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ARCHIV - Voll besetzt ist ein LKW-Parkplatz an der Autobahn-Raststätte Michendorf (Brandenburg), aufgenommen am 01.05.2014 aus der Vogelperspektive. Foto: Ralf Hirschberger/dpa (zu dpa "FDP fordert Ausbau der Lkw-Stellplätze an Autobahnen" vom 18.09.2016) +++(c) dpa - Bildfunk+++
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Logistik-Branche: Epoche der neuen Trucker-Romantik

Die Kraftfahrer der Zukunft werden wieder eine Pause machen und die Beine hochlegen können – und zwar hinter dem Steuer. Im Zuge der Digitalisierung werden aus Lkws rollende Computer.

In der Lastwagen-Branche bricht eine Epoche der neuen Trucker-Romantik an. Die Kraftfahrer der Zukunft werden wieder in Ruhe eine Pause machen, einen Kaffee trinken oder die Beine hochlegen können – und zwar hinter dem Steuer. Im Zuge der Digitalisierung, Vernetzung und Automatisierung werden aus Lkw rollende Computer, vollgepackt mit Multifunktionskameras, Fahrassistenten, Radar- und Ultraschallsensoren. Dank der Hightech-Augen und -Ohren des Fahrzeugs haben die Kraftfahrer Kopf und Hände frei. Und: Die autonom fahrenden Lastwagen verursachen weniger Unfälle, sie transportieren Güter billiger und sie verbrauchen weniger Sprit.

Glaubt man Nutzfahrzeug-Herstellern wie Daimler, MAN, Scania oder Volvo wird diese Vision in kaum mehr als zehn Jahren auf der Straße rollen. Der Autoverband VDA spricht von der „digitalen Transformation der gesamten Branche“. Die mit Nachwuchsproblemen kämpfende Logistikwirtschaft mit einem Jahresumsatz von 200 Milliarden Euro und 2,7 Millionen Beschäftigten steht vor einem radikalen Wandel. Und der Wettbewerb der Verkehrsträger auf Straße und Schiene wird dabei immer härter.

Wohin die Reise der Branche gehen könnte, lässt sich auf zwei Messen in den kommenden Tagen besichtigen: in Berlin auf der weltgrößten Bahntechnikmesse Innotrans (20. bis 23. September) und in Hannover auf der IAA für Nutzfahrzeuge (22. bis 29. September).

Mehr Getriebene als Treiber

Ähnlich wie im Pkw-Bereich investieren die Fahrzeughersteller viel Geld, um im digitalen Wettbewerb bestehen zu können. Dabei sind sie häufig mehr Getriebene als Treiber. Der drohende Güterverkehrskollaps, strengere Abgasnormen und der Kostendruck der Spediteure zwingen die Industrie zu Innovationen. Außerdem drängen auch im Nutzfahrzeugmarkt neue Wettbewerber ins Kerngeschäft der traditionellen Lkw-Bauer vor.

So entwickelt das kleine US-Start-up Otto ein Umbau-Konzept für einen selbstfahrenden Lkw. Hinter Otto steht nicht irgendwer, sondern frühere Mitarbeiter von Google, Apple und Tesla. Angeblich wurden umgerüstete Volvo-Lastwagen bereits auf US-Autobahnen getestet.

Auch aus China wächst neue Konkurrenz heran. Erstmals ist auf der IAA der Elektrofahrzeughersteller BYD („Build Your Dreams“) dabei. „Der Antrieb, sich mit dem Thema Automatisierung so intensiv zu beschäftigen, kommt nicht allein aus der Automobilbranche selbst, sondern in starkem Maße auch von außen“, glaubt Barbara Lenz, Leiterin des Instituts für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Dies gelte vor allem für den Pkw-Markt, auf dem US-Softwarefirmen neue Kunden gewinnen wollten.

Im Nutzfahrzeugmarkt sei der ökonomische Nutzen der Automatisierung und Vernetzung hingegen schneller erkennbar. „Fahrer können möglicherweise andere Aufgaben übernehmen oder vernetzte Lkw-Fahrten im Konvoi die Kosten deutlich reduzieren.“ Vom „Platooning“ ist die Rede, wenn schwere, digital vernetzte Lkw auf der Autobahn automatisch im Konvoi hintereinander fahren. Dabei bestimmt der vorne Fahrende das Tempo, die anderen Lkw reihen sich in dichter Folge in den Windschatten ein. Bis zu zehn Prozent Diesel lassen sich so einsparen, wie eine Sternfahrt im Mai zeigte.

Wird Schienentransport überflüssig?

An der „European Truck Platooning Challenge“ nach Rotterdam nahmen Mercedes-Benz, MAN, Scania, Volvo, Daf und Iveco teil. Hunderte Sensoren regulieren beim Platooning, dass die Fahrzeuge automatisch bremsen und beschleunigen, ohne den normalen Sicherheitsabstand einhalten zu müssen. Doch die Vernetzung macht allein noch kein neues Geschäftsmodell. „Die Automatisierung im Nutzfahrzeugbereich wird ökonomisch erst dann wertvoll, wenn die gesamte Wertschöpfungskette einbezogen wird – also auch das, was vor und nach dem Lkw-Transport logistisch passiert“, sagt Barbara Lenz.

Dies versucht etwa der Lkw-Marktführer Daimler mit großem Aufwand. Allein in den kommenden fünf Jahren (2016 bis 2020) investiert der Konzern rund eine halbe Milliarde Euro in die Vernetzung von Lkws und die Schaffung passender Dienstleistungen und digitaler Lösungen. Seit April leitet Daniela Gerd tom Markotten den neuen Bereich Digital Services & Solutions bei Mercedes-Benz Lkw. „Wir wollen nicht nur neue Zielgruppen gewinnen, sondern auch interne Abläufe bei Bestandskunden effizienter machen“, sagt die Managerin.

Ein Beispiel: Auf der Grundlage der seit 15 Jahren eingesetzten Fleetboard-Telematikplattform zeigt Mercedes auf der IAA erstmals „Uptime“ – ein Frühwarnsystem, das automatisch anzeigt, wann ein Lkw außerplanmäßig wegen eines drohenden Defekts in die Werkstatt muss. „Der Vorteil für den Spediteur oder Flottenmanager: Der Lkw bleibt nicht auf der Strecke liegen, sondern fährt zum Beispiel schon 1000 Kilometer vor Eintreten des Defekts in die Werkstatt.“

Ein Duell zwischen Straße und Schiene

Machen am Ende autonom, effizient vernetzte Lkw den Schienentransport überflüssig? Schon heute werden mehr als 70 Prozent aller Güter auf der Straße transportiert. „Die Schiene gewinnt den Wettbewerb“, glaubt Dirk Flege, Geschäftsführer des Lobbyverbands Allianz pro Schiene. Während die Nutzfahrzeugindustrie an der „Optimierung der Ineffizienz“ auf der Straße arbeite, spiele die Güterbahn ihre Vorteile aus. „Wir werden in wenigen Jahren Massengüter mit vollelektrischen und autonom fahrenden Zügen transportieren“, sagt Flege voraus.

Auch Barbara Lenz glaubt, dass die Bahn in bestimmten Segmenten des Güterverkehrs wettbewerbsfähig bleiben wird: „Bei Massen- oder Schüttgütern wird der Schienentransport leistungsfähiger sein.“ Die sei aber kein Automatismus. Die Bahn müsse den künftig autonom fahrenden Lkw ein attraktiveres Angebot entgegensetzen als heute.

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