat als Unterkunft für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge angeboten.
Die damaligen ProKMU-Kandidaten haben in fünf Jahren weder die Kammer auf den Kopf gestellt noch die Pflichtmitgliedschaft beendet. Speziell der Wunsch nach einem Ende der „Zwangsmitgliedschaft“ eint auch die Mitglieder der neuen Initiative #mitmachIHK. Allerdings sind die Reformaktivisten einig, dass das Thema bundesweit politisch und juristisch geregelt werden muss.
Ein Übriges zur Isolation beziehungsweise zur Integration oder Zähmung der „Rebellen“ in der Vollversammlung tat die Beharrlichkeit und das Machtbewusstsein der hauptamtlichen Mitarbeiter der Kammer unter Hauptgeschäftsführer Jan Eder. Wie der seine Rolle versteht, hatte er zum Beispiel bei der feierlichen Begrüßung der neuen Kammerpräsidentin Beatrice Kramm signalisiert. Kramm hatte im März 2016 Alba-Miteigentümer Eric Schweitzer abgelöst, der mittlerweile den Kammerdachverband DIHK als Präsident repräsentiert. Damals erklärte Eder vor hunderten geladenen Gästen, wie Hauptgeschäftsführer „ihre“ Präsidenten erst ausbilden müssten. Da brauche man viel Geduld.
Der Name Eder – nicht der von Schweitzer oder Kramm – kommt auch regelmäßig ins Spiel, wenn es um die Berufung oder Beurteilung der Spitzen der Senatswirtschaftsverwaltung oder der Standortförderagentur Berlin Partner geht. Kurzum: An Jan Eder, der seit fast 15 Jahren an der Spitze der Kammer steht, führt bei Entscheidungen kein Weg vorbei.
Eder glänzt oft mit Charme und Intellekt, erschreckt mitunter aber auch durch übertriebenes Machtgehabe, wie Mitarbeiter berichten. Letzteres nehmen auch manche Mitglieder der nun zu wählenden Vollversammlung, dem formal obersten beschlussfassenden Gremium der IHK so wahr. Es tagt im Schnitt drei- bis viermal im Jahr, nach Möglichkeit auch vor einem lange angesetzten Termin wie etwa dem traditionellen Neujahrsempfang. Unbequeme Themen, klagen kritische Kammer-Parlamentarier regelmäßig, würden vom Präsidium dann einfach ganz weit ans Ende der Tagesordnung gesetzt – und im Zweifel vertagt. Dem wiederspricht man im Ludwig-Erhard-Haus, dem Sitz der IHK in der Charlottenburger Fasanenstraße.
Bemerkungen um Eders Tantieme beschäftigen Gericht
Zugleich liefert sich die Kammer zum Beispiel aktuell einen Rechtsstreit um Anwalts- und Gerichtskosten mit dem kritischen Vollversammlungsmitglied Rainer Janßen, einem Steuerberater aus Tempelhof. Der hatte in einem Leserbrief, der im Januar 2016 in dieser Zeitung abgedruckt worden war, Höhe und Umstände der jährlichen Tantiemenzahlung in Höhe von 50.000 Euro kritisiert, die Eder zu seinem Fixgehalt in Höhe von 225.000 Euro erhält. „Das Präsidium der IHK Berlin hat sich daran gestört, dass Herr Janßen den Eindruck hervorgerufen hat, die turnusgemäße Verlängerung des Dienstvertrags von Herrn Eder habe die Wahl eines neuen Hauptgeschäftsführers in der Vollversammlung verhindert“, erläutert IHK-Sprecher Jörg Nolte. Eder habe zudem gestört, „dass Herr Janßen im gleichen Leserbrief im Zusammenhang mit der Planung und Erstellung des Ludwig-Erhard-Hauses behauptet hat, er habe zu diesem Zeitpunkt eine führende Position in der IHK innegehabt.“ Janßen habe dazu eine Unterlassungserklärung abgegeben. Es ist kompliziert.
„Nach zehn Jahren Vollversammlung habe ich wahrgenommen, dass die sogenannte Selbstverwaltung nicht so ist, wie sie öffentlich dargestellt wird“, bilanziert Egon Dobat, ein anderer Kammer-Quälgeist, der seit 40 Jahren das Reiseunternehmen ATS in Halensee betreibt. „Es ist eine oligarchisch gelenkte Demokratie, so wie ich mir die Volkskammer vorstellte.“
Konsensfähig sind derartige Einschätzungen nicht unter den Mitgliedern der Vollversammlung, noch nicht einmal innerhalb der Initiative #mitmachIHK. Kandidaten wie Christoph Huebner oder Fabio Reinhardt, ehemaliges Mitglied der Piraten-Fraktion im Abgeordnetenhaus, geben sich milder. „Wir setzen auf konstruktive Mitarbeit und Kooperation innerhalb der bestehenden Kammerstrukturen“, sagt Huebner. Sie strebten „echte“ Mitsprache und Transparenz an.
Auf dem Feld sieht sich die IHK-Geschäftsführung bereits sehr gut aufgestellt. Man würde sogar ein theoretisch mögliches Scheitern von Präsidentin Kramm bei der laufenden Wahl akzeptieren. Sie kandidiert wie Huebner in der eher umkämpften Wahlgruppe 3 (Kreativwirtschaft). Würde sie nicht gewählt, „wird die neu gewählte Vollversammlung unter ihren Mitgliedern geeignete Kandidatinnen oder Kandidaten für das Präsidentenamt finden“, erklärt Sprecher Nolte.
Die Nachnominierung (Kooptation) nicht gewählter Unternehmenspersönlichkeiten, die in manchen Kammern schon Präsidenten das Amt gerettet hat, hat die IHK Berlin abgeschafft. „Das ist gelebte Demokratie, die selbstverständlich auch von unserer amtierenden Präsidentin und von den hauptamtlichen Mitarbeitern respektiert wird“, sagt Nolte.
Service: Abstimmung bis zum 29. Mai 2017
Alle rund 280.000 Unternehmen der Hauptstadt können noch bis Montag, 29. Mai um 14 Uhr, ihre Stimme für die Wahl zur Vollversammlung per Brief oder online bei der IHK abgeben. Zur Wahl stehen 202 Kandidaten in 14 branchenbezogenen Wahlgruppen. Zu vergeben sind insgesamt 99 Sitze in dem Gremium. Wer seinen Wahlaufruf verlegt hat, kann Online-Zugangsdaten beziehungsweise Wahlunterlagen bestellen. Das Bestellformular gibt es unter: www.ihk-berlin.de/ihk-wahl. Abstimmen kann man auch persönlich in einem Wahllokal im Ludwig-Erhard-Haus, dem Sitz der Kammer, an der Fasanenstraße 85, 10623 Berlin (Charlottenburg).
Am 9. Juni wird das Ergebnis verkündet. Am 12. Juli kommt die Versammlung zu ihrer ersten Sitzung zusammen. „Wir sind mit dem bisherigen Wahlverlauf zufrieden“, sagte IHK-Sprecher Jörg Nolte. Insgesamt erhoffe man sich eine bessere Wahlbeteiligung im Vergleich zur Wahl vor fünf Jahren. Die Zahl der bisher eingegangenen Stimmen nannte er nicht.
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