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Ein großes Auto ist eine schöne Sache. Das finden nicht nur kleine Jungs, sondern auch grüne Ministerpräsidenten. Vor gut zwei Jahren brachte Mercedes-Forschungsvorstand Thomas Weber (links im Bild), ein neues Modell der S-Klasse auf dem Stuttgarter Schlossplatz vorbei. Und Winfried Kretschmann hatte Spaß mit dem Komfort in seinem neuen Dienstwagen.
© picture alliance / dpa

Grün-schwarze Koalition in Stuttgart: Ein Herz für die Wirtschaft

Baden-Württembergs Arbeitgeber sind angetan von den Grünen – das kann auf die Bundestagswahl 2017 ausstrahlen.

Man kennt sich, man schätzt sich, man hilft sich. Als die baden- württembergische SPD eine Bundesratsinitiative vorbereitete, um die Finanzierung der Krankenversicherung wieder gleichmäßig auf Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu verteilen, war das dem Koalitionspartner nicht geheuer. Also überlegten die Grünen, wie sie das Projekt der Sozis torpedieren konnten. Die Grünen wandten sich an die Arbeitgeber: Was würde die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung die Unternehmen im Ländle wohl kosten? Die Antwort kam prompt: 700 Millionen Euro im Jahr. Viel zu viel, meinte Ministerpräsident Winfried Kretschmann und stoppte den Plan.

Stefan Wolf ist Vorstandsvorsitzender des Autozulieferers Elring Klinger, der fast 8000 Personen beschäftigt und seinen Sitz in Baden-Württemberg hat. Im Ehrenamt führt Wolf den Arbeitgeberverband Südwestmetall; das ist einer der wichtigsten Verbände hierzulande, weil Südwestmetall in der Regel die Tarif-Pilotabschlüsse mit der IG Metall fabriziert. Wolf plädiert in diesen Tagen mit Verve für eine grün-schwarze Landesregierung. „Ideal“ findet der Unternehmer und Verbandschef die neue Koalition unter der Führung eines Grünen.

Kretschmann wollte einst weniger Autos

Eine erstaunliche Einschätzung eines Industrievertreters aus dem wichtigsten Industrieland der Republik. Wenn diese Meinung Schule macht, dann ist auch eine schwarz-grüne Bundesregierung möglich; oder eine schwarz-grün-gelbe. Bislang war das für viele Wirtschaftsvertreter, zumal aus der Industrie, eine Horrorvision. Der Partei der Friedens-, Klima- und Großtrappenschützer trauen die Herren aus dem Maschinenbau und der Autoindustrie nicht über den Weg. Mit Kretschmann hat sich das verändert.

Als der vor ein paar Jahren seine erste Amtszeit als Ministerpräsident begann, grummelte er über die Auswüchse der automobilen Gesellschaft: Weniger Autos wären eigentlich besser für die Umwelt und die Menschen überhaupt. Solche Aussagen sind vom Landesvater, der als Lehramtsstudent einst auf sozialistischen Pfaden unterwegs weg, nicht mehr zu hören. Denn der Verkauf – und damit die Produktion – von möglichst vielen Autos ist entscheidend für den Lebensstandard in Baden-Württemberg. Und für die Höhe der Steuereinnahmen und damit auch den Spielraum der Politik. Der Anteil der Industrie an der gesamten Wertschöpfung der Wirtschaft liegt in Baden- Württemberg mit 31,5 Prozent deutlich über dem Bundesdurchschnitt (22 Prozent). „In unserer Industrie arbeiten mehr als 925 000 Menschen, die pro Jahr rund 50 Milliarden Euro verdienen“, rechnet Metallarbeitgeberchef Wolf vor. Kretschmann hat das verstanden.

In der Industrie gibt große Vorbehalte gegen die Grünen

Eine grüne Transformation der Wirtschaft, etwa durch eine Forcierung der Energiewende inklusive baldigem Ausstieg aus der Kohleverstromung, auch um den Preis höherer Strompreise, könnte lebensgefährlich sein für Teile der Industrie. „Im Zweifel springt der für uns ein“, heißt es in einem Arbeitgeberverband über Kretschmann. Und das nicht nur bei der Krankenkassenfinanzierung.

Kretschmann ist Kretschmann und nicht Anton Hofreiter, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag. Auf Bundesebene sind die Vorbehalte gegen die Grünen in der Wirtschaft zwar kleiner geworden, aber keinesfalls verschwunden. Das wurde deutlich bei der Entstehung des Bündnisses „Zukunft der Industrie“, das von den Chefs des Bundesverbandes der Industrie und der IG Metall mit Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel erfunden wurde. Bei der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände gab es Vorbehalte: Der SPD-Vorsitzende Gabriel könne vermutlich profitieren und ein erfolgreiches Bündnis im Wahljahr 2017 für sich nutzen. Zur entgegengesetzten Schlussfolgerung kamen Industrievertreter: Eine starke SPD sei wichtig, damit es nach der Bundestagswahl nicht zu einer schwarz-grünen Regierung komme; ein Wahlerfolg Gabriels also ein willkommener Nebeneffekt des Bündnisses für Industrie.

Kretschmann schlägt sich auf die Seite der Arbeitgeber

Mehr als ein Dutzend Verbände und Gewerkschaften beteiligen sich inzwischen an dem Bündnis, das sich der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und der Sicherheit der zumeist gut bezahlten Industriearbeitsplätze verschrieben hat. Industriepolitik, für die Grünen ein Fremdwort, ist für die Bündnispartner eine Selbstverständlichkeit. Dazu gehören beispielsweise die steuerliche Forschungsförderung, staatliche Anreize zum Anschieben der Elektromobilität und überhaupt die enge Zusammenarbeit von Sozialpartnern und Politik bei der Digitalisierung der Wirtschaft. Nicht zuletzt die Berücksichtigung von Belangen der abhängig Beschäftigten. Auch das ist nicht gerade eine Domäne der bürgerlichen Grünen. „Mit Arbeitnehmerthemen haben die nie viel am Hut gehabt“, heißt es bei Gewerkschaftern in Hessen, wo es seit gut zwei Jahren eine schwarz-grüne Landesregierung gibt. „Die wollen, aber können nicht“, sagt eine Gewerkschafterin über die Bemühungen der Grünen, mit den Arbeitnehmervertretern ins Gespräch zu kommen. Es fehle schlicht an Kontakten und Netzwerken.

Den hessischen Grünen um Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir erging es kürzlich wie so oft den kleineren Koalitionspartnern – sie verloren bei den Kommunalwahlen rund sieben Prozent. Mit minus zwölf Prozent erwischte es die baden-württembergische CDU noch deutlich stärker. Auch deshalb, weil viele Konservative und Wirtschaftsleute Kretschmann als Ministerpräsidenten behalten wollten und deshalb grün wählten.

Beim Bildungsurlaub wurde die SPD ausgebremst

Die Grünen hatten in der vergangenen Legislatur manches besser gemacht als die Dauer-Regierungspartei CDU in den Jahren zuvor: Die Mittel für den Straßenbau wurden aufgestockt und priorisiert; die Bildungs- und vor allem die Hochschulpolitik wird in der baden-württembergischen Wirtschaft gelobt. Und wenn die SPD mal wieder zu nah an die Gewerkschaften zu rücken versuchte, dann war auf Kretschmann Verlass.

Zum Beispiel beim Thema Bildungsurlaub. Die SPD setzte zwar ein Gesetz durch, das den Anspruch der Arbeitnehmer regelt. Die Grünen jedoch entschärften das Ganze auf Bitten der Wirtschaft: In kleinen Betrieben mit weniger als neun Beschäftigten greift das Gesetz nicht und überhaupt sollen maximal zehn Prozent der Belegschaft davon Gebrauch machen dürfen. „Uns hat die SPD wehgetan, die Grünen haben uns geholfen“, sagt ein Arbeitgeber aus Stuttgart im Rückblick auf die vergangene Legislatur. Und freut sich auf weitere Jahre mit Kretschmann.

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