Drohende Fahrverbote für Diesel-Pkw: Druck auf Dobrindt
Älteren Diesel-Pkw drohen Fahrverbote, eine technische Umrüstung wäre wohl möglich – doch der Bundesverkehrsminister bremst
Die Zeit drängt. Schon in gut sieben Monaten sollen ältere Dieselfahrzeuge aus der City von Stuttgart und bis zu 80 weiteren Städten verbannt werden. Zu hoch ist dort die Belastung der Luft mit Schadstoffen wie NOx oder Feinstaub. Um von Gerichten oder der EU- Kommission verfügte Diesel-Fahrverbote ab Januar 2018 zu vermeiden, suchen Politik und Autohersteller derzeit händeringend nach Alternativen. Oder besser: Teile der Politik und Teile der Autoindustrie suchen ernsthaft danach.
Zum Beispiel nach Möglichkeiten, wie man Diesel mit der älteren Euro-5-Norm so umrüsten kann, dass ihre Schadstoffemissionen annähernd dem Euro-6-Niveau entsprechen. Weil der Bundesverkehrsminister eine Blaue Plakette ablehnt, die älteren Dieselwagen die City-Zufahrt verwehren würde, müssen Alternativen her – und zwar schnell. Betroffen von Umrüstungen wären 39 Prozent des Diesel-Pkw-Bestands in Deutschland – insgesamt 5,9 Millionen Fahrzeuge.
"Ohne Berlin können wir nicht weitermachen"
Doch nach einem ersten Treffen von Autoherstellern und der Landesregierung in Stuttgart in der vergangenen Woche sieht es nicht nach einer raschen Lösung aus. Vor allem Grüne und Umweltverbände erheben massive Vorwürfe gegen die Bundesregierung und die Industrie. Sie bremsten und böten bestenfalls Minimallösungen an, heißt es.
„Wir können ohne Berlin nicht weitermachen“, sagt der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) mit Blick auf Verkehrsminister Dobrindt (CSU). Was geht technisch? Wie viel kostet es? Wer bezahlt? Und vor allem: Wie schnell kann das zuständige, dem Minister unterstellte Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) die notwendigen Typgenehmigungen für modifizierten Euro-5-Diesel erteilen? Um diese Fragen müsste sich Dobrindt jetzt umgehend kümmern, fordert Hermann. „Erst dann sind weitere Treffen mit den Autoherstellern sinnvoll.“ Stuttgart hat derweil bereits jetzt die für 2017 zulässige Zahl an Tagen mit Feinstaubalarm erreicht und müsste eigentlich laut Gerichtsbeschluss ab sofort Fahrverbote verhängen.
Dobrindt "begleitet" die Debatte
Doch Dobrindt, der Fahrverbote einerseits für einen „falschen politischen Ansatz“ hält, tut andererseits wenig, um die Suche nach Alternativen voranzutreiben. Sein Ministerium teilt auf Anfrage nur mit, man „begleite“ die Debatte um die mögliche Optimierung von Euro-5-Dieselfahrzeugen. „Ob es weitere Umrüstungen gibt, hängt davon ab, ob es konkrete Konzepte der Hersteller gibt“, heißt es in einer schriftlichen Mitteilung. „Optimierungskonzepte“ der Unternehmen lägen derzeit noch nicht vor.
„Die Branche hat einen Vorschlag gemacht, der wird im Haus nun genau geprüft“, hatte hingegen Winfried Hermann nach dem Treffen in Stuttgart gesagt. Parteifreunde und Umweltverbände halten Dobrindts Vorgehen für skandalös. „Es ist absurd, dass die Landesregierung in Baden-Württemberg die Arbeit von Dobrindt machen muss“, sagte Stephan Kühn, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, dem Tagesspiegel. Der Minister drücke sich vor der Verantwortung. Dobrindt müsse „seine Arbeitsverweigerung beenden und endlich eine bundesweite Umrüstaktion der Autohersteller anschieben, koordinieren und rechtlich absichern“, sagte Kühn. Die Grünen schlagen einen Runden Tisch vor. Der ökologische Verkehrsclub VCD übergab Dobrindt am Dienstag mehrere tausend Unterschriften von Bürgern für eine Blaue Plakette.
Industrie sieht bei Software-Updates größten Hebel
Dem Vernehmen nach hatten die Hersteller bei dem Stuttgarter Treffen Software-Updates angeboten, die die Motorsteuerung von Euro-5-Dieseln modifizieren, um den NOx-Ausstoß zu senken. „Das ist deutlich weniger als erwartet“, heißt es auf politischer Seite. Mit Software-Updates für rund 300 Euro pro Fahrzeug erreiche man lediglich Emissionswerte „zwischen Euro 5 und Euro 6“. Nur bei der Hälfte der knapp sechs Millionen Euro-5-Diesel würden damit die NOx-Werte zur Hälfte verbessert. Die Branche sei noch „eher kopflos“, heißt es, treibende Kraft für eine schnelle, kundenfreundliche Lösung sei nach dem Diesel-Debakel der VW-Konzern.
Die Autoindustrie, die unter anderem die TU Graz beauftragt hat, technische Umrüstlösungen zu finden, argumentiert, Software-Updates böten „den größten Hebel“, um Abgase zu reduzieren. Außerdem seien sie – anders als Hardware- Umbauten – wirtschaftlich verkraftbar. Die Branche kalkuliert für die Software-Aktualisierung für alle deutschen Hersteller zusammen einen „höheren zweistelligen Millionenbetrag“.
Auto-Käufer meiden Diesel-Modelle
Am Ende dürfte es deutlich teurer werden. Die Rede ist von 1000 bis 2500 Euro pro Diesel-Pkw, was in der Summe bis zu knapp 15 Milliarden Euro ausmachen könnte. Doch wer zahlt? Die Politik will die Kunden von Kosten freihalten. Diskutiert wird ein Fonds, in den die Hersteller (gemessen an ihrem Euro-5-Diesel-Anteil) einzahlen könnten.
Unterdessen nehmen Autokäufer immer mehr Abstand von Diesel-Neuwagen. Im April sank der Absatz in Deutschland im Vorjahresvergleich um 19,3 Prozent, der Marktanteil schrumpfte von 47 auf 41,3 Prozent. In Frankreich fielen die Verkäufe um 14 Prozent, in Großbritannien sogar um 27 Prozent. Insgesamt gingen die Neuwagenverkäufe in Europa im April um 6,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurück, wie der Verband Acea am Dienstag in Brüssel mitteilte.