Daimler-Lkw-Vorstand Wolfgang Bernhard: "Die Zeit ist reif für Elektromobilität"
Digitaler, elektrisch, autonom: Der Lkw der Zukunft rollt bald durch die Städte, sagt Wolfgang Bernhard, Lkw-Vorstand bei Daimler im Interview. Berlin spielt für den Hersteller eine besondere Rolle.
Herr Bernhard, auf der Bahntechnik- Messe Innotrans in Berlin kann man den Eindruck bekommen, dass die Bahnindustrie bei Automatisierung, Elektrifizierung und Digitalisierung der Lkw-Branche vorausfährt. Täuscht der Eindruck?
Mit unserer Innovationsfreude und -kraft müssen wir uns nicht verstecken. Bei Automatisierung und Vernetzung haben wir zum Beispiel klar die Nase vorn. Bereits seit zwei Jahren haben wir autonome Trucks, seit einem Jahr fahren sie auch vernetzt im Verbund.
Verkehrsminister Dobrindt nennt die Schiene den „Innovationsverkehrsträger Nummer eins“. Wird in Zukunft weniger auf der Straße transportiert?
Das Transportaufkommen wird insgesamt weiter wachsen und wir müssen alle Reserven des Systems mobilisieren, um dieses Aufkommen effizient und umweltschonend abzuwickeln. Durch Vernetzung und Digitalisierung sind hier noch erhebliche Potenziale erschließbar. In der Lkw-Logistik gibt es noch viele unwirtschaftliche Abläufe. Lkws fahren leer, und wenn sie beladen sind, stehen sie im Stau.
Es ist viel von Elektro-Lkw die Rede. Wird sich der E-Antrieb im Nutzfahrzeug schneller als im Pkw durchsetzen?
Die Reichweite ist der ausschlaggebende Punkt. Bei Nutzfahrzeugen ist – deutlicher als beim Pkw – klar, wie und wo sie eingesetzt werden. Auf der Lang- oder auf der Kurzstrecke. Die Abgrenzung ist einfacher. Wir glauben, dass die Zeit reif ist für Elektromobilität im Stadtverkehr, also auf eher kürzeren Strecken.
Warum?
Das liegt an den Batteriekosten. Diese sinken bis 2020 um den Faktor 2,5. Gleichzeitig steigt die Leistungsfähigkeit der Akkus im gleichen Maße. Wir werden 2017 den Kleinlaster Fuso Canter mit Elektroantrieb in Kleinserie auf den Markt bringen. 2018 wird es von uns erste E-Busse geben und einen vollelektrischen Van. Und 2020 steigen wir in die Königsklasse ein, den elektrischen 26-Tonner für den städtischen Verteilerverkehr. Es werden maßgeschneiderte Lösungen sein, die für unsere Kunden wirtschaftlich darstellbar sind – und für uns natürlich auch.
2009 haben Sie einen elektrischen Van mangels Nachfrage wieder vom Markt genommen. Warum gelingt es diesmal?
Die Zeit war damals noch nicht reif. Bei großen Technologiesprüngen ist es so: Wer zu früh kommt, verliert Milliarden, und wer zu spät kommt, verliert den Markt. Diesmal liegen wir beim Timing richtig. Das nächste Jahrzehnt bringt eine Zeitenwende. Produktionskapazitäten und Batteriekosten werden sich in einem sich selbst beschleunigenden Prozess in die richtige Richtung entwickeln.
2018 ist noch lange hin. Drohen Ihren Diesel-Transportern vorher nicht Fahrverbote in den Innenstädten?
Wir reagieren mit E-Modellen auf die Notwendigkeiten. Verglichen mit der Vergangenheit, als Euro 2- und Euro 3-Diesel unterwegs waren, sind die Städte chemisch reine Labore. Um es klar zu sagen: Ich kann die Hysterie nur teilweise verstehen. Selbstverständlich können wir noch mehr bei der Schadstoffreduzierung tun. Fahrverbote würden wohl alle Fahrzeuge betreffen, die keinen Euro 6- Motor haben. Das hieße, man würde viele Handwerker und Kleinunternehmer zwingen, neue Fahrzeuge zu kaufen. Ob man das will, ist eine politische Frage.
In der EU gibt es konkrete Überlegungen, auch für Lkw CO2-Grenzwerte einzuführen. Bereitet Ihnen ein mögliche Regulierung Sorge?
Wir haben die Spritverbräuche von Nutzfahrzeugen in den vergangenen 20 Jahren erheblich gesenkt – ganz ohne Regulierung. Ein von der Dekra überwachter Straßentest mit drei Mercedes-Lkw unterschiedlicher Baujahre von 1996 bis 2016 ergab eine Verbrauchsreduzierung um 22 Prozent. Wenn wir eine Regulierung brauchen, dann eine smarte. Kosten und Nutzen müssen in einem vernünftigen Verhältnis stehen, auch volkswirtschaftlich. Alle Beteiligten, die bei der CO2-Reduzierung im Straßengüterverkehr mitwirken können, müssen einbezogen werden: Lkw-Hersteller, Reifen- und Aufbauproduzenten, Fahrer, Spediteure und die Verkehrsplaner. Es wäre sehr bedauerlich, wenn sich die Politik nur auf die Fahrzeughersteller stürzen würde. Damit würde die Regulierung zu kurz springen.
Die Digitalisierung elektrisiert die Branche. Daimler hat ein Innovation Hub in Berlin gegründet – was machen Sie hier?
Wir müssen dort sein, wo die Musik spielt. Das ist in Berlin, aber nicht nur dort. Wir haben auch Hubs in Israel und in den USA. Wir wollen in Berlin Dienste entwickeln und schnell marktreif machen, die sich mit der Auswertung großer Datenmengen für Logistikketten beschäftigen.
Tesla und das US-Start-up Otto wollen selbst fahrende Lkw bauen. Nehmen Sie diese neuen Wettbewerber ernst?
Es fällt mir schwer, das ernst zu nehmen. Was ich aber sehr ernst nehme, sind eine Menge neuer Firmen, die sich mit der datenbasierten Wertschöpfungskette in der Logistik beschäftigen. In diesem Wettlauf um Standards und Dienstleistungen müssen wir schnell reagieren. Der Zweite ist der erste Verlierer.
Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer
ZUR PERSON
Wolfgang Bernhard (56) ist seit 2013 Vorstand der Lkw-Sparte bei Daimler. Der Wirtschaftsingenieur hat eine bewegte Karriere bei Daimler hinter sich. Seit 1992 ist er für Daimler tätig – mit einer Unterbrechung von Februar 2005 bis Januar 2007, als er beim Wettbewerber Volkswagen im Vorstand saß. In Stuttgart war Bernhard unter anderem Geschäftsführer von AMG, unter Dieter Zetsche Chief Operating Officer von Chrysler und Einkaufs- und Produktionsvorstand von Mercedes-Benz Cars & Vans. Bernhard ist verheiratet und Vater eines Kindes.
DAS GESCHÄFT
Daimler ist Weltmarktführer für schwere Lkw. 2015 verkaufte der Hersteller gut 500 000 Lastwagen weltweit. Bei einem Umsatz von 37,5 Milliarden Euro wurde eine Rendite von 6,9 Prozent erzielt. Am Wachstumsziel von 700 000 Stück bis 2020 hält Daimler fest.