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Der Trend zur Zweitbrille. Mister-Spex-Gründer Dirk Graber setzt darauf, dass Kunden schneller ein neues Gestell kaufen.
© Mister Spex

Brillen online kaufen: Durchblick aus dem Netz

Noch dominieren Ketten wie Fielmann oder Apollo den Optiker-Markt. Brillen online kaufen wird immer mehr zum Trend - zum Beispiel beim Berliner Startup "Mister Spex" oder Brille24. Aber gefährdet fühlen sich die Ketten noch nicht - aus einem einfachen Grund.

Jedes Mal, wenn Dirk Graber mit seiner Frau einkaufen geht, muss er zu Fielmann, Apollo Optik oder einer anderen großen Optikerkette. Er bleibt nicht vor dem Schaufenster stehen, sondern geht in die Läden, betrachtet Brillengestelle, hört den Verkäufern zu, vergleicht die Preise. Jede Woche macht Graber das. Seine Frau, sagt er, sei schon etwas genervt davon. Die Verkäufer bei Fielmann oder Apollo Optik werden Graber für einen ganz normalen Kunden halten, schließlich trägt er selbst eine Brille, Typ randlos mit sportlichem Gestell. Was sie nicht wissen: Dirk Graber ist Geschäftsführer von Mister Spex, er ist der neue Konkurrent aus dem Netz.

Zuerst waren es Ketten wie Fielmann oder Apollo Optik, die kleinere Optikerbetriebe verdrängten. Heute steht Fielmann an der Spitze, im vergangenen Jahr hat das Unternehmen mit 831 Millionen Euro deutschlandweit den höchsten Umsatz erzielt, gefolgt von Apollo Optik mit 405 Millionen Euro. Aber seit ein paar Jahren etablieren sich im Internet Konkurrenten wie Netzoptiker, Brille24 oder eben Mister Spex. Als Mister Spex im April 2008 online ging, wurde Dirk Graber von der Optikerbranche belächelt. Brillen online kaufen? Das würde nicht funktionieren. Auch die Investoren zweifelten. Und selbst Grabers Mutter verstand nicht, warum ihr Sohn einen hochbezahlten Beraterjob an den Nagel hängte und sich selbstständig machte.

Inzwischen wird Grabers Mutter beruhigt sein. 2011 setzte Mister Spex 17 Millionen Euro mit Brillen, Sonnenbrillen und Kontaktlinsen um. Vier Jahre nach der Gründung macht das Berliner Unternehmen den zweithöchsten Umsatz aller deutschen Onlinehändler, Brille24 ist die Nummer eins. Schwarze Zahlen schreibt Mister Spex noch nicht. Jederzeit, heißt es, könne man in Richtung schwarze Null optimieren, doch man habe sich entschieden, zu wachsen: Derzeit arbeitet Mister Spex mit 260 lokalen Optikern zusammen, dieses Servicenetzwerk soll ausgebaut werden. Auch soll das Unternehmen noch internationaler werden. Mister Spex gibt es bereits in Frankreich, Spanien, Großbritannien und Schweden.

2011 lag der Umsatz der Augenoptikerbranche bei fünf Milliarden Euro, ein Plus von 2,5 Prozent im Vergleich zu 2010. Die Umsatzsteigerung ist seit Jahren stabil, der Onlinehandel in der Zahl nicht enthalten. 11,1 Millionen Brillenfassungen wurden verkauft, davon rund 1,2 Prozent online. Der Brillenmarkt ist lukrativ: Etwa die Hälfte aller Deutschen trägt Kontaktlinsen oder eine Brille. Im Durchschnitt kaufen Brillenträger alle drei Jahre ein neues Modell. Wenn es nach Dirk Graber geht, soll diese Zeit kürzer werden: „Mehr als 35 Prozent der Kunden, die bei uns eine Brille kaufen, kaufen in den folgenden zwölf Monaten bereits die zweite“, sagt Graber.

Die Brille ist zu einem Modeaccessoire geworden. Viele Menschen besitzen inzwischen nicht mehr nur eine Brille, sondern gleich mehrere. Auch Graber. Er hat immer zwei Brillen, die er abwechselnd trägt, jedes Jahr kommt eine neue hinzu. Die Branche profitiert auch noch von einer anderen Veränderung: In einer alternden Gesellschaft tragen immer mehr Menschen immer länger eine Brille. Der Großteil der Mister-Spex-Kunden ist allerdings zwischen 20 und 40 Jahre alt. „Die sind modebewusst und internetaffin“, sagt Graber. Der Anteil von Männern und Frauen ist relativ ausgeglichen.

Die Spanne zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis ist immens.

Vor kurzem hat Mister Spex sein Logistikzentrum erweitert. Bis zu 4000 Pakete am Tag werden aus einem Hinterhof in Prenzlauer Berg verschickt. Kunden können sich bis zu vier Brillengestelle kostenfrei nach Hause liefern lassen und schicken zurück, was ihnen nicht gefällt. Das Konzept ähnelt dem anderer Online-Anbieter wie etwa Zalando. „Brillen eignen sich für so einen Prozess besser als Klamotten, die muss man reinigen, bügeln und neu verpacken“, sagt Graber. Die Gestelle, die zurückgeschickt werden, werden desinfiziert und poliert.

Wenn Dirk Graber durch die Lagerräume geht, grüßt er jeden Mitarbeiter mit Vornamen. Graber ist nicht schick, nicht hip, eher wirkt er unscheinbar. Zu Jeans trägt er Turnschuhe und Strickjacke, sein Friseur hat ihm einen Bürstenschnitt verpasst.

Graber hat in Leipzig studiert, in Berlin machte er zwei Praktika: bei Ebay und beim Klingeltonanbieter Jamba. Damals, 2003, steckte E-Commerce noch in den Kinderschuhen. Nach dem Studium zog Graber nach Berlin und arbeitete als Berater für Boston Consulting. Irgendwann beschloss er, sich selbstständig zu machen. Nur mit was? Schnell wird ihm klar, dass er E-Commerce machen will. Mit seinen Mitgründern und Investoren geht er verschiedene Branchen durch – sie bleiben bei der Brille hängen: Wettbewerb, Marge, all das erscheint interessant.

Die Spanne zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis ist immens. Ein Brillengestell Typ Eigenmarke, das für fünf bis 15 Euro billig produziert wird, verkaufen Optiker schon mal für 100 bis 150 Euro – ohne Gläser. 2010 mussten fünf Glashersteller – Rodenstock, Essilor, Zeiss, Rupp+Hubrach und Hoy Lens – 115 Millionen Euro Strafe zahlen, wegen unerlaubter Preisabsprachen.

Doch auch die Internet-Händler machen negative Schlagzeilen: Im August wurde die Kundendatenbank von Mister Spex gehackt, Bestell- und Adressdaten von 400 000 Kunden wurden kopiert. Konten- oder Kreditkartendaten seien aber nicht betroffen gewesen, hieß es. Brille24 und die 4 Care AG wurden abgemahnt, weil sie mit dem Slogan „Immer in erstklassiger Optiker-Qualität“ geworben hatten – was so nicht zutrifft.

Die Optiker-Qualität ist der Grund, weshalb sich große Optikerketten wie Fielmann oder Apollo Optik trotz Internetkonkurrenz sicher fühlen. „Brillen sind ein beratungsintensives Produkt, anders als Schuhe oder Kleidung“, sagt eine Sprecherin von Apollo Optik. Natürlich überlege man, ob nicht gerade die jungen Kunden zu Online-Händlern abwandern werden. „Aber gerade die kommen dann zu uns, weil die Brille nicht passt.“

Eine Brille von Mister Spex kann man erst aufsetzen, wenn sie geliefert worden ist. Welches Gestell einem am besten steht, kann man vorher in der 3D-Anprobe sehen. Der Onlinevertrieb sei die Zukunft, meint Graber. „Wie genau der letztlich aussehen wird, weiß noch niemand.“ Graber möchte die 3D-Anprobe weiter verbessern, etwa, indem sich eine Referenzgröße festlegen lässt und Brille und Gesicht am Bildschirm noch realer harmonieren.

Jana Gioia Baurmann

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