Einigung im Schuldenstreit mit Griechenland: Ein Land steht unter Aufsicht
Der griechische Premier Alexis Tsipras muss sich im Gegenzug für ein mögliches drittes Hilfsprogramm zu Kontrollen verpflichten, die alles bisher Bekannte in den Schatten stellen. Ob die Rechnung der Geldgeber aufgeht, bleibt offen. Ein Kommentar.
Nun soll Athen also weitere Hilfsmilliarden der EU-Partner bekommen. Am Ende einer langen Gipfelnacht steht ein Ergebnis, das noch lange nicht den Endpunkt des Griechenland-Dramas markiert: Der vorübergehende „Grexit“, den Finanzminister Wolfgang Schäuble zuvor noch als Drohkulisse aufgebaut hatte, findet nicht statt. Statt dessen gibt es neues Geld – im Gegenzug zu noch härteren Auflagen.
Griechenland soll in den nächsten drei Jahren 82 bis 86 Milliarden Euro erhalten. Die Summe für das dritte Hilfspaket ist unter anderem auch deshalb noch einmal so gigantisch, weil der Rekapitalisierungsbedarf der griechischen Banken in den vergangenen sechs Monaten mit der Syriza-Regierung erheblich angewachsen ist.
Um das Geld zu erhalten, muss Griechenland nun zahlreiche Auflagen erfüllen. Bevor überhaupt der Bundestag das Mandat für die Aufnahme von Verhandlungen über das dritte Hilfspaket erteilen kann, muss die Abgeordnetenkammer in Athen bis zum kommenden Mittwoch mehrere Reformgesetze erlassen – sozusagen als vertrauensbildende Maßnahme. Dazu zählen Renten- und Mehrwertsteuerreformen. Auch eine Justizreform muss verabschiedet werden, der „Code of Civil Procedure“, wie Kanzlerin Angela Merkel bei ihrer Pressekonferenz zum Abschluss des Gipfels gewohnt detaillistisch ausführte.
Tsipras musste einer Beschneidung der griechischen Souveränität zustimmen
Die technokratische Sprache der Kanzlerin verdeckt, dass dieses Griechenland-Endspiel – das wievielte überhaupt? – vor allem einen Verlierer hat: Es ist der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras.
Um an die neuen Hilfsmilliarden zu kommen, hat er sich zu einem Eingriff in die Souveränität seines Landes bereit erklärt, der weit über alles bisher Dagewesene hinausgeht. Zentrale Gesetzgebungsvorhaben der griechischen Regierung müssen künftig den Geldgeber-Institutionen vorgelegt werden, bevor sie überhaupt ins Parlament eingebracht werden.
Es ist, als ob künftig ein komplettes Land unter Aufsicht gestellt würde. Und, ach ja, die Gläubiger-Institutionen sollen wieder zu ihrer „normalen Arbeitsweise“ zurückkehren, wie Merkel scheinbar harmlos mitteilte. Anders gesagt: Die „Troika“ wird ihre Buchprüfung künftig wieder in Athen vornehmen.
Den Märtyrer-Bonus hat Tsipras nicht verdient
Das alles macht aus dem Deal von Brüssel noch keine Vereinbarung, die Griechenland ähnlich fesseln würde wie der Vertrag von Versailles Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg, wie es der französische Wirtschaftsminister Emmanuel Macron kürzlich gemutmaßt hat.
Den Märtyrer-Bonus hat Tsipras, der erst nur halbherzig mit den Geldgebern verhandelte, dann ein Referendum ausrief und demnächst zwischen allen politischen Fronten zerrieben werden könnte, wahrlich nicht verdient.
Aber angesichts der harten Auflagen ist fraglich, ob die allseits ersehnte Modernisierung Griechenlands tatsächlich gelingt. Die gesamte politische Klasse Griechenlands – und nicht nur das regierende Syriza-Bündnis – müsste schon eine 180-Grad-Wende hinlegen, um jene Reformen umzusetzen, die zwar seit fünfeinhalb Jahren immer wieder angekündigt, aber nie umgesetzt wurden. Es bleibt offen, ob Merkels Griechenland-Plan aufgeht – mit welcher Athener Regierung auch immer.