Griechenland-Krise: Deutschland gegen Frankreich
Die Verhandlungen in Brüssel verlaufen so, dass die deutsch-französische Zusammenarbeit und Europas Zukunft auf dem Spiel stehen. Es geht längst nicht mehr nur um Griechenland.
Die Nacht zuvor in der Eurogruppe der Finanzminister ist so desaströs verlaufen, dass Angela Merkel und François Hollande schon am Morgen zum Hörer greifen müssen. Ein französischer EU-Diplomat bestätigt am Sonntagmittag, dass sein Präsident und die Kanzlerin länger miteinander gesprochen haben, damit es - wenn sie sich am Nachmittag in Brüssel treffen, doch noch eine Lösung für Griechenland in der Eurozone geben kann. "Wir können jetzt hoffen, dass Deutschland und Frankreich auf höchster Ebene einen Kompromiss erzielen werden", berichtet der Pariser Regierungsvertreter, "dem dann alle 19 Staats- und Regierungschefs folgen können."
Am Sonntagabend sieht es danach aber gar nicht aus. Unversöhnlich stehen sich zwei Lager gegenüber - angeführt von Deutschland und Frankreich. Paris will die Griechen auf jeden Fall im Euro halten und hatte sie bei der Arbeit an ihren Spar- und Reformvorschlägen auf Beamtenebene unterstützt - entsprechend würdigte Hollande die Pläne schon am Freitag als "seriös" und "glaubwürdig". Ein "Grexit", so fürchtet er, würde ihm nicht nur die Gefolgschaft seiner sozialistischen Parteilinken kosten, sondern auch den rechten Front National weiter beflügeln und Europa insgesamt schaden.
Griechische Vermögenswerte sollen an einen Fonds übertragen werden
Umso entsetzter ist die französische Seite gewesen, als am Rande der Sitzung am Samstag ein Papier aus dem Bundesfinanzministerium das Licht der Öffentlichkeit erblickte, in dem die Athener Vorschläge "nicht als Basis für ein komplett neues Hilfsprogramm" angesehen werden. Vielmehr sehen Wolfgang Schäubles Vorschläge nur noch zwei Lösungsmöglichkeiten. Sollten die Verhandlungen über ein neues Hilfspaket mit einem Umfang von knapp 80 Milliarden Euro scheitern, empfiehlt Schäubles Truppe den Griechen eine "Auszeit vom Euro" für mindestens fünf Jahre. In dieser Zeit könne es auch einen Schuldenschnitt geben, der nach Berliner Lesart der EU-Verträge für Euroländer verboten, für Nicht-Mitglieder im sogenannten Pariser Club jedoch möglich ist.
Konkret verhandelt wird über Schäubles erste Option, die neue Kredite an eine Überwachung knüpft, gegen die die frühere Troika von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds wie der Betreuer einer Jugendfreizeit wirkt. Nicht nur soll die Athener Regierung schon bis Mittwoch "signifikant" erweiterte Vorschläge vom heimischen Parlament absegnen lassen. Sie soll laut dem Papier, das in Klammern gesetzt am Sonntagabend auch Eingang in die Gespräche der Staats- und Regierungschefs gefunden hat, eine milliardenschwere Garantie bieten, dass zugesagte Privatisierungen auch umgesetzt werden - staatliche Vermögenswerte im Wert von 50 Milliarden Euro sollen an einen Fonds in Luxemburg übertragen werden, die dann Stück für Stück verkauft würden, um griechische Schulden abzubauen.
Da bleibt selbst einem Vertreter der Deutschen Bank die Spucke weg: Aus dem Plan spreche jenes, so Nicolaus Heinen gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, "paternalistische Verständnis der Europapolitik", mit dem Deutschland schon länger für böses Blut sorge. Ein Beobachter der Sitzung konstatiert: "Die Hürden für Griechenland wurden im Laufe des Abends immer höher gelegt, so das der Eindruck entstehen könnte, dass manche Länder einfach keine Einigung wollen."
Deutschland ist im Skeptiker-Lager nicht allein, das auch in sich nicht geschlossen ist. "Manchen geht es um die Geldsumme, manchen um das Prinzip, allen um das mangelnde Vertrauen zu Athen", berichtet ein EU-Diplomat. Aus der finnischen Delegation ist zu hören, dass die rechtspopulistischen "Wahren Finnen", in Helsinki mit an der Regierung, im Falle weiterer Kredite für Griechenland die Koalition platzen lassen wollen.
Die Bundesregierung aber führt das Lager an. Fassungslos stehen ausländische Journalisten vor Angehörigen der deutschen Delegation, die "Wir sind für beide Optionen offen" sagen und damit auch den "Grexit" meinen, der immer wahrscheinlicher zu werden scheint, weil wiederum die griechische Delegation die immer härtere Überwachung und die immer neuen Reformforderungen als "völlig inakzeptabel" bezeichnet.
Deutschland am Pranger
Deutschland steht deshalb am Pranger. Nicht aus Griechenland, sondern vor allem aus Frankreich, Italien und Luxemburg. "Die Völker Europas verstehen das ständige deutsche Nachlegen nicht", erklärt der Parteichef der französischen Sozialisten, Jean-Christophe Cambadélis. "Einen europäischen Partner zu demütigen, obwohl Griechenland fast alles aufgegeben hat, ist unvorstellbar", wird Italiens Premier Matteo Renzi von der Zeitung "Il Messagero" zitiert: "Genug ist genug."
Für den Luxemburger Außenminister und EU-Veteranen Jean Asselborn steht daher nicht weniger als die deutsch-französische Zusammenarbeit und die Zukunft Europas insgesamt auf dem Spiel. "Wenn Deutschland es auf einen Grexit anlegt, provoziert es einen tiefgreifenden Konflikt mit Frankreich", sagt er der "Süddeutschen Zeitung". Dies "wäre eine Katastrophe für Europa". Der griechische Premier Alexis Tsipras hat vor dem Gipfel indirekt seinen Vorwurf wiederholt, dass die Bundesregierung blockiere: "Wir können eine Einigung erzielen, wenn es wirklich alle wollen."
Merkel und Hollande haben sich nicht nur vor Beginn des Krisengipfels zu einem Gespräch getroffen. Sie treffen im Laufe es Abends, da die große Runde immer wieder unterbrochen wird, zusammen auch EU-Ratspräsident Donald Tusk und Tsipras im kleinen Kreis. "Wenn die beiden nicht kräftig dazwischenhauen, endet dieser Tag in einem Crash für Europa", prophezeit ein EU-Diplomat. In der Bundesregierung wird das gelassener gesehen: "Deutschland und Frankreich gehen oft mit unterschiedlichen Positionen in Sitzungen hinein", sagt ein EU-Diplomat, "und raufen sich am Ende doch zusammen."
Die Kosten sind hoch - und steigen
In diesem Fall aber sind die Kosten für eine Lösung in jedem Fall extrem hoch: Angela Merkel muss sich zwischen den Positionen Hollandes und Schäubles entscheiden - folgt sie dem Franzosen, könnte der innenpolitische Preis sehr hoch sein, den sie zu zahlen hätte. Folgt sie Schäuble, wäre der europapolitische Preis sehr hoch. "Das ist nicht irgendein Europäischer Rat", sagt EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, "die Staats- und Regierungschefs entscheiden heute über die Zukunft Europas." Sein SPD-Parteichef Sigmar Gabriel, am Sonntag ebenfalls in Brüssel, fordert: "Europa muss zusammenbleiben."
Merkel hat beim Betreten des Brüsseler Ratsgebäudes angekündigt, dass sie "hart verhandeln" und "nicht um jeden Preis" eine Einigung anstrebe. Hollande verkündet das glatte Gegenteil: "Frankreich wird alles dafür tun, dass es zu einer Einigung kommt." Sitzungsbeobachter bezeichnen die Gesprächsatmosphäre als "rau". Einzig die Geste seines Finanzministers Michel Sapin kündet davon, dass der Optimismus seines Diplomaten vom Mittag doch noch begründet sein könnte. Auf die Frage, ob die deutsch-französischen Beziehungen in Gefahr sind, reckt er den Daumen der rechten Hand in die Höhe und sagt: "Zwischen uns ist alles gut."
Die Ereignisse des Sonntags im Liveticker finden Sie hier.
Welche sozialen Folgen hat die Griechenland-Krise? Ein Video aus einem Krankenhaus in Athen finden Sie hier.