Berliner Industrie: Ein Labor für Deutschland
Klaus Abel hat als Chef der Berliner IG Metall den Strukturwandel erlebt. Jetzt wechselt er in die Gewerkschaftszentrale nach Frankfurt (Main).
Klaus Abel ist Teil der Berliner Industriegeschichte. In Moabit ließ er sich in den 1970er Jahren bei Kurt Menzel zum Elektromaschinenbauer ausbilden. Abel arbeitete dann in traditionsreichen Unternehmen, die es heute gar nicht mehr gibt oder die zumindest die Produktion in Berlin eingestellt haben, nachdem in den 1990er Jahren die Berlinförderung im Westteil der Stadt auslief: Bosch-Siemens-Hausgeräte (BSH), die Volta-Werke und Fritz Werner. Die Gebäude des Werkzeugmaschinenbauers Fritz Werner in Marienfelde übernahm Mercedes für die Motorenfertigung; an der Stelle der Volta-Werke in Reinickendorf steht jetzt ein Obi-Markt. Und BSH baut zwar keine Waschmaschinen mehr in Spandau, doch der Entwicklungsbereich für die Wäschesparte ist hier geblieben. Immerhin.
"Die IG Metall vom Betrieb her denken"
Klaus Abel, Jahrgang 1958, hat Wohl und Wehe der Industrie als Arbeiter miterlebt und als Gewerkschafter mitzugestalten versucht, in den vergangenen vier Jahren als Chef der Berliner IG Metall. Diesen Posten gibt er nun auf, um in der Frankfurter Zentrale direkt für den IG Metall-Vorsitzenden Jörg Hofmann zu arbeiten und die größte Gewerkschaft noch stärker mit den Belegschaften zu verknüpfen. „Wir wollen die IG Metall vom Betrieb her denken“, sagt Abel. Das hat er in Berlin gemacht. Was hier passiert in Sachen Transformation und Digitalisierung könne als „Labor für Deutschland“ taugen. Das betrifft die Bildungsarbeit der IG Metall, die Verteilung von Ressourcen, Beratung und Strategieentwicklung. Im Gewerkschaftsdeutsch heißt das betriebs- und handlungsorientierte Bildungsarbeit. „Ich bin neugierig genug, um mit 60 Jahren noch etwas Neues zu machen“, sagt Abel.
20 Jahre gearbeitet, dann studiert
Als Fritz Werner 1996 in die Insolvenz ging, waren 400 Arbeitnehmer inklusive Betriebsrat Abel betroffen. Der begann dann – auch mit Unterstützung der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung – ein Jura-Studium an der Humboldt-Uni. „Das war eine schöne Zeit, als 38-Jähriger unter den jungen Leute“, erinnert sich Abel. Er gab Gas. „Wenn man 20 Jahre gearbeitet hat, geht man fokussiert an so ein Studium ran.“ Nach vier Jahren hatte er das erste Staatsexamen – und begann in der Berliner IG Metall als Leiter der Rechtsabteilung. Arbeit gab es reichlich. Große Industriebetriebe wie O&K in Spandau oder das Werk für Fernsehelektronik in Köpenick wurden geschlossen, der Niedergang des verarbeitenden Gewerbes schien kaum zu stoppen.
Im Osten dauert die Woche 3,5 Stunden länger
2002 war dann für die West-Berliner Metall- und Elektroindustrie ein historisches Datum: Es gab erstmals einen Streik, um Arbeiter mit Angestellten gleich zu stellen. Ein Jahr später, im Sommer 2003, folgte der Arbeitskampf um die Arbeitszeitverkürzung in Ostdeutschland inklusive Ost-Berlins. Die IG Metall verlor das erste Mal seit Jahrzehnten wieder einen Tarifkonflikt – und sie bemüht sich bis heute erfolglos, die 38,5-Stunden-Woche im Osten zu verkürzen und schrittweise an das Niveau im Westen zu führen; dort liegt die tarifliche Arbeitszeit seit mehr als 20 Jahren bei 35 Stunden. „Wir leben vom Vertrauen der Leute“, sagt Abel. Nicht wenige Metaller im Osten fühlten sich „abgehängt“ und erwarteten eine Angleichung der Arbeitszeit. Doch die IG Metall hat schlicht zu wenige Mitglieder in den ostdeutschen Betrieben, mit denen per Streik die Arbeitgeber zum Nachgeben bei der Arbeitszeit bewegt werden könnten.
Masterplan Industrie ist zehn Jahre alt
Die Gewerkschaft ist vorrangig eine Institution der alten Bundesländer, wie auch ein Blick in die Mitgliederstatistik der Berliner IG Metall zeigt: Rund zwei Drittel der 35 000 Gewerkschafter arbeiten in einem Unternehmen imWestteil. Direkt nach der Wende hatte die IG Metall 100 000 Mitglieder in der Stadt, dann ging es 20 Jahre bergab, und inzwischen freut sich Abel, eine zuletzt wieder stetig steigende Mitgliederzahl seiner Nachfolgerin Birgit Dietze übergeben zu können. Das Engagement der IG Metall für die Industriestadt hat sich ausgezahlt. „Berlin in Plus“ hieß vor zehn Jahren der Slogan, mit dem Gewerkschaften, IHK und Unternehmensverbände für eine aktive Industriepolitik trommelten.
Mit dem damaligen Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) entwickelte man einen „Masterplan Industrie“, der vor einigen Monaten unter der Federführung von Wolfs Nachfolgerin Ramona Pop (Grüne) überarbeitet wurde.„Jetzt kommt es darauf an, ob die Maßnahmen und Projekte auch nachgehalten werden“, sagt Abel. „Wir müssen die bestehenden Arbeitsplätze mitnehmen in der digitalen Transformation“, und dazu gehöre wiederum, „Schulen und Universitäten weiterbildungsfähig zu machen“. Wie zum Beispiel Osram. Das Unternehmen baut keine Leuchten mehr in seinem Spandauer Werk, sondern Sensortechnik für autonomes Fahren. Bei Osram hat man einen Transformationstopf eingerichtet, mit dessen Mitteln die Mitarbeiter weiterqualifiziert werden.
Chancen der Digitalisierung
„In den vergangenen Jahrzehnten ist die Industrie aus den Großstädten abgewandert“, heißt es in einer kürzlich vorgelegten Studie des DIW. „Durch die Digitalisierung könnte sich das nun ändern, auch in Berlin.“ Tatsächlich ist hier die Zahl der Industriebeschäftigten zuletzt leicht auf 117 000 gestiegen. Auch deshalb, weil in Großunternehmen wie Mercedes in Marienfelde und BMW n Spandau dreistellige Millionenbeträge investiert wurden. In Marienfelde werden ausschließlich Verbrennungsmotoren für Mercedes-Pkw gebaut. Aber wie lange noch? Und was kommt danach? Das ist auch die Frage, der Abel von Januar an in seinem neuen Job in der Gewerkschaftszentrale nachgeht. Ein Drittel der 2,3 Millionen IG Metall-Mitglieder arbeitet in der Autoindustrie. Abel soll Ideen und Konzepte entwickeln, wie es in diesem Wirtschaftszweig weitergeht. Die Autoindustrie ist die Schlüsselbranche der deutschen Wirtschaft – und der IG Metall.
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