Handelskammer Hamburg: Wahlsieg der "Rebellen" motiviert Berlins IHK-Reformer
Hamburg erlebt ein lokalpolitisches Erdbeben nach dem Sieg der "Kammerrebellen" bei der Wahl zum Plenum der Handelskammer. Berlins Kammerkritiker fühlen sich motiviert. Auch sie wählen bald.
Historische Tage hat die Handelskammer der wichtigsten deutschen Handelsstadt Hamburg sicher schon ein paar erlebt. Sie hatte ja 352 Jahre Zeit seit ihrer Gründung anno 1665. Am Freitag kam noch einer hinzu. Und es gibt nicht wenige Beobachter die - je nach Perspektive - fürchten beziehungsweise hoffen, dass es einer der letzten historischen Tage gewesen ist: Bei der Wahl zum Plenum der wichtigsten Wirtschaftsvertretung der Stadt feierten nämlich die so genannten "Kammerrebellen" von "Die Kammer sind WIR" einen Sieg in zuvor nicht möglich gehaltener Höhe: Sie errangen 55 der 58 direkt gewählten Sitze.
Mit dieser absoluten Mehrheit können sie ihr zentrales Wahlversprechen umsetzen und die Zwangsbeiträge, die Firmen bisher an die Handelskammer abführen müssen, faktisch abschaffen – indem sie sie auf Null setzen. Die "Zwangsmitgliedschaft", wie Kammerkritiker es nennen, können sie zwar nicht aufheben, in Deutschland gilt für jeden Unternehmer eine gesetzliche Pflichtmitgliedschaft. Ohne Einnahmen aber müssen 260 Mitarbeiter der Hamburger Kammer am Adolphsplatz, direkt hinter dem Rathaus der Hansestadt gelegen, nun um ihrem Jobs fürchten.
"Dieses Wahlergebnis zeigt, wie unzufrieden die Hamburger Kaufmannschaft mit ihrer Handelskammer war", sagte WIR-Sprecher Tobias Bergmann dem "Hamburger Abendblatt". "Das ist eine große Herausforderung und Verantwortung für uns. Die Handelskammer muss nun im 21. Jahrhundert ankommen."
Ob das bedeutet, dass Hamburgs Unternehmer schon sehr bald ohne eine funktionierende Kammer auskommen müssen, ist derzeit offen. Kammern bündeln nicht nur für die lokale Wirtschaft Anliegen und formulieren sie für die lokale Politik und Öffentlichkeit. Sie nehmen auch hoheitliche Aufgaben wahr, nehmen Prüfungen ab und vergeben Meisterbriefe, sie pflegen Statistiken, erstellen Konjunkturprognosen mit wissenschaftlichem Anspruch. Viele Kammerkritiker halten die meisten dieser Aufgaben für Mumpitz und unterstellen den in den Kammern tätigen Haupt- und Ehrenamtlichen, sie würden in Selbstbedienungsläden arbeiten, ohne den zahlenden Unternehmen einen Mehrwert zu bieten.
Bei der Berliner IHK endet am Montag die Bewerbungsfrist
Der Erfolg der Hamburger "Rebellen" dürfte alle mehr oder minder starken Fraktionen der Kritiker in den bundesweit mehr als 70 Industrie- und Handelskammern motivieren - auch und vor allem in Berlin. Bei der Berliner IHK endet am kommenden Montag (20. Februar) die Bewerbungsfrist zur Wahl zum höchsten Beschlussgremium, der Vollversammlung. Diese findet zwischen dem 2. und 29. Mai 2017 statt. Alle Berliner sind dazu aufgerufen.
In Hamburg lag die Wahlbeteiligung bei 17,6 Prozent und war damit fast doppelt so hoch wie 2014 (9,6 Prozent). Berlins Unternehmer waren zuletzt noch wahlmüder: Sie lag bei der letzten Wahl 2012 bei knapp 5,9 Prozent. Oder auch nur bei 4,24 Prozent, wie seinerzeit der kammerkritische Bundesverband für freie Kammern (bffk) vorrechnete.
Im Berliner Kammerwahlkampf zur IHK-Wahl 2012 hatte sich die Initiative pro-KMU mit ihrem Vorsitzenden Oliver Scharfenberg profiliert und erreichte 14 von damals 98 zu vergebenden Sitzen der Vollversammlung. Scharfenberg zog sich bald nach der Wahl zurück. Einige engagierte Kammerkritiker aber übten kräftig Opposition in dem Gremium.
"Nicht überall ist der Leidensdruck so hoch wie in Hamburg. Und nicht jede Kammer hat einen Gottkönig als Hauptgeschäftsführer", schrieb das kritische Vollversammlungs-Mitglied Christoph Hübner dem Tagesspiegel in der Nacht zu Samstag. Aber natürlich werfe die Wahl in Hamburg auch ein Licht auf die Kammerwahl in Berlin im Frühjahr. "Am Montag endet die Bewerbungsfrist und unsere Kandidateninitiative #mitmachIHK bereitet sich auf einen leidenschaftlichen Wettstreit der Konzepte vor."
Berlins Kammer-Reformer fordern Rückzahlungen an Unternehmen
Man werde sich für mehr Transparenz, Demokratie und Kostenbewusstsein einsetzen, schrieb Fabio Reinhardt von der Kandidateninitiative #mitmachIHK in einer Erklärung am Sonntag. Der 36-Jährige war bis vor wenigen Monaten Mitglied der Piraten-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und bewirbt sich nun um einen der 99 Sitze im "Parlament" der IHK. "Ein großes Thema werden die ungeplanten Überschüsse sein, die die IHK Berlin seit Jahren erwirtschaftet". Regelmäßig würden ein- bis zweistellige Millionensummen an Pflichtbeiträgen mehr eingezogen, als zur Kostendeckung notwendig seien - bei einem Jahresetat von etwa 40 Millionen Euro. "Das stellt natürlich bei uns auch die Beiträge in Frage", schrieb Reinhardt. (Hier der jüngste genehmigte Jahresabschluss der Kammer für das Jahr 2015 als Download)
Sein Mitstreiter Hübner, der bereits seit fünf Jahren in dem Gremium sitzt, ergänzte: "Allein für 2016 weist die Kammer voraussichtlich wieder 14 Millionen ungeplanten Überschuss aus und es ist noch völlig unklar, was damit geschehen soll. Wir fordern: An die Mitgliedsunternehmen zurückzahlen! Die haben das schließlich nicht freiwillig entrichtet."
Die Führung der Berliner IHK rund um Hauptgeschäftsführer Jan Eder und Präsidentin Beatrice Kramm äußerte sich über das Wochenende nicht zu dem Wahlergebnis in Hamburg.
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