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Warnung an alle. Die humanitäre Katastrophe in Griechenland wird sich noch verstärken, meint Ökonom Marcel Fratzscher.
© dpa

Gastkommentar von DIW-Chef Marcel Fratzscher: "Ein erster Schritt für Griechenland zurück in die Normalität"

Die Bundesregierung verdient Respekt für die Einigung im Fall Griechenland. Doch ein Ende ist das noch nicht: Die humanitäre Katastrophe wird sich vorerst noch verschlimmern.

Endlich gibt es eine Einigung zwischen Griechenland und der Europäischen Union. Sie ist ein gutes Resultat für Europa und für Deutschland – sie ist großzügig für Griechenland,  gleichzeitig hat die Bundesregierung die meisten ihrer Forderungen durchsetzen können. Die Einigung – wenn sie denn nun auch in allen Mitgliedsländern und Parlamenten Zustimmung findet – ist jedoch lediglich ein erster Schritt in Richtung Stabilisierung Griechenlands.

Drei wichtige Fragen müssen nun dringend beantwortet werden, um den Erfolg eines dritten Hilfsprogramms sicherzustellen und um nicht wie die ersten beiden Programme zu enden.

Das Ergebnis ist wichtig für Deutschlands Ruf in der Welt

Der Bundesregierung, allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble, gilt es, Respekt zu zollen. Sie haben Größe und Weitsicht bewiesen, weil beiden bewusst ist, dass die Integrität Europas gerade für Deutschland enorm wichtig ist. Sie haben sich von der Hetze gegen Griechenland in einigen deutschen Medien nicht beeindrucken lassen und sich stattdessen allein der Aufgabe gewidmet, wie die wirtschaftlichen und politischen Interessen sowohl Deutschlands als auch Griechenlands gewahrt werden können. Ein solch umsichtiges Handeln wird in den kommenden Jahren bedeutsam für die Glaubwürdigkeit und Reputation Deutschlands in Europa und der Welt sein. Es zeigt, dass Deutschland auf dem Weg ist, sich von einem unwilligen Hegemon zu einem Land zu entwickeln, das Verantwortung für ganz Europa übernimmt.

Die ersten Hilfsprogramme waren nur begrenzt erfolgreich

Es wäre jedoch verfrüht, die Einigung als einen Erfolg anzusehen.

Marcel Fratzscher ist Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.
Marcel Fratzscher ist Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.
© picture alliance / dpa

Die Einigung auf ein drittes Hilfsprogramm ist lediglich der erste Schritt, die wirtschaftliche Abwärtsspirale Griechenlands zu stoppen. Die griechische Wirtschaft wird dieses Jahr weiter schrumpfen, die Arbeitslosigkeit steigen und die humanitäre Katastrophe sich vertiefen. Wir sollten nicht vergessen, dass die ersten beiden Hilfsprogramme nur sehr beschränkt erfolgreich waren. Ein drittes Hilfsprogramm wird nur dann erfolgreicher sein, wenn es drei zentrale Herausforderungen meistert.

Die erste Herausforderung ist, wie eine Staatsinsolvenz kurzfristig vermieden und die Finanzlage des griechischen Staates langfristig auf eine nachhaltige Basis gestellt werden kann. Für diese Aufgabe haben Griechenland und Europa weniger als eine Woche Zeit. Denn wenn die griechische Regierung ihren Verpflichtungen gegenüber der Europäischen Zentralbank (EZB) am 20. Juli nicht nachkommt, dann wird die EZB gezwungen sein, die Kredite an griechische Banken zu kürzen. Damit würden die griechische Wirtschaft und der griechische Staat in eine weitere Abwärtsspirale gestürzt. Eine Möglichkeit, dies zu vermeiden, sind Garantien durch den ESM an die EZB, ähnlich wie im Zuge des griechischen Schuldenschnitts im Jahr 2012.

Eine Umschuldung wird Deutschland nochmals Geld kosten

Zudem sind die Annahmen des dritten Programms bezüglich des Primärüberschusses völlig unrealistisch.

Niemand kann ernsthaft glauben, dass der griechische Staat bei einer schrumpfenden Wirtschaft von wohl mehr als drei Prozent in diesem Jahr überhaupt einen Überschuss (vor dem Bedienen der Schulden) erzielen wird. Die Frage der Schuldentragfähigkeit bleibt ebenfalls offen. Auch wenn dies nicht die dringendste Herausforderung ist, so muss früher oder später eine Umschuldung der griechischen Staatsschulden stattfinden, was auch Deutschland nochmals Geld kosten wird.

Die zweite Herausforderung ist, wie das griechische Bankensystem wieder gesund aufgestellt werden kann. Die massive Kapitalflucht, der Verfall der Vermögenswerte und ein steigender Anteil fauler Kredite bedeuten, dass griechische Banken zurzeit nicht in der Lage sind, ihrer Funktion der Kreditvergabe nachkommen zu können. Ein Teil der Gelder des dritten Programms werden für die Banken benötigt, zusammen mit einer Neustrukturierung des Bankensystems.

Auszahlungen müssen an Reformen gekoppelt werden

Marcel Fratzscher ist Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.
Marcel Fratzscher ist Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.
© picture alliance / dpa

Die dritte und wohl schwierigste Herausforderung für Griechenland ist, wie das Land wieder Wachstum generieren kann. Die Reformen in den zwei wichtigsten Bereichen - grundlegende Änderungen der staatlichen Institutionen sowie der Wirtschaftsstruktur des Landes - sind in den vergangenen fünf Jahren nur schleppend vorangekommen. Die Verantwortung dafür trägt nicht die Troika, sondern alle drei griechischen Regierungen seit 2010. Es wird deshalb keine Alternative zu einer starken Konditionalität und Koppelung künftiger Auszahlungen an die Umsetzung spezifischer Reformen geben. Der Streit zwischen der griechischen Regierung und seinen Gläubigern über spezifischere Reformen wird sich also auch die nächsten drei Jahre fortsetzen. Gerade dafür braucht Europa den Internationalen Währungsfonds (IWF), die einzige Institution, die ausreichend Erfahrung und Distanz mitbringt.

Das Einrichten von Sonderwirtschaftszonen wäre ein Anfang

Europa muss zudem die Aufgabe lösen, wie in Griechenland ein Wachstumsimpuls entstehen kann. Nur wenn Unternehmen wieder investieren, kann die Arbeitslosigkeit fallen, können Einkommen steigen, Banken gesunden und der Staat wieder leistungsfähig werden. Eine Möglichkeit, Griechenland einen solchen Wachstumsimpuls zu geben, wäre die Schaffung von Sonderwirtschaftszonen, in denen Unternehmen viel freier und unabhängiger von der ineffizienten und überbordenden griechischen Bürokratie investieren könnten.

Die Einigung mit der griechischen Regierung ist nicht mehr als ein erster Schritt in Richtung Stabilisierung Griechenlands. Es mag vielleicht sogar der einfachste Schritt gewesen sein. Denn nun muss es an die Umsetzung des Programms gehen. Und die drei großen Herausforderungen müssen von der europäischen und der griechischen Politik in den kommenden Tagen und Wochen entschieden angegangen werden, damit ein drittes Programm eine wirkliche Chance hat, dieses Mal erfolgreich zu sein.

Marcel Fratzscher

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