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Mit der Ferkelkastration ohne Betäubung soll Schluss sein.
© Carmen Jaspersen/dpa

Tierschutz: Dürfen Ferkel doch länger ohne Betäubung kastriert werden?

Eigentlich sollte mit den Eingriffen unter Schmerzen ab 2019 Schluss sein. Der Bundestag könnte am Donnerstag eine Verschiebung beschließen.

Von Laurin Meyer

Sie sind gerade einmal ein paar Tage alt, da wird es für männliche Ferkel richtig schmerzhaft. Schätzungsweise 16 Millionen Tiere werden in deutschen Zuchtbetrieben jedes Jahr kastriert. Für die Jungschweine bedeutet das Leid: Die Testikel werden nämlich ohne Betäubung herausgeschnitten, der Eingriff geschieht bei vollem Bewusstsein.

An diesem Donnerstag könnte der Bundestag die Verlängerung dieser umstrittenen Praxis beschließen. Laut Gesetz dürften Bauern Ferkel, die nicht älter als acht Tage sind, dann noch zwei weitere Jahre ohne Betäubung kastrieren. Dabei hatte der Bundestag eigentlich schon vor fünf Jahren beschlossen, die Kastration unter Schmerzen ab Januar 2019 verbieten zu wollen.

Der Grund für den Aufschub: Den Bauern kommt ein Verbot zu früh. Zwar stelle man ein langfristiges Verbot nicht infrage, heißt es vom Deutschen Bauernverband (DBV). Aber man wolle einen geregelten Ausstieg aus der betäubungslosen Kastration. „Dazu brauchen wir dringend die Fristverlängerung, um in diesem Zeitraum die Defizite bei den bisher bestehenden Verfahren zu lösen“, sagte DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken. So hätten Alternativen schlichtweg nicht zur Verfügung gestanden. „Hier sind wir im Dreieck zwischen Verordnungsgeber, Zulassungsbehörden und Marktpartnern nicht so weit gekommen, wie es wünschenswert gewesen wäre“, sagt Krüsken auf Anfrage.

Tierschützer werfen der Landwirtschaft und der Bundesregierung hingegen vor, geschlafen zu haben: „Die Agrarlobby nutzt ihre Verbindungen in die Koalitionsfraktionen, um auf den letzten Metern noch eine Frist zu verlängern, die sie fünf Jahre lang schlicht ausgesessen hat“, sagt Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes.

Ein Teil der SPD kritisiert den Aufschub offen

Und selbst in den Reihen des Regierungspartners SPD rumort es. Teile der Partei haben sogar die Sorge, dass eine Mehrheit für den Aufschub des Verbots womöglich gar nicht zustandekommen könnte. Einzelne Sozialdemokraten kritisieren das Vorhaben der Regierung offen, darunter Ute Vogt. „Es gibt keinen vernünftigen Grund, das Verbot weiter hinauszuzögern“, sagte die SPD-Bundestagsabgeordnete dem Tagesspiegel. Die Tierhalter hätten genügend Zeit gehabt, sich auf Alternativen umzustellen. „Es gibt praxisreife und tierschutzgerechte Methoden.“

Hoch im Kurs dabei: Die Betäubung der Ferkel mit dem Gas Isofluran. Das zuständige Bundesamt hat das Narkosemittel kürzlich zugelassen. Damit dürfen geschulte Landwirte die Betäubung der Ferkel selbst vornehmen. Die Methode ist jedoch nicht unumstritten, wie ein Blick in die Schweiz zeigt. Die Schweinebauern im Nachbarland setzen die Narkose mit dem Gas schon heute nahezu flächendeckend ein, nachdem dort die betäubungslose Kastration im Jahr 2009 verboten worden war.

Einer Studie der Universität Zürich aus 2016 zufolge werden rund 15 Prozent der Ferkel aber nur unzureichend betäubt. Nicht immer könnten Funktionalität und Wartung der Narkosegeräte sichergestellt werden. Auf Drängen der SPD soll die Fristverlängerung mit einem Maßnahmenpaket verbunden sein. Das sieht unter anderem Schulungen für Bauern vor, um Betäubungsmittel korrekt anwenden zu können.

Impfstoffe als Alternative

Dass die Ferkel überhaupt kastriert werden, liegt am Geschmack. Die Testikel der männlichen Jungtiere produzieren nämlich Hormone, die so genannten Ebergeruch hervorrufen. Und dieser kann ins Fleisch gelangen. Schätzungen von Schlachtbetrieben und Umweltverbänden zufolge ist das bei ein bis fünf Prozent der Schweine der Fall, die nicht kastriert worden sind.

Um diesen Ebergeruch zu verhindern, gibt es aber auch Alternativen abseits der chirurgischen Kastration, etwa durch Impfungen. Jungtiere bekommen hierbei zweimal einen Wirkstoff verabreicht – nach der Geburt und vier bis sechs Wochen vor dem Schlachten. Die Hersteller versprechen, dass die Stoffe bei korrekter Anwendung keinerlei Auswirkungen auf das Fleisch haben werden. Einer davon, die Firma Zoetis, hatte dem Bundeslandwirtschaftsministerium sogar angeboten, die Wirkstoffe zeitweise zu subventionieren. Eine Antwort habe das Unternehmen aber nicht erhalten.

Opposition macht Schlachtindustrie verantwortlich

Auch die Ebermast ist eine Alternative. Die Bauern lehnen die Verfahren aber ab. Zu kompliziert sei das Zusammenspiel von Züchter und Mäster, zudem haben die Schweinehalter Angst, dass der Handel ihnen das Fleisch nicht abnimmt.

Das ist absichtliche Verzögerungstaktik mit dem stillschweigenden Einverständnis der Bundesregierung und praktisch sämtlicher Parteien, außer den Grünen gelegentlich und der Linken noch gelegentlicher.

schreibt NutzerIn Dunkelreaktion

Die Opposition macht für diese Haltung die Schlachtbetriebe verantwortlich. „Die nun durchgepeitschte Entscheidung sichert einzig und allein die Profite der Schlachtindustrie“, sagt die Grünen- Politikerin Renate Künast. Ohne Kastration müsse das Fleisch nämlich auf Ebergeruch kontrolliert werden. Die Folge: ein möglicher Mehraufwand für die Schlachtbetriebe. „Der Bauernverband hat sich an die Seite der Schlachtindustrie gestellt und die heimischen Bauern dabei vergessen“, sagt Künast.

Der Aufschub des Verbots soll im Eiltempo kommen. Am Montag fand eine öffentliche Anhörung von Interessenvertretern und Sachverständigen statt. Am Dienstagmittag hat dann der Agrarausschuss in einer kurzfristig einberufenen Sondersitzung der Fristverlängerung zugestimmt, ehe sich Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) am Abend noch einmal mit Tierärzten sowie Vertretern aus Einzelhandel und der Fleischindustrie traf. Bekommt die Gesetzesänderung heute eine Mehrheit im Bundestag, müsste der Bundesrat Mitte Dezember noch zustimmen.

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